Wie sich in den Interviews mit den Eltern gezeigt hat ist die Phase der Abklärung und Untersuchung des Kindes mit vielen Herausforderungen und Schwierigkeiten verbunden.Der Weg zur ersten Abklärung hat bei allen befragten Eltern über den Kinderarzt beziehungsweise die Kinderärztin oder durch ein Kinder- oder Universitätsspital stattgefunden.
Der Weg danach sieht bei allen Familien sehr unterschiedlich aus. Nur bei einer Familie stand nach einer einzigen Abklärung die Diagnose Autismus fest. Die anderen Familien mussten alle drei bis sechs verschiedene Stellen aufsuchen, bis die Diagnose Autismus gestellt werden konnte. Dies ist für viele Eltern sehr schwierig, weil sie von Ort zu Ort gehen, aber niemand weder helfen noch sagen kann, was dem Kind fehlt. Dieser Marathon und die Ungewissheit bedeuten für die Eltern einen grossen Stress und eine riesige Belastung.
Schwierigkeiten, denen die Eltern in der Abklärungsphase begegneten:
1. Kinderärzte, Universitätsspitäler und Abklärungsstellen (Epilepsie-Zentrum, Entwicklungsabteilungen) können die Diagnose Autismus nicht stellen oder stellen andere Diagnosen.
- Eine Kinderärztin diagnostiziert kein Autismus, sondern nur das sogenannte POS (heute ADHS).
- Eine Kinderärztin bzw. ein Kinderarzt kann keine Diagnose stellen und nur zu einem Neurologen bzw. an eine weitere Abklärungsstelle des Kinderspitals weitervermitteln.
- Im Kinder- oder Universitätsspital kann keine Diagnose gestellt werden. Autismus wird nicht erkannt. Anstelle dessen wird eine Entwicklungsverzögerung bzw. eine schwere geistige Behinderung diagnostiziert.
- Auch Abklärungsstellen für Entwicklung und andere Abklärungsstellen, welche die Eltern aufgesucht haben diagnostizieren nur Entwicklungsverzögerungen.
Erhaltene Erklärungen wie POS, blosse Entwicklungsverzögerung oder die Diagnose geistiger Behinderung wurden von den Eltern als unbefriedigend empfunden, weil sie das Gefühl hatten, dass mehr oder etwas anderes dahinter steckt. Bereits die Art der Abklärung und der Tests wurden von den Eltern stark bemängelt. Mehrere Mütter hatten das Gefühl, dass die Tests für die Kinder nicht geeignet waren und nicht das Richtige untersucht wurde:
Eine Mutter über die Untersuchung ihres Sohnes:
„Dann kam die Untersuchung….dort ging es darum zu zeigen was kann er. Zum Beispiel eben die Farben benennen und so weiter und zeichnen. Und wir sassen so dort und der Doktor fragte ihn, gib mir doch bitte einen roten, einen grünen, und einen blauen Farbstift, und irgendwie so etwas. Und er hat einfach irgendwie ein Gesicht gemacht, hat einfach mal genommen und ihm diese so in die Finger gedrückt. Und ich wusste genau, er weiss ganz genau, er kann hellblau von dunkel blau unterscheiden. Also, er weiss ganz genau, wie viele Stifte es sind und wie viele Farben es sind. Irgendetwas läuft hier schräg. Irgendwie. Er hat gar nicht geschaut. Er hat dem Doktor in die Augen geschaut und hat es ihm dann in die Finger gedrückt. Er hat einfach geschaut wie der Doktor reagiert und überhaupt nicht wirklich überhaupt nicht auf die Stifte, er hat eigentlich gar nicht ausgeführt eigentlich wirklich was er hätte machen sollen.“
Und die gleiche Mutter bei einer späteren Untersuchung:
„Und er hat zum Beispiel die Sprache komplett verweigert dann, hat einfach nicht gesprochen. Während dem Test und er kann ja sprechen. Also wirklich, er kann auch kommunizieren. Und ich fast verzweifelt daneben und habe gedacht, das darf jetzt aber nicht wahr sein. Und entsprechend war dann die Auswertung des Tests auch gewesen, dass er verbal sehr sehr stark zurück ist, unter anderem. Und dann habe ich auch so ein bisschen das Gefühl bekommen, das Bild, das ich später bekommen habe von dem Ergebnis von dem Test, und dem wie ich das Kind so kenne, das stimmt einfach nicht überein. Irgendwo ist einfach immer noch etwas schräg“
Eine andere Mutter äusserte ebenfalls Unzufriedenheit mit der Untersuchung:
„Man hat gesagt, ja, das ist halt ein `Dubeli`. Und für uns hat das überhaupt nicht gestimmt, es war auch eine beschissene Abklärung.“
2. Ein Universitätsspital kann nur einen Verdacht äussern, stellt aber keine definitive Diagnose und vermittelt anschliessend auch nicht weiter.
So erzählt eine Mutter:„Wir waren im Universitätsspital und die konnten keine Diagnose stellen, sagten das Kind sei noch zu klein und wir müssten noch warten, aber sie haben gesagt, es könnte sein, dass es Autismus ist... Aber als wir im Unispital waren... da ... die haben nichts gesagt, wo wir weiter gehen können oder was wir machen können. Wir sind gegangen, ohne dass sie etwas gesagt haben.“
3. Ein Kinderspital hat zwar den Verdacht, spricht diesen aber gegenüber den Eltern, wie sie später erfahren, nicht aus und vermittelt auch nicht zu weiteren Abklärungen.
So erzählt eine Mutter, dass sie erst im Nachhinein vom Verdacht des Kinderspitals erfahren habe:
"Ja ja, und auch dort oder, oder auch am „Chispi“ [Kinderspital], es ist einfach darum gegangen, dass es einfach eine Entwicklungsverzögerung ist. Mit der sind wir dann komplett alleine gelassen worden. Dann habe ich dann einmal noch angerufen, als ich es dann gewusst habe [dass der Sohn Autismus hat] und gesagt, das ich es nicht so toll gefunden habe, einfach in Bezug für die nächsten Eltern. Sie haben gefunden, ja so Kinder mit leicht autistischen Zügen lassen wir zuerst einmal ein bisschen länger. Also haben sie es damals schon gewusst, aber sie haben es mir dort nicht gesagt. Interessanterweise, und es stand auch nicht im Bericht sonst wäre ich schon längstens darauf gekommen. Also mich nimmt Wunder, warum jetzt zum Beispiel das „Chispi“ nicht weiterverwiesen hat, zu weiteren Abklärungen ans KJPD.“
4. Frühberatungsstellen und Heilpädagogische Schulen erkennen nicht, dass das Kind Autismus haben könnte.
Mütter haben davon berichtet, dass Frühberatungsstellen oder Fachpersonen, die den Kindern Frühförderung unterrichtet haben, ebenfalls nicht gesehen haben, dass ihr Kind an Autismus leiden könnte. Eine Mutter klagt über Heilpädagogen, die streng ihre Methoden durchziehen, ihre Methoden kaum hinterfragen oder genauer schauen, was dem Kind fehlen könnte und bezeichnet sie als:
„Heilpädagogen, die nur überzeugt von sich selbst sind und keine Reflexion haben in dem was sich im Gegenüber spiegelt.“ Und weiter meint die Mutter:
„Das interessiert die...die sind so selbstüberzogen, die Leute mit denen man umgeht. Die haben null Reflexion ihrer eigenen Missstände und merken nicht was sie anrichten weil sie gar nicht wissen dass es Autismus gibt, oder nicht wissen wie das aussieht“.
5. Eine Heilpädagogische Schule unterstützt die Eltern bei der Suche nach der Diagnose nicht. Sagt, das Kind habe nur Wahrnehmungsprobleme. Die Schule möchte das Kind nicht weiter abklären lassen, obwohl dies der Wunsch der Eltern ist.
Eine Mutter berichtet davon, dass die Schule überhaupt kein Interesse an einer Diagnose hat und die Eltern deswegen auch nicht unterstützte:
„Also auch die Schule ist nicht so interessiert an einer Diagnose gewesen. Ja. Ich glaube, wenn man die Diagnose hätte, müsste man auch überlegen, ob dort die richtigen therapeutischen Massnahmen getroffen werden, für alle verschiedenen Diagnosen, oder.“
6. Psychologen können das Kind nicht auf Autismus untersuchen, weil sie keine Ahnung haben, wie sich Autismus bei einem Kind zeigt.
Eine Mutter zur Untersuchung bei einem Psychologen:
„Und dann sind wir zu einem Psychologen gegangen. Und da war dieser Psychologe und wir waren ein paar Mal dort, aber er konnte es auch nicht sagen. Er hat gesagt, keine Ahnung, er hat noch keine autistischen Kinder gesehen.“
Lange Ungewissheit
Die Ungewissheit ist für die Eltern der Kinder sehr frustrierend. Sie wollen endlich wissen was dem Kind fehlt, weil sie auch selber Probleme mit ihm haben und etwas unternehmen wollen, so dass dem Kind und der ganzen Familie geholfen werden kann.Durch die Schwierigkeiten (1-6) sind bei vielen Familien Jahre vergangen, bis sie eine richtige Diagnose für ihr Kind bekommen haben. Die Eltern erwähnen besonders, dass viele Ärzte einfach nicht wussten, was ihrem Kind fehlt. Darin widerspiegelt sich eine grosse Unwissenheit bezüglich des Themas Autismus bei Ärzten und Spitälern sowie auch bei Psychologen und anderen Abklärungsstellen.Kostbare Zeit geht dadurch verloren, die für eine richtige Förderung eingesetzt werden könnte.