Schwierigkeiten während der Abklärungsphase

  • Wie sich in den Interviews mit den Eltern gezeigt hat ist die Phase der Abklärung und Untersuchung des Kindes mit vielen Herausforderungen und Schwierigkeiten verbunden.Der Weg zur ersten Abklärung hat bei allen befragten Eltern über den Kinderarzt beziehungsweise die Kinderärztin oder durch ein Kinder- oder Universitätsspital stattgefunden.


    Der Weg danach sieht bei allen Familien sehr unterschiedlich aus. Nur bei einer Familie stand nach einer einzigen Abklärung die Diagnose Autismus fest. Die anderen Familien mussten alle drei bis sechs verschiedene Stellen aufsuchen, bis die Diagnose Autismus gestellt werden konnte. Dies ist für viele Eltern sehr schwierig, weil sie von Ort zu Ort gehen, aber niemand weder helfen noch sagen kann, was dem Kind fehlt. Dieser Marathon und die Ungewissheit bedeuten für die Eltern einen grossen Stress und eine riesige Belastung.


    Schwierigkeiten, denen die Eltern in der Abklärungsphase begegneten:


    1. Kinderärzte, Universitätsspitäler und Abklärungsstellen (Epilepsie-Zentrum, Entwicklungsabteilungen) können die Diagnose Autismus nicht stellen oder stellen andere Diagnosen.




    • Eine Kinderärztin diagnostiziert kein Autismus, sondern nur das sogenannte POS (heute ADHS).
    • Eine Kinderärztin bzw. ein Kinderarzt kann keine Diagnose stellen und nur zu einem Neurologen bzw. an eine weitere Abklärungsstelle des Kinderspitals weitervermitteln.
    • Im Kinder- oder Universitätsspital kann keine Diagnose gestellt werden. Autismus wird nicht erkannt. Anstelle dessen wird eine Entwicklungsverzögerung bzw. eine schwere geistige Behinderung diagnostiziert.
    • Auch Abklärungsstellen für Entwicklung und andere Abklärungsstellen, welche die Eltern aufgesucht haben diagnostizieren nur Entwicklungsverzögerungen.


    Erhaltene Erklärungen wie POS, blosse Entwicklungsverzögerung oder die Diagnose geistiger Behinderung wurden von den Eltern als unbefriedigend empfunden, weil sie das Gefühl hatten, dass mehr oder etwas anderes dahinter steckt. Bereits die Art der Abklärung und der Tests wurden von den Eltern stark bemängelt. Mehrere Mütter hatten das Gefühl, dass die Tests für die Kinder nicht geeignet waren und nicht das Richtige untersucht wurde:


    Eine Mutter über die Untersuchung ihres Sohnes:


    „Dann kam die Untersuchung….dort ging es darum zu zeigen was kann er. Zum Beispiel eben die Farben benennen und so weiter und zeichnen. Und wir sassen so dort und der Doktor fragte ihn, gib mir doch bitte einen roten, einen grünen, und einen blauen Farbstift, und irgendwie so etwas. Und er hat einfach irgendwie ein Gesicht gemacht, hat einfach mal genommen und ihm diese so in die Finger gedrückt. Und ich wusste genau, er weiss ganz genau, er kann hellblau von dunkel blau unterscheiden. Also, er weiss ganz genau, wie viele Stifte es sind und wie viele Farben es sind. Irgendetwas läuft hier schräg. Irgendwie. Er hat gar nicht geschaut. Er hat dem Doktor in die Augen geschaut und hat es ihm dann in die Finger gedrückt. Er hat einfach geschaut wie der Doktor reagiert und überhaupt nicht wirklich überhaupt nicht auf die Stifte, er hat eigentlich gar nicht ausgeführt eigentlich wirklich was er hätte machen sollen.“


    Und die gleiche Mutter bei einer späteren Untersuchung:


    „Und er hat zum Beispiel die Sprache komplett verweigert dann, hat einfach nicht gesprochen. Während dem Test und er kann ja sprechen. Also wirklich, er kann auch kommunizieren. Und ich fast verzweifelt daneben und habe gedacht, das darf jetzt aber nicht wahr sein. Und entsprechend war dann die Auswertung des Tests auch gewesen, dass er verbal sehr sehr stark zurück ist, unter anderem. Und dann habe ich auch so ein bisschen das Gefühl bekommen, das Bild, das ich später bekommen habe von dem Ergebnis von dem Test, und dem wie ich das Kind so kenne, das stimmt einfach nicht überein. Irgendwo ist einfach immer noch etwas schräg“


    Eine andere Mutter äusserte ebenfalls Unzufriedenheit mit der Untersuchung:


    „Man hat gesagt, ja, das ist halt ein `Dubeli`. Und für uns hat das überhaupt nicht gestimmt, es war auch eine beschissene Abklärung.“


    2. Ein Universitätsspital kann nur einen Verdacht äussern, stellt aber keine definitive Diagnose und vermittelt anschliessend auch nicht weiter.


    So erzählt eine Mutter:„Wir waren im Universitätsspital und die konnten keine Diagnose stellen, sagten das Kind sei noch zu klein und wir müssten noch warten, aber sie haben gesagt, es könnte sein, dass es Autismus ist... Aber als wir im Unispital waren... da ... die haben nichts gesagt, wo wir weiter gehen können oder was wir machen können. Wir sind gegangen, ohne dass sie etwas gesagt haben.“


    3. Ein Kinderspital hat zwar den Verdacht, spricht diesen aber gegenüber den Eltern, wie sie später erfahren, nicht aus und vermittelt auch nicht zu weiteren Abklärungen.


    So erzählt eine Mutter, dass sie erst im Nachhinein vom Verdacht des Kinderspitals erfahren habe:


    "Ja ja, und auch dort oder, oder auch am „Chispi“ [Kinderspital], es ist einfach darum gegangen, dass es einfach eine Entwicklungsverzögerung ist. Mit der sind wir dann komplett alleine gelassen worden. Dann habe ich dann einmal noch angerufen, als ich es dann gewusst habe [dass der Sohn Autismus hat] und gesagt, das ich es nicht so toll gefunden habe, einfach in Bezug für die nächsten Eltern. Sie haben gefunden, ja so Kinder mit leicht autistischen Zügen lassen wir zuerst einmal ein bisschen länger. Also haben sie es damals schon gewusst, aber sie haben es mir dort nicht gesagt. Interessanterweise, und es stand auch nicht im Bericht sonst wäre ich schon längstens darauf gekommen. Also mich nimmt Wunder, warum jetzt zum Beispiel das „Chispi“ nicht weiterverwiesen hat, zu weiteren Abklärungen ans KJPD.“


    4. Frühberatungsstellen und Heilpädagogische Schulen erkennen nicht, dass das Kind Autismus haben könnte.


    Mütter haben davon berichtet, dass Frühberatungsstellen oder Fachpersonen, die den Kindern Frühförderung unterrichtet haben, ebenfalls nicht gesehen haben, dass ihr Kind an Autismus leiden könnte. Eine Mutter klagt über Heilpädagogen, die streng ihre Methoden durchziehen, ihre Methoden kaum hinterfragen oder genauer schauen, was dem Kind fehlen könnte und bezeichnet sie als:


    „Heilpädagogen, die nur überzeugt von sich selbst sind und keine Reflexion haben in dem was sich im Gegenüber spiegelt.“ Und weiter meint die Mutter:


    „Das interessiert die...die sind so selbstüberzogen, die Leute mit denen man umgeht. Die haben null Reflexion ihrer eigenen Missstände und merken nicht was sie anrichten weil sie gar nicht wissen dass es Autismus gibt, oder nicht wissen wie das aussieht“.


    5. Eine Heilpädagogische Schule unterstützt die Eltern bei der Suche nach der Diagnose nicht. Sagt, das Kind habe nur Wahrnehmungsprobleme. Die Schule möchte das Kind nicht weiter abklären lassen, obwohl dies der Wunsch der Eltern ist.


    Eine Mutter berichtet davon, dass die Schule überhaupt kein Interesse an einer Diagnose hat und die Eltern deswegen auch nicht unterstützte:


    „Also auch die Schule ist nicht so interessiert an einer Diagnose gewesen. Ja. Ich glaube, wenn man die Diagnose hätte, müsste man auch überlegen, ob dort die richtigen therapeutischen Massnahmen getroffen werden, für alle verschiedenen Diagnosen, oder.“


    6. Psychologen können das Kind nicht auf Autismus untersuchen, weil sie keine Ahnung haben, wie sich Autismus bei einem Kind zeigt.


    Eine Mutter zur Untersuchung bei einem Psychologen:


    „Und dann sind wir zu einem Psychologen gegangen. Und da war dieser Psychologe und wir waren ein paar Mal dort, aber er konnte es auch nicht sagen. Er hat gesagt, keine Ahnung, er hat noch keine autistischen Kinder gesehen.“


    Lange Ungewissheit
    Die Ungewissheit ist für die Eltern der Kinder sehr frustrierend. Sie wollen endlich wissen was dem Kind fehlt, weil sie auch selber Probleme mit ihm haben und etwas unternehmen wollen, so dass dem Kind und der ganzen Familie geholfen werden kann.Durch die Schwierigkeiten (1-6) sind bei vielen Familien Jahre vergangen, bis sie eine richtige Diagnose für ihr Kind bekommen haben. Die Eltern erwähnen besonders, dass viele Ärzte einfach nicht wussten, was ihrem Kind fehlt. Darin widerspiegelt sich eine grosse Unwissenheit bezüglich des Themas Autismus bei Ärzten und Spitälern sowie auch bei Psychologen und anderen Abklärungsstellen.Kostbare Zeit geht dadurch verloren, die für eine richtige Förderung eingesetzt werden könnte.

  • Unsere Abklärungsphase dauerte ca. 13 Jahre! Unser Sohn bekam mit 16 Jahren Ende 2008 endlich die Diagnose Asperger. Angefangen haben wir beim Kinderarzt, der uns, als er nicht mehr weiter wusste an einen Kinderpsychiater, der als Kapazität galt, weiter schickte. Dieser Psychiater weigerte sich unseren Sohn abzuklären, weil er noch zu jung sei. Er machte eine Therapie mit ihm. Aber was er eigentlich genau mit dem Kind machte, wissen wir bis heute nicht. Nach einer Zeit unguter Gefühle unsererseits haben wir bei diesem Kinderpsychiater aufgehört. In der ersten Klasse sind wir auf der Erziehungsberatung gelandet. Die Psychologin hat sich geweigert unseren Sohn abzuklären. Die Schulärztin verschrieb irgendwann eine Runde Psychomotorik. Aus Spargründen wurde die Psychomotorik wieder abgesetzt. Kurz nach dem 9. Lebensjahr machte eine Kinderneurologin die erste Abklärung und stellte Anteile von POS fest. Sie verschrieb Ergotherapie. Nach einiger Zeit wollte die Krankenkasse die Ergotherapie nicht mehr bezahlen, weil unser Sohn zu wenig behindert sei. Ca. 1 Jahr später waren wir wieder bei der Erziehungsberatung. Der Psychologe wollte zuerst eine Abklärung machen. Nach ca. 6 Monaten Wartezeit wurde die Abklärung auf der EB von einem angehenden Kinderpsychiater gemacht. Es war ungefähr die selbe Abklärung, welche schon die Neurologin gemacht hatte. Die Quintessenz dieser Abklärung auf der EB war, dass ich, die Mutter eigentlich schuld am Verhalten unseres Sohnes sei, weil sich mein Bruder das Leben genommen habe. Das Ganze dauerte vom ersten Besuch beim Psychologen bis zur Besprechung der Abklärung genau ein Jahr. Der Psychologe und der angehende Kinderpsychiater machten sich sehr grosse Sorgen um unseren Sohn und wollten ihn in die Kinderpsychiatrie einweisen, damit der angehende Kinderpsychiater noch mehr Abklärungen machen könnte. Den Psychologen hatten wir in diesem Jahr genau 2 Mal gesehen. Wir haben auf die Kinderpsychiatrie verzichtet.
    Im Jahr 2005 ist unser Sohn in der Schule ausgerastet und bekam einen Schulausschluss von 3 Monaten. Was er in diesen 3 Monaten machen sollte, war allein das Problem von uns Eltern. Weder von der Schule noch von der Schulkommission hat je jemand nachgefragt, was aus ihm geworden ist. Weil er völlig traumatisiert und verstört war, haben wir ihn dann doch schweren Herzens in die Kinderpsychiatrie, d.h. ins Neuhaus, Bern, gegeben. Von Ende April 2005 bis Anfang Juli 2006 war er dort. Die Zeit, die unser Sohn dort im Neuhaus verbracht hat, war für unsere Familie der absolute Horror. Bis heute wissen wir nicht, was die Psychologin, die für ihn zuständig war, eigentlich mit ihm gemacht. Während Monaten haben wir mit dem Oberarzt gekämpft. Als man uns loswerden wollte, weil wir darauf bestanden, dass mit uns endlich nach einer angepassten Schule gesucht würde, hiess es von Seiten Neuhaus, dass man unseren Sohn aus seinem Umfeld nehmen müsse, weil es ihm schade. Es komme nur ein Heim in Frage. Dann schickte man uns aufs Jugendamt, wo man beim ersten Gespräch zum Schein auf uns einging. Beim zweiten Gespräch war der Oberarzt dabei. Er hat von unserem Sohn wie von einem Monster gesprochen und von uns, als wären wir schwerstabhängige Drögeler oder Alkoholiker. Die Sozialarbeiterin war voll auf der Linie des Oberarztes. Wir sind heute noch überzeugt davon, dass alles schon vorher abgesprochen worden war. Komischerweise waren wir dann aber doch gut genug, um mit unserem Sohn die ganzen 5 Wochen Sommerferien zu verbringen, ohne dass irgend jemand auch nur einmal nachfragte, wie es ihm gehe. 4 Tage bevor das neue Schuljahr anfing, bekamen wir vom Heim Bescheid, dass sie die Kostengutsprache des Jugendamtes erhalten hätten...
    Nach dem "Gespräch" auf dem Jugendamt mit dem Oberarzt und der Sozialarbeiterin gingen wir direkt zum Direktor vom Neuhaus. Beim letzten Gespräch sagte er mir, dass unser Sohn nur so sei wie er sei, weil ich mich nicht ändern wolle. Was ich denn ändern sollte, konnte er mir aber nicht sagen. Dem Oberarzt war inzwischen gekündigt worden. Der Direktor sagte uns, man habe unsere Klagen ernst genommen. Immerhin.
    Nachdem unser Sohn im August 2006 ins Heim gekommen war, hatten wir ein Riesenproblem mit der Sozialarbeiterin vom Jugendamt und dazu mit dem Sozialamt. Das Heim kostete im Monat Fr. 10 000.-- plus Fr. 347.-- Nebenkosten. Obwohl unser Sohn seit einem Jahr wieder zu Hause lebt, zahlen wir immer noch ans Sozialamt für das Heim. Man hat uns buchstäblich gestraft dafür, dass wir einen Sohn haben, der anders ist als andere. Wir kamen unter die Armutsgrenze. Aber weil wir keine Sozialhilfeempfänger waren, hat das niemanden interessiert. Irgendwann haben wir einen Stadtrat eingeschaltet. Von da an ist man uns ein bisschen entgegen gekommen. Wir haben daraus gelernt, dass es ohne Beziehungen nicht geht.
    Im Dezember 2007 haben wir auf dem Jugendamt eine andere Sozialarbeiterin verlangt. Wir haben tatsächlich jemand anderes bekommen, obwohl das sonst nicht üblich sei. Die neue Sozialarbeiterin hat uns beim ersten Gespräch gesagt, dass sie denke, man müsste unseren Sohn auf der Autismussprechstunde abklären lassen. Es war das erste Mal, dass wir von der Autismussprechstunde hörten. Interessanterweise ist der Direktor vom Neuhaus auch der Chef der Autismussprechstunde. Ende 2008 bekam unser Sohn dann seine Diagnose. Von einer Sekunde auf die andere waren wir nicht mehr unfähige Eltern, die ihrem Kind schaden, sondern Eltern eines Kindes mit einer Behinderung. Wir hatten buchstäblich das Gefühl im falschen Film zu sein. Seit wir wissen, welches Problem unser Sohn eigentlich hat, ist es für uns doch einfacher geworden, damit umzugehen.
    christa]

  • Eigentlich würden die Ausführungen unserer Abklärungen ein ganzes Buch umfassen, deshalb nur ganz kurz einige Stationen unserer "Reise"...
    Unser Sohn war 3 Tage (!) alt, als ein mir fremder Kinderarzt während seiner Visite auf der Geburtsstation des Spital sagte: "Sie werden ein Kind haben, das Sie intensiver fordern wird und auch anders sein wird als andere Kinder...". Dieser Satz, auch wenn die genaue Wortwahl vielleicht nicht genauso stimmt, lässt mich bis heute nicht mehr los! Unser Kind brauchte kaum Schlaf, weinte viel, etc. etc., im Alter von nicht einmal 2 Jahren (bis dahin waren wir schon in der Schreisprechstunde im Kinderspital, haben CranioSacral-Therapie, Homöopathie und weiteres ausprobiert) hat eine Neurologin erstmals von Autismus gesprochen. Die Heilpädagogin, bei welcher wir kurz darauf die Frühförderung begonnen haben, meinte, das sei kein Autismus. Hin und Her, immer wieder. Psychologen, Psychiater, Physiotherapie, Ergotherapie, Spitalaufenthalt stationär eine Woche, Abklärung in der Autismusfachstelle, Kinderärzte und so weiter...
    Wir sind heute froh, haben wir diese weite Reise auf uns genommen und nicht locker gelassen, auch wenn wir noch heute an "Fachpersonen" geraten, die sich wundern, warum er denn spricht (ihr wisst ja: Autisten sprechen nicht! :whistling: ) Eine Ergotherapeutin meinte, sie könne mit diesem Kind nicht arbeiten, es sei nicht von dieser Welt, es sei ein Erwachsener in einem Körper eines Kindes, ich solle doch als Mutter eine "schamanische Reise" machen, bei dieser Therapeutin waren wir nie wieder...
    Heute sind wir froh, haben wir die weite Reise auf uns genommen, sie ist auch noch lange nicht zu Ende. Aber wir haben die Diagnose, unser Kind ist bei der IV angemeldet und hat somit ganz klar Unterstützung zugute! Ein wichtiger Punkt auch für die schulische Unterstützung.
    Liebe Grüsse
    kilian02

  • Unglaublich diese Zeilen zu lesen. Es kommt mir alles sehr bekannt vor. Ich habe aber alles verdrängt. Mein 23 Jähriger
    Aspergersohn arbeitet jetzt in einer Einrichtung für geistig Behinderte.
    Liebe Grüsse
    Zwilling2006

  • Die Abklärungen zogen sich über einen Zeitraum von über 10 Jahren. Viele Diagnosen begleiteten unsere Söhne, man sprach von einer schweren Schwerhörigkeit, später von einem ADHS und einmal sogar von einer neurometabolischer Krankheit sowie einer schweren Persönlichkeitsstörung (wir sollten uns auf die Möglichkeit einstellen, dass sich der Zustand unserer Söhne verschlimmern wird und sie wie ihre Schwester sterben werden). Es verwundert wahrscheinlich niemanden, dass wir das Vertrauen in die Abklärungszentren verloren haben. Am liebsten hätten wir keine Arztpraxis mehr aufgesucht.
    Zum Glück fanden wir eine Kinderärztin, der wir wieder vertrauen konnten. Gemeinsam suchten wir bei einer anderen Abklärungsstelle unterzukommen und die Diagnose, dass ihren Auffälligkeiten, eine fortschreitende Hirnkrankheit zugrunde liegt, zu wiederlegen. Nach wie vor wussten wir nicht, mit was wir es bei unseren Söhnen zu tun haben. Jedoch erklärte die Diagnose ADHS viele ihrer Auffälligkeiten. Ein Rätsel war und blieb die schwere Spracherwerbsstörung.
    Als unserer älterer Sohn in die Pubertät kam, ging es ihm immer schlechter. Er entwickelte eine Depression, von der Schule kam die Androhung eines Schulausschlusses. Es wurde eine erneute Abklärung auf der EB verlangt mit dem Ziel ihn in eine Werkklasse zu versetzen. Im ersten Moment waren wir wütend auf den Lehrkörper, welcher sich anmisst, ein Kind, das etwas anders ist, allein aus diesem Grund, auszuschliessen. Nun, wir stellten uns nicht gerade erfreut den erneuten Gesprächen auf der Abklärungsstelle. Wir waren sicher nicht mehr die einfachsten Eltern, wir konnten absolut nicht einsehen, warum das Verhalten unseres Sohnes, dass unserem Verhalten sehr ähnlich ist, nicht tolerierbar sein soll. Man warf ihm vor, dass er in den Pausen nicht den Kontakt zu seinen Klassenkameraden sucht, sondern manchmal einfach 15 Minuten lang eine weisse Wand anstarrt oder er sich in sein Buch vergräbt und liest. Er war nie agressiv oder frech, er war einfach nur in seiner Welt!


    Nach dem Gespräch auf der EB, hätte er zwar dann in dieser Schule verbleiben können. Das Ansinnen, ihn in eine Werkklasse zu versetzen, hat ihn jedoch sehr stark verletzt. Er fühlt noch heute diese Kränkung. Er wünschte sich einen Neustart in einer neuen Schule mit neuen Lehrern und neuen Mitschülern. Wir fanden zum Glück eine Privatschule, wo er sich dann sehr wohl gefühlt hat und sich optimal entwickeln konnte. Aus dem Schrecken von damals ist schlussendlich sehr viel Gutes gekommen. Hätten wir keine Androhung für einen Schulausschluss erhalten, hätten wir wahrscheinlich freiwillig kein Abklärungszentrum mehr aufgesucht. Wir hätten die Diagnosen HFA für unsere beiden Söhne bis heute nicht erhalten, und so auch nicht den Zugang zu der integrierten Schulung für den Jüngeren, und für den Älteren nicht die Lehrstelle für Informatik.


    Zum Glück werden heute Kinder, die vom Asperger-Syndrom oder HFA betroffen sind, viel früher erfasst. Seit 4 bis 5 Jahren, finden unter den Ärzten und Psychologen viele Weiterbildungen zum Thema "Asperger" statt. Mit dem Ziel, dass diese Kinder erkannt werden und die Förderung erhalten, die sie für ihre Entwicklung benötigen.


    Wenn die Kinder erst nach Jahren diagnostiert werden, bedauern wir Eltern und vielleicht auch die Betroffenen selbst, die verpassten Interventionen. Es bringt uns aber nicht weiter in Trauer und Ärger zu verharren, wir müssen nach vorne schauen und uns die Unterstützung für das betroffene Kind oder den jungen Erwachsenen holen, den es in der aktuellen Lebenssituation braucht.


    Die Ärzte und Psychologen, die die Aufgabe haben ein Kind auf Autismus abzuklären, haben es mit uns Eltern auch nicht immer leicht. Sie treffen auf Eltern, die die Wesensart ihrer Kinder als fremd/wie von einem anderen Stern empfinden, diesen Eltern ist klar, dass mit ihrem Kind irgendetwas nicht stimmt, sie kommen aber auch mit Eltern in Kontakt, die sich in ihren Kindern zu fast 100% wiedererkennen. Diesen Eltern mitzuteilen, dass ihr Kind an einer Störung aus dem autistischem Spektrum leidet, kann vielleicht zuerst auch Unglauben und Skepsis auslösen. Uns war lange nicht klar, dass unsere Kinder "anders" sind, sie waren wie wir (ausser dass sie im Spracherwerb viel massivere Probleme hatten, als wir es in der Kindheit hatten) und wir haben uns immer als "normal" empfungen! Hier ist eine Grundsatzdiskussion wichtig, welche Verhaltensweisen auffällig sind, was noch normal ist und was nicht. Die Gesellschaft hat sich verändert, ich habe den Eindruck, dass die Leute früher viel toleranter gewesen sind. Die Menschen wurden mit ihren Eigenheiten akzeptiert und toleriert. Ich denke dabei auch an die Dorforiginale, wo sind sie geblieben? Heute sollten alle in ein Schema passen, schon bei kleinen Abweichungen wird therapiert. Unsere Kinder sollen es lernen in der Gesellschaft zu bestehen, Sitten und Gebräuche müssen sie kennen und anwenden können, aber auch die Gesellschaft sollte wieder lernen einen Mensch in seiner Induivalität anzunehmen.

  • Liebe Eltern


    Liebe Fachleute


    Mein Sohn ist 17J.a und hat Asperger Syndrom. Wir haben die Diagnose vor ca. 2 Jahren, das heisst definitiv erhalten, ich habe als Mutter immer gespührt, dass mein Sohn autist ist, wagte es leider nie zu auszusprechen. Das war ein Fehler, denn wir haben 15 Jahre lang gelitten und wussten nicht, was tun. Als Mutter und dazu alleinerziehend hat man es nicht leicht, wenn ein Kind eine"Behinderung" hat....Man ist mit Vorurteilen konfrontiert und muss mit Schuldgefühlen gegenüber dem Kind leben.


    Jetzt wissen wir endlich, was mein Sohn hat, die Behördengänge waren nicht leicht aber am Schluss wurden wir gut geholfen....leider etwas spät. Die Lebensqualität von der ganzen Familie hat sehr darunter gelitten, ist immer noch so, die Isolation in der Gesellschaft ist aber sicher das Schlimmste überhaupt, denn man wird " gestempelt" als nicht gesellschaftsfähig, was überhaupt nicht stimmt


    Mein Sohn leidet noch darunter, ich denke aber nicht mehr so sehr, wie vor 10 bis 2 Jahren...er weiss er ist anders und vor allem ICH weiss das und kann dementsprend agieren und reagieren... Ein langes Lernprozess, das vielleicht noch ein paar Jahre dauen wird


    Ich als Mutter stosse oft an meinen Grenzen und wäre froh zu erfahren, ob es die Möglichkeit gäbe, einen Betreuer für meinen Sohn zu haben, der ihm hin und wieder bei Problemen unterstützt, die mein Sohn vielleicht nicht mit mir besprechen will.


    Gruss an Allen


    Saliha



    Ich wünsche uns Allen viel Mut und Kraft und bitte nicht aufgeben, denn die Kinder haben keine Behinderung sondern eine Bereicherung :) , die wie " normale" Menschen nicht haben

  • Eine Betreuung (falls du das mit Betreuer meinst), würde ich mir sehr, sehr gut überlegen.
    Welche Interessen besitzt dein Sohn? (Musst du nicht beantworten.) Vielleicht kann er darüber Menschen finden, mit denen er seine Probleme teilen könnte?
    Seid ihr wirklich isoliert?

  • Hallo Geisslein,
    Saliha fragt sich, ob sie für ihren Sohn einen Betreuer suchen soll. Kannst Du mir genauer erklähren, weshalb sie sich dies gut überlegen soll. Hast Du schlechte Erfahrungen damit gemacht? Ich frage mich drum auch immer wieder, ob ich einen Psychotherapeuten der sich mit Asperger auskennt für unseren Sohn finden sollte. Ich denke wie Saliha, dass, je mehr die Kinder in die Pupertät kommen, um so weniger wollen sie ihre Sorgen und Nöte den Eltern mitteilen. Da es auch für unseren Sohn oft schwierig ist, seinem Umfeld klar zu machen, wenn ihn etwas ängstig, Sorgen macht oder sonst wie beschäftigt, währe es manchmal gut, eine aussenstehende Person hätte in solchen Situationen ein offenes Ohr für ihn.
    Freue mich Eure Erfahrungen zu lesen
    Rosina

  • Unsere Abklärungsphase dauerte ca. 13 Jahre! Unser Sohn bekam mit 16 Jahren Ende 2008 endlich die Diagnose Asperger. Angefangen haben wir beim Kinderarzt, der uns, als er nicht mehr weiter wusste an einen Kinderpsychiater, der als Kapazität galt, weiter schickte. Dieser Psychiater weigerte sich unseren Sohn abzuklären, weil er noch zu jung sei. Er machte eine Therapie mit ihm. Aber was er eigentlich genau mit dem Kind machte, wissen wir bis heute nicht. Nach einer Zeit unguter Gefühle unsererseits haben wir bei diesem Kinderpsychiater aufgehört. In der ersten Klasse sind wir auf der Erziehungsberatung gelandet. Die Psychologin hat sich geweigert unseren Sohn abzuklären. Die Schulärztin verschrieb irgendwann eine Runde Psychomotorik. Aus Spargründen wurde die Psychomotorik wieder abgesetzt. Kurz nach dem 9. Lebensjahr machte eine Kinderneurologin die erste Abklärung und stellte Anteile von POS fest. Sie verschrieb Ergotherapie. Nach einiger Zeit wollte die Krankenkasse die Ergotherapie nicht mehr bezahlen, weil unser Sohn zu wenig behindert sei. Ca. 1 Jahr später waren wir wieder bei der Erziehungsberatung. Der Psychologe wollte zuerst eine Abklärung machen. Nach ca. 6 Monaten Wartezeit wurde die Abklärung auf der EB von einem angehenden Kinderpsychiater gemacht. Es war ungefähr die selbe Abklärung, welche schon die Neurologin gemacht hatte. Die Quintessenz dieser Abklärung auf der EB war, dass ich, die Mutter eigentlich schuld am Verhalten unseres Sohnes sei, weil sich mein Bruder das Leben genommen habe. Das Ganze dauerte vom ersten Besuch beim Psychologen bis zur Besprechung der Abklärung genau ein Jahr. Der Psychologe und der angehende Kinderpsychiater machten sich sehr grosse Sorgen um unseren Sohn und wollten ihn in die Kinderpsychiatrie einweisen, damit der angehende Kinderpsychiater noch mehr Abklärungen machen könnte. Den Psychologen hatten wir in diesem Jahr genau 2 Mal gesehen. Wir haben auf die Kinderpsychiatrie verzichtet.
    Im Jahr 2005 ist unser Sohn in der Schule ausgerastet und bekam einen Schulausschluss von 3 Monaten. Was er in diesen 3 Monaten machen sollte, war allein das Problem von uns Eltern. Weder von der Schule noch von der Schulkommission hat je jemand nachgefragt, was aus ihm geworden ist. Weil er völlig traumatisiert und verstört war, haben wir ihn dann doch schweren Herzens in die Kinderpsychiatrie, d.h. ins Neuhaus, Bern, gegeben. Von Ende April 2005 bis Anfang Juli 2006 war er dort. Die Zeit, die unser Sohn dort im Neuhaus verbracht hat, war für unsere Familie der absolute Horror. Bis heute wissen wir nicht, was die Psychologin, die für ihn zuständig war, eigentlich mit ihm gemacht. Während Monaten haben wir mit dem Oberarzt gekämpft. Als man uns loswerden wollte, weil wir darauf bestanden, dass mit uns endlich nach einer angepassten Schule gesucht würde, hiess es von Seiten Neuhaus, dass man unseren Sohn aus seinem Umfeld nehmen müsse, weil es ihm schade. Es komme nur ein Heim in Frage. Dann schickte man uns aufs Jugendamt, wo man beim ersten Gespräch zum Schein auf uns einging. Beim zweiten Gespräch war der Oberarzt dabei. Er hat von unserem Sohn wie von einem Monster gesprochen und von uns, als wären wir schwerstabhängige Drögeler oder Alkoholiker. Die Sozialarbeiterin war voll auf der Linie des Oberarztes. Wir sind heute noch überzeugt davon, dass alles schon vorher abgesprochen worden war. Komischerweise waren wir dann aber doch gut genug, um mit unserem Sohn die ganzen 5 Wochen Sommerferien zu verbringen, ohne dass irgend jemand auch nur einmal nachfragte, wie es ihm gehe. 4 Tage bevor das neue Schuljahr anfing, bekamen wir vom Heim Bescheid, dass sie die Kostengutsprache des Jugendamtes erhalten hätten...
    Nach dem "Gespräch" auf dem Jugendamt mit dem Oberarzt und der Sozialarbeiterin gingen wir direkt zum Direktor vom Neuhaus. Beim letzten Gespräch sagte er mir, dass unser Sohn nur so sei wie er sei, weil ich mich nicht ändern wolle. Was ich denn ändern sollte, konnte er mir aber nicht sagen. Dem Oberarzt war inzwischen gekündigt worden. Der Direktor sagte uns, man habe unsere Klagen ernst genommen. Immerhin.
    Nachdem unser Sohn im August 2006 ins Heim gekommen war, hatten wir ein Riesenproblem mit der Sozialarbeiterin vom Jugendamt und dazu mit dem Sozialamt. Das Heim kostete im Monat Fr. 10 000.-- plus Fr. 347.-- Nebenkosten. Obwohl unser Sohn seit einem Jahr wieder zu Hause lebt, zahlen wir immer noch ans Sozialamt für das Heim. Man hat uns buchstäblich gestraft dafür, dass wir einen Sohn haben, der anders ist als andere. Wir kamen unter die Armutsgrenze. Aber weil wir keine Sozialhilfeempfänger waren, hat das niemanden interessiert. Irgendwann haben wir einen Stadtrat eingeschaltet. Von da an ist man uns ein bisschen entgegen gekommen. Wir haben daraus gelernt, dass es ohne Beziehungen nicht geht.
    Im Dezember 2007 haben wir auf dem Jugendamt eine andere Sozialarbeiterin verlangt. Wir haben tatsächlich jemand anderes bekommen, obwohl das sonst nicht üblich sei. Die neue Sozialarbeiterin hat uns beim ersten Gespräch gesagt, dass sie denke, man müsste unseren Sohn auf der Autismussprechstunde abklären lassen. Es war das erste Mal, dass wir von der Autismussprechstunde hörten. Interessanterweise ist der Direktor vom Neuhaus auch der Chef der Autismussprechstunde. Ende 2008 bekam unser Sohn dann seine Diagnose. Von einer Sekunde auf die andere waren wir nicht mehr unfähige Eltern, die ihrem Kind schaden, sondern Eltern eines Kindes mit einer Behinderung. Wir hatten buchstäblich das Gefühl im falschen Film zu sein. Seit wir wissen, welches Problem unser Sohn eigentlich hat, ist es für uns doch einfacher geworden, damit umzugehen.
    christa]

    das ist ja der hooorror und gegen jede menschenrechte!!! ich habe, vorallem hier in der schweiz schon oft gehört dass psychiater, sog. therapeuten usw. ein leben regelrecht zerstörten. das hier tönt schon kriminell und man sollte diese leute die da im spiel waren verklagen! wenn das nur so einfach wäre.

  • Guten Abend


    Ich bin heute zum ersten Mal in diesem Forum. Ich habe ihren interessanten Bericht gelesen und habe zu meinem Mann gesagt: schau, wir sind nicht die Einzigen, die einen schweren Weg bis zur Diagnose hatten.
    Unsere Tochter wurde im März 6 Jahre alt. Wir haben am Montag nun endgültig, nach so langer Ungewissheit, die Diagnose Autismus erhalten.
    Wir sind froh, nun endlich einen Namen für das " Anderst sein" unserer Tochter zu haben.


    Da die Diagnose Autismus Spektrum Störung bis zum 5. Geburtstag gestellt werden sollte, wird es nun vielleicht schwierig bei der Anmeldung bei der IV. Wissen sie mehr darüber ? Wir können ja auch nichts dafür, dass es so lange gedauert hat, bis der richtige Arzt sie angeschaut hat.



    Liebe Grüsse
    Esther Schmid

  • Liebe Esther Schmid


    Herzlich Willkommen im Forum.


    Ich weiss dass eine nachträgliche Anerkennung bei der IV möglich ist, auch wenn die Diagnose erst nach dem 5. Lebensjahr gestellt wurde. Bedingung ist allerdings, dass man einen Nachweis erbringen kann, dass die Auffälligkeiten schon vorher bestanden haben. Dazu braucht es z.B einen Bericht eines Arztes, der ihr Kind vor dem 5. Lebensjahr untersucht hat und solche Auffälligkeiten, die zur Diagnose Autismus gehören, festgehalten hat (auch wenn er Autismus nicht erkannt hat)


    Sie haben Recht, Sie können absolut nichts dafür, dass die Diagnose nicht früher gestellt wurde. Ich wünsche Ihnen, dass es klappt.


    Infos zum Thema:


    http://www.procap.ch Rechtsdienst für Kinder mit einer Behinderung mit vielen Infos zu den Sozialversicherungen und deren Leistungen


    Buch: Was steht meinem Kind zu? Ein sozialversicherungsrechtlicher Ratgeber für Eltern von behinderten Kindern (Hrsg. Procap)


    Dort findet man wertvolle Tipps, damit man nichts verpasst.


    Herzliche Grüsse


    Taryn Kiser