Guten Morgen allerseits.
Dies wird für mich jetzt wohl einer meiner schwierigsten Beiträge, die ich je in einem Forum verfasst habe.
Denn ich habe vor lauter Gedankenkreisen keine Ahnung, womit ich beginnen sollte.
Ich versuche es mal einfach... Nehmt es mir bitte nicht übel, wenn so manches dabei durcheinander kommt.
Zunächst möchte ich mich vorstellen:
Ich bin ein 35-jähriger Schweizer aus dem Kanton Zürich.
Diagnosen wurden bei mir schon gestellt, doch habe ich das Gefühl, dass die auf mich nicht zutreffen.
Ebenfalls bin ich schon Bezüger einer IV-Rente.
Nun möchte ich erzählen, wie ich dazu gekommen bin, zu vermuten, unter einer Asperger-Störung zu leiden:
Vor 4 Tagen habe ich im Netz etwas recherchiert, und mehr zufällig als gezielt bin ich über den Wikipediaartikel zum Thema Asperger-Syndrom gestolpert.
Wissenshungrig wie ich bin, habe ich den Artikel durchgelesen und dann über Google eine weitere Seite (http://autismus.ch) gefunden.
Dort habe ich etwas über die Symptome dieser Störung gelesen und fühlte mich in einigen Belangen sehr stark gespiegelt.
Nun zum schwierigen Teil... Meine Geschichte:
Ich hatte schon von klein auf das Gefühl, irgendwie anders zu sein. Ich war immer ein Aussenseiter und lieber für mich alleine.
Wenn ich etwas Basteln konnte, meine Fantasie ausleben, war ich glücklich.
In der Schule galt ich als Sonderling, auch dort war ich ein Einzelgänger. Ich wurde von meinen Mitschülern gehänselt, die Lehrer konnten nichts mit mir anfangen. Der Schulstoff intressierte mich einen Dreck und ich sass mehr draussen auf dem Gang, wo ich das Vorrücken der Zeiger auf der Kirchenuhr beobachtete, als dass ich das was mir die Lehrer aufgaben zu lernen.
Als ich in der 5. Klasse war, hiess es dann von der Schulpflege, entweder man stecke mich in ein Schulheim (für Schwererziehbare) oder man schleife mich durch, und es sei der Schule egal, was aus mir werde.
Also wurde ich kurzerhand in ein Schulheim abgeschoben.
Die ersten zwei Jahre waren für mich die Hölle, die Lehrer kümmerten sich einen Dreck um meine Bedürfnisse und die Mitschüler schlugen mich täglich grün und blau.
Auch dort haben mich die Aufgaben herzlich wenig gekümmert, und je mehr die Lehrer Druck auf mich ausübten, desto mehr schottete ich mich ab und übte mich in passivem Widerstand.
Ich begann, Kontakt zu älteren zu suchen, gleichaltrige Jugentliche intressierten mich nicht, auch die typischen Belange der Adoleszenz (Sexualität und Drogen) waren für mich unintressant, ich hatte wichtigeres zu tun, so zum Beispiel, mich in Büchern zu verlieren.
Als Gleichaltrige noch Micky Maus und Spiderman Comics oder die Zeitschrift Bravo studierten, habe ich die Bücher von Jules Verne gelesen oder mich in mein über alles geliebtes Knaurs Jugendlexikon vertieft.
An der Seite von Professor Lidenbrock und Axel den Mittelpunkt der Erde zu suchen oder gemeinsam mit Kapitän Nemo gegen den Riesenkraken zu kämpfen, war für mich das grösste... Ich konnte all das Leid meines Alltags vergessen.
Erst in den letzten zwei Schuljahren hatte ich einen Lehrer, einen urchigen Berner, welcher mein Potential erkannte und dieses nach bestem Wissen und Gewissen förderte. Ich durfte für 2 Jahre aufblühen und meine Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Dies brachte mir gute Noten und eine Lehrstelle auf meine erste Bewerbung ein.
Ich durfte also eine Lehre als Betriebsfachangestellter bei den SBB in Angriff nehmen.
Doch auch dort wurde mir das Leben erschwert... Die Probezeit wurde verlängert und ein erfolgreicher Lehrabschluss stand in den Sternen.
Ich konnte jedoch die Lehre mit einem Schnitt von 5,1 abschliessen, etwas das niemand erwartet hat.
Nach der Lehre habe ich noch ein Jahr auf dem Beruf gearbeitet und bin dann dermassen zusammengebrochen, dass ich meine Stelle verloren habe.
Dann kam die Phase des Grübelns.
Ich verfiel in Depressionen, versuchte diese in Alkohol und Drogen zu ersäufen...
Ich wurde obdachlos und schlug mich ein halbes Jahr von Notunterkunft zu Notunterkunft durch, niemanden kümmerte es, wie ich mich fühlte niemand hörte mir zu, wenn ich nach Hilfe schreien wollte.
Unzählige Nächte sass ich auf meinem Bett mit dem Sturmgewehrlauf im Mund, den Finger auf dem entsicherten Abzug.
Und doch sträubte sich etwas in mir, mein Leben über die Kante zu werfen.
Ich kam nach dem schlimmsten halben Jahr in eine betreute WG, dort ging es wieder ein halbes Jahr lang gut, bis ich mich zu meinen Gefühlen äussern wollte, ich hatte das Gefühl, depressiv zu sein. Als ich das mitteilen wollte, stiess ich auf taube Ohren, also startete ich durch. Ein Wutausbruch meinerseits war die erste Folge und die zweite war eine fristlose Kündigung meines Wohnplatzes.
Da gab es für mich nur noch zwei Wege: der eine führte zum Flughafen Parkhaus oberstes Deck, den Taucher über die Kante im freien Fall. Der andere in die Klinik nach Embrach.
Ich habe mich für zweiteres entschieden... Ich ging in die Klinik.
Dort wurde ich erstmal mit Medikamenten vollgepumpt, die mich wohl sedierten, aber meinen Zorn und meine Gedanken nicht stoppen konnten.
wärend der Körper sabbernd und schlaff in einer Ecke lagen, arbeitete der Verstand auf Hochtouren.
Angst, Wut und Hass wechselten sich ab.
Nach 4 Monaten war dann wenigstens die Suizidalität soweit therapiert, dass man mich mit dem IV-Stempel auf der Stirn in die Obhut einer betreuten WG schicken konnte.
Dort wurde ich zuerst auch ignoriert, so dass ich einen Hilfeschrei in Form eines Strangulationsversuchs unternahm.
Nochmals 2 Monate in die Klinik.
Danach wieder zurück in die WG, wo ich über Jahre vor mich hindümpelte.
Man zwang mich zu Dingen, die mich nicht intressierten, da sie mich unterforderten und mir keinen Nutzen einbrachten.
So zum Beispiel Schleifen und Bohren von Morgens bis Abends in der Metallabteilung einer geschützten Werkstatt.
Ich langweilte mich zu Tode.
Nach 3 Jahren zog ich es vor, die Stelle in eine andere Werkstatt zu verlagern... Es blieb mir ja nichts anderes übrig, den 50% Arbeitspensum waren notwendig um meinen Wohnplatz zu erhalten. Also versuchte ich mich als Schreiner, ebenfalls in einer geschützten Werkstatt.
Fehlanzeige schon nach einem Jahr.
Dann versuchte ich mich als Fahrradmechaniker unter der Leitung eines altgedienten Polymechanikers, welcher mein Potential erkannte und mich forderte und förderte. Ich wurde zum Spezialisten für E-Bikes, Durfte sogar an den Sitzungen der Leitung mit dem Importeur teilnehmen und meine Meinung äussern.
Doch der Vertrag mit dem Importeur ging den Bach runter und mein Mentor war darüber dermassen gekränkt, dass er frühzeitig in Pension ging.
Sein Nachfolger war ein junger Fahrradmechaniker, der kein Fingerspitzengefühl hatte und mich auf die mindesten Arbeiten deklassierte.
Wieder Langeweile, wieder wurde mir gekündigt.
Dann kam die IV mit dem Angebot "Reintegrations-Massnahme", Von wegen, geistlose Arbeit in einem Lager und dazu jeden Tag 4 Stunden Wegzeit zu Stosszeiten im ÖV.
Also habe ich den Job auch schon nach ein paar Monaten geschmissen.
Die IV war natürlich nicht begeistert und hat meine Massnahmen auf bis zu einem Jahr ausgesetzt.
Glücklicherweise kam kurz darauf ein Kollege bei mir an und bot mir eine Stelle im Verkehrsdienst an.
Natürlich sagte ich zu un konnte schon bald meinen Dienst antreten.
Dies ging 2 1/2 Jahre gut, bis ich vor 3 Wochen wiederum die Kündigung erhalten habe.
Intressant war jedes Mal, wenn mir gekündigt wurde, wurde mir gesagt, dass ich ein anstrengender Mitarbeiter sei.
Nicht etwa faul oder inkompetent.
Aber ich hatte, sobald ich in den Stress kam, das Bedürfnis, den Rückzug anzutreten.
Soviel zu meiner Geschichte, aber ich bin noch nicht fertig, leider...
Nun zu meinen erkannt geglaubten Symptome:
- Ich verfüge über ein grosses Spektrum an Allgemeinbildung (Wissen ist für mich eine Art Sucht)
- Ich bin unablässig mit Informationsaufnahme und Verarbeitung derselben beschäftigt.
- Ich habe ein nahezu fotografisches Erinnerungsvermögen.
- Ich kommuniziere in Gesprächen in einer sehr bildhaften Sprache, meine Mitmenschen können meinen Gedankengängen nicht folgen.
- Wenn ich eine Idee habe, sehe ich nicht die einzelnen Schritte bis zum Produkt, sondern das fertige und funkionierende Produkt.
- Ich verkrieche mich am liebsten vor meinen Computermonitoren und befasse mich mit den Themen Programmieren und grafische Gestaltung oder gehe mit meiner Vertrauensperson zusammen in irgendeinem See auf Tauchgang, Hauptsache ich habe meine Ruhe. (Ich meide grosse Personenansammlungen und laute Orte)
- Zahlenkombinationen faszinieren mich, egal ob es die Uhrzeit die die Digitalanzeige meines Weckers anzeigt, oder das Nummernschild eines Fahrzeugs.
- Mir wird nachgesagt, dass ich mich oft sehr "geschwollen" ausdrücke.
- Ich besitze eine (bei Ausführung von Befehlen/Aufträgen) sehr niedrige Stresstolleranz.
- In Gesprächen gleiten meine Gedanken schnell in andere Sphären ab, ich kann mich nicht auf mein Gegenüber konzentrieren.
- Ich tu mich sehr schwer, über Gefühle zu sprechen, ich kann meine Gefühle nicht detailiert benennen.
Nun frage ich mich, ob all das was ich erzählt habe, die Lebensgeschichte eines Aspies darstellt.
Würde es Sinn machen, mich gezielt von einem Spezialisten darauf analysieren zu lassen, in der Hoffnung eine Diagnose auf Asperger-Syndrom zu erhalten?
Es geht mir beileibe nicht darum, den armen Mann zu markieren. Aber ich möchte endlich wissen wer ich bin und wie ich mir selbst helfen kann.
Ich möchte endlich so behandelt werden, wie es mir zusteht und von meinen Mitmenschen verstanden werden.
Ich möchte meine Stärken und meine Schwächen kundtun können.
Und vor allem möchte ich meine Selbstzweifel ablegen dürfen.
Bin ich da auf dem richtigen Weg?
Ich bin für jeden Rat von erfahrenen Aspies offen und dankbar.
Auch hoffe ich, dass ich diesen Beitrag in die richtige Sektion geschrieben habe.
Meinen Dank all denjehnigen, die so lange mitgelesen haben.
Mit freundlichen Grüssen
Euer Captn Minolta