"Arbeit ist Integration" / 2. Teil


  • Wie sich aus den Beiträgen zu " Arbeit ist Integration " ablesen lässt, ist die konkrete Hilfestellungen in dieser Thematik gesucht und die meisten Angehörigen und Selbstbetroffenen stehen alleine mit der Fragestellung da, was gibt es über Beratungsangebote von Fachstellen und/ oder IV Berufsberatungsstellen hinaus an konkrete Berufsbildungsangebote, Ausbildungsplätze, Jobcoachingangebote, Berufsabklärungsmöglichkeiten und Angebote für eine Integration auf dem 1. Arbeitsmarkt ? Diese Fragestellungen sind aktuell, können hier in diesem Beitrag jedoch nicht beantwortet werden;
    Das Interview mit Professor Dalfert soll vielmehr aufzeigen wie eine systematische und nachhaltige Integration in den 1. Arbeitsmarkt stattfinden kann und was seine Erfahrungen und Handlungsansätze in der Realisierung dieser Projekte sind. Denn Privatinitiativen/ Nischensituationen werden schon seit langem praktiziert und bringen individuell durchaus gute Arbeitssituationen hervor, doch sind diese zumeist mit erheblichem finanziellem privaten Aufwand verbunden und nicht 1:1 auf andere individuelle Situationen von Menschen des autistischen Formenkreises übertragbar;
    Daher kann es nur das Ziel sein eine Plattform zu bilden, die den Informationsaustausch von Angehörigen, Selbstbetroffenen und Fachpersonen, wie auch offizielle Kooperationspartner wie die IV/ BSV einbindet, um dann aus dieser Bündelung der Kräfte systematische und nachhaltige Grundlagen für diesen Bereich zu erarbeiten;


    Der nächste Schritt wäre dementsprechend eine Arbeitsgruppe zu bilden, die sich dieser Thematik " Arbeit ist Integration " annimmt und sich zum Ziel setzt, im nächsten halben Jahr ein Forum zu bilden. Dieses sollte dann die bestehenden Initiativen, Institutionen und Fachpersonen einbeziehen und für den deutschsprachigen Raum der Schweiz an einer systematischen und nachhaltigen Ausrichtung arbeiten.
    Die Arbeitsgruppe sollte sich ein erstes Mal im September treffen und dazu lade ich hiermit alle Interessierten ein; denkbar wäre das Treffen im Raum Bern ( bitte kontaktieren Sie mich per mail oder mobilnummer - siehe Signatur unten )





    2.Teil des Interviews von Professor Matthias Dalfert:





    Diversity Management ist ein Ansatz der auch die Komplexität der Menschen des autistischen Formenkreises einbeziehen und weiterentwickeln kann - ist dieses Konzept in Ihren Projekten als ein wesentlicher Bestandteil zu sehen und wie wird dieser Ansatz sichtbar?



    Wir haben uns bemüht, in den Projekten zur beruflichen Förderung junger Menschen aus dem autistischen Formenkreis dem individuellen Hilfebedarf zu entsprechen. Demzufolge werden sowohl in den Internaten als auch in den Ausbildungsbetrieben für diesen Personenkreis soweit möglich spezifische Rahmenbedingungen geschaffen, die eine erfolgreiche berufliche - aber auch persönliche - Entwicklung gewährleisten können. Diese galt es allerdings zunächst einmal zu erkunden (Projekt I *).
    Die Ausbilder und Sozialbetreuer der Rehabilitanden nehmen gleichfalls an begleitenden Schulungen über die Symptomatik und das Lernverhalten des Personenkreises teil. Sie erwerben notwendiges Hintergrundwissen, die sie für die bestmögliche Förderung des Personenkreises benötigen. Die berufliche Inklusion in den allgemeinen oder teilgeschützten Arbeitsmarkt kann jedoch nur gelingen, wenn eine verschiedene Lebensbereiche umfassende Förderung (in lebenspraktischer Hinsicht, in der Selbstorganisation, in der Freizeit und in der Förderung von sozialen Kompetenzen) erfolgt und ihren individuellen therapeutischen Bedarfen durch geeignete Angebote entsprochen wird.





    Der Inklusionsansatz und der damit verbundene Perspektivwechsel des Menschenbildes wird u.a. auch in den „Circles of Support and Person centered Planning“ von Boban/ Hinz erlebbar, haben Sie diesen Ansatz auch mit einbezogen? in welcher Art und Weise?



    In den Berufsbildungswerken leben und arbeiten junge Menschen mit anderen Rehabilitanden zusammen. Es wird das Ziel verfolgt, durch Fremdpraktika eine zunehmende Realitätsorientierung und Normalisierung der Arbeitswelterfahrungen zu ermöglichen.
    In regelmäßigen Fallkonferenzen, an denen auch der Proband teilnehmen kann, wird über den Entwicklungsstand berichtet und über weitere Schritte der Förderung beraten. Zuständig ist der jeweilige Fallmanager. Dies gehört seit Jahren zum Standard der Betreuung. Doch nicht alle Entwicklungsprozesse sind planbar:
    Da bspw. junge Menschen mit Autismus auch in diesen Einrichtungen vor Mobbing durch andere Auszubildende geschützt werden müssen, geht es darum, rechzeitig einen circle of friends zu bilden oder ihnen einen ‚big brother’ beizugesellen, der sie vor den Zumutungen anderer Rehabilitanden schützen kann. Dies ist erforderlich, weil die Sozialbetreuer nicht immer anwesend sein können. Insbesondere die Aufklärung der übrigen Rehabilitanden über das autistische Zustandsbild konnte merklich zur Prävention vor Mobbing beitragen und hat die Akzeptanz der jungen Menschen deutlich erhöht.





    Der Arbeitsprozess als Solches ist Mittelpunkt des Projekt Autismus I. und II.*, sind darüber hinausgehende Fragestellungen der anderen Lebensbereiche, wie z.B. die Gestaltung zukünftiger Wohnformen parallel dazu bearbeitet oder erst in einer sekundären oder gar tertiären Phase mit einbezogen worden? Mit anderen Worten formuliert: gab es eine Gleichzeitigkeit dieser Fragestellungen und damit einen wechselseitigen Input im Sinne des Inklusionsansatzes?



    Bereits zu Beginn der Projekte wurde über die Bedeutung der Bereitstellung geeigneter Wohnformen innerhalb oder außerhalb der Einrichtung nachgedacht. Nicht immer kann allerdings in Einrichtungen für ca. 350 Jugendliche den Rückzugsbedürfnissen, dem Schutz vor Lärm oder Störungen aus organisatorischen und finanziellen Gründen adäquat entsprochen werden.
    Allerdings wurden im Projekt II Fragen der künftigen Lebensperspektive jenseits der Ausbildung relevant: Schließlich kehren die jungen Menschen nach Abschluss der Ausbildung an ihren Heimatort zurück und leben meistens wieder bei den Eltern. So begannen wir, die Hintergründe dieser wenig zukunftsträchtigen, meist pragmatischen Entscheidungen zu analysieren. Es wurde offenkundig, dass das Fehlen geeigneter kleiner, gemeinwesenintegrierter Wohnformen mit den geringsten Restriktionen (WG und ambulant betreute Wohnformen) u.a. Angehörige davon abhält, den eingeleiteten Verselbstständigungsprozess fortzusetzen.

    Die in einer bundesweiten Befragung erkundeten Defizite an geeigneten Wohnformen engen selbstverständlich auch berufliche Entwicklungen ein. Man kann hier sehr wohl von einem wechselseitigen Input sprechen, da unsere Untersuchung über die Wohnformen von Erwachsenen mit Autismus m.E. die allererste Befragung der ehemaligen von Therapieeinrichtungen betreuten Personen mit Autismus war, die in Deutschland durchgeführt wurde.





    Welche Arbeitsgebiete und Organisationsstrukturen sind aus Ihrer Sicht besonders geeignet für Menschen des autistischen Formenkreises?


    Hier mussten wir unsere Vorannahmen komplett relativieren: Autistische Menschen sind so verschieden, wie die Berufe, die sie schließlich wählen. Es ist keinesfalls so, dass vor einer sicherlich erforderlichen Assessmentmaßnahme Einschränkungen gemacht werden müssen.
    Überzufällige Häufungen der beruflichen Interessen gab es lediglich im Elektronik- und Gartenbaubereich. Allerdings: In jedem Berufsbereich gilt es, den spezifischen Besonderheiten von Menschen mit Autismus Rechnung zu tragen. So bevorzugen sie Tätigkeiten, die sich wiederholen, benötigen einen festen Ansprechpartner, sollten ihre Aufgaben Schritt für Schritt erledigen können und nicht im Team arbeiten müssen. Tätigkeiten mit hohen kommunikativen Anforderungen, Tätigkeiten, in denen ständig selbstständig Entscheidungen getroffen und Prioritäten gesetzt werden müssen, Tätigkeiten mit Anleitungsfunktion sind eher ungeeignet. Bei der Durchführung der Tätigkeiten sollten sie ihr eigenes Tempo entwickeln können
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    * die Quellenbezüge sind im 3.Teil/ weiterführende Links hier in dieser Rubrik ab 2.September abrufbar