Kein Sex Bedürfnis

  • Hallo liebes Forum,


    Dies ist mein erster Beitrag hier. Ich weiß nicht genau ob ich hier reinpasse, denn ich bin kein diagnostizierter Aspie.
    Der Verdacht liegt aber schon lange vor. Auch von meiner Familie aus.


    Vielleicht könnt ihr mir mit euren Erfahrungen helfen und ggf. Rat geben.


    Ich bin 19 Jahre alt und männlich. Seit 2 Monaten in einer Beziehung. Die junge Dame ist kein Aspie o.Ä. Es läuft zwischen uns an sich gut.
    Nur kommt nun das Problem, ich möchte keinen Sex - wirklich nicht. Ich weiß nicht woher diese Einstellung kommt. Diese Einstellung habe ich nicht erst seit gestern sondern eher schon immer, bzw. seit Sexualität ein Thema war (Pubertät). Es hat mich noch nie wirklich angemacht, oder verleitet. Ich finde es abstoßen und ekelerregend. Ich fühle mich trotzdem zu Frauen hingezogen, möchte den Akt aber mit niemandem eingehen.
    Meiner Freundin habe ich das gesagt, sie war überrascht und hat es nicht ganz verstanden. Sie meinte aber sie könne "es schon ohne aushalten".


    Mir ist allerdings klar, das diese Beziehung nicht langfristiges wird, da sie die Lust irgendwann überkommt und dass wenn ich sie nicht befriedige, sie es entweder mit einem anderen macht oder die Beziehung beendet.


    Hat jemand von euch ähnliche Ansichten zum Thema Sex? Wie geht ihr damit um? Ist eine "asexuelle" Partnerschaft möglich?

  • Hallo maefe95


    Kannst du vorerst mal erläutern, was die Anhaltspunkte sind, anhand derer du vermutest, auf dem Spektrum zu sein?


    Ausserdem: Was ist die Basis davon, dass schon die ganze Familie so gut Bescheid weiss?

  • Ich vermute es nicht. Meine Familie hat es bislang immer vermutet.
    Ich kann mit anderen Menschen, aber Empathie und tiefere Gespräche sind nicht vorhanden. Ich fühle mich anders. Ich kann extrem gut Sprachen lernen, mein Talent.
    Die Familie vermutet nur das Asperger-Syndrom mehr wissen sie nicht. Das ist aber nebensächlich.

  • Ich finde, mit 19 ist es etwas früh, quasi eine abschliessende Diagnose der vorherrschenden Gefühlslage und eine Prognose bezüglich eines Lebensstils zu stellen. Das menschliche Leben ist ein dynamischer Prozess der Interaktion mit Umwelt und Mitwelt. Du bist noch am Erkunden dessen, was das Leben an Anforderungen und Entwicklungs-Spielräumen mit sich bringt. Die psycho-physische Entwicklung und Reifung ist aber nie abgeschlossen.


    Ausserdem ist Erotik ein viel grösseres Erlebensfeld, und umfasst wesentlich mehr als was etwas grob mit dem Wort Sex umschrieben wird. Das Liebesspiel beginnt bei den Augen, dem Sichtreffen der Blicke, dem damit verbundenen Erwachen des Herzens und der Zuneigung zueinander, und entwickelt sich, phasenverschoben, über zarte Berührungen in die Kaskaden des Verlangens und des Aufwallens von Leidenschaft, die sich Genüge und Befriedigung suchen will.


    Das hier Beschriebene findet in Phasen statt, zunächst der Zeit der Verliebtheit, in der Händchenhalten und einige noch scheue Küsse und soziale Interaktion des sich Zeigens in der Öffentlichkeit als Paar genügend Befriedigung verschafft.


    Es ist interessant, wie sich das Wort "Zärtlichkeit" im Deutschen entwickelt hat. Alt- oder Mittelhochdeutsch "zart" bedeutete "verletzlich"; die Bedeutung schwingt immer noch mit, wenn man besipielsweise von einem zarten Kind, oder einem zarten Alter spricht. Interessant finde ich auch den Zusammenhang der Bildung von Superlativen aus dem Wort zart; das Wort "sehr" stammt ebenfalls von dem Wort zart ab.


    Irgend wie wissen wir intuitiv, dass die Intensität des Ausserordentlichen, also zB des sehr Schönen oder sehr Ergreifenden, mit Verletzlichkeit zu tun hat. Das drücken wir spontan aus, wenn wir von Verrückt Schönem oder Wahnsinnig Ergreifendem reden, und damit sprachlich die Dimension des Superlativs erweitern. Zart-verletzlich-sehr wird quasi noch gesteigert durch das Ausdrücken von Formen von Verletztheit, wie Verrückt- oder Wahnsinnig sein, wobei die Sphäre der Verletzlichkeit vom Körperlich-Emotionalen ins Geistige hinein erweitert wird.


    Dazu passend hier das heute gebräuchliche geil, mega-geil, und dann abgekürzt mega. Geilsein ist verletzlich, insofern dessen konrete Erfahrung des Intimsten Raumes der Abgeschiedenheit und des Sich-Sicher- und Getragen-Fühlens bedarf; an die Öffentlichkeit gezerrt, vor aller Augen blossgestellt, wird es zur kaum übertreffbaren Beschämung. Sex als die konkrete Verbindung von Scham zu Scham (dem Verletzlichsten an uns), reduziert auf den mechanischen Vorgang, wie er heute in Pornos gängig ist und offenbar von Jugendlichen häufig gesehen wird, wird so zur schamlosen Angelegenheit, welche die Verletzlichkeit und Zartheit der menschlichen Natur nicht mehr sieht, zulässt und nährt.


    Der schnelle Sex ist eine Art Perversion der Kunst des Liebens, wie sie innig verliebte Paare spontan entwickeln können, und wie es alte Traditionen vor allem fernöstlicher Kulturen in klassischen Texten lehren.


    Ich möchte dir also sagen: Lass dir Zeit, deine eigene Verletzlichkeit als Mann und die der Frau zu entdecken, und leg dich nicht fest auf eine Identität, die dir jetzt als endgültig erscheint. Wenn es für dich in dieser Lebensphase so stimmt, erfahre deine wachsende Liebesfähigkeit durchaus mit der Perspektive darauf, was du assexuell nennst - obwohl ich das mit obiger Darlegung in Frage stelle, denn das im sexuellen Akt kulminierende Liebesspiel spielst auch du in den ersten Schritten des Blickkontaktes und der Berührung, nehme ich an... Bleib offen für das Wunder des Lebens, und entdecke die Welt, und wie sie dich verändern und deine Perspektive erweitern kann.