Zu bewusst nach Aussen hin und zu wenig bei mir selbst

  • Mir ist gerade etwas eingefallen, weil ich häufig darüber nachdenke wieso ich mittlerweile so bin und so denke. Denn wie ich mich seit ewiger Zeit durch das Leben und die Gesellschaft schlage, gefällt mir überhaupt nicht. Ich nehme viele Dinge sehr bewusst wahr. Meines erachtens nach viel zu bewusst.. Damit ist gemeint, dass wenn ich in Interaktion mit anderen Menschen stehe, ich viel zu "klarsichtig" bin. Ich bin dann so sehr in dieser Interaktion verwickelt, dass ich mich komplett selbst in anderen Menschen verliere. Ich fühle mich nicht mehr wie ein Individuum, sondern Teil des anderen Menschen. Ich «sehe» dann auch zu viele Dinge und zu viele Details. Meine Aufmerksamkeit ist dann zu 100% bei den anderen Menschen.


    Ich bin halt auch Asperger-Betroffene logischerweise und als Kind, besonders als Kleinkind, war ich eben typisch autistisch. Ich habe in meiner eigenen Welt gelebt, habe sehr viel später angefangen richtig zu sprechen und habe auf meine Umwelt nicht reagiert. Ich war so vertieft in meinem eigenen «sein», dass ich andere Menschen nicht beachtet oder gehört habe. Dementsprechend wurde ich (wahrscheinlich) dazu gezwungen dieses autistische Verhalten zu beenden. Und da ich ein Mensch bin der häufig nicht in der Lage ist die Mitte zu finden, tendiere ich dann zum anderen Extrem.


    Ich muss sagen, für mich ist das eine riesen Belastung und ich bin überhaupt nicht glücklich mit dieser Veranlagung. Schliesslich stecke ich immer noch in dieser Rolle fest, die eigentlich nur gespielt ist damit die anderen glücklich sind. Es ist sehr schwierig authentisch zu bleiben und sich selbst zu sein wenn man sich im Gegenüber verliert. Es gibt zu viele Dinge und Informationen die ich aufnehme und irgendwie nicht so schnell verarbeiten kann. Daher machen mir zwischenmenschliche Kontakte häufig auch heute noch überhaupt keinen Spass. Es ist gegen meine Natur. Mittlerweile bin ich erwachsen und ich wünsche mir häufig, dass ich zurück in dieses autistische Verhalten gehen könnte. Aber ich habe konstant angst was andere über mich denken, da es ja scheinbar nicht gedulded ist. Ausserdem bin ich ein sehr kreativer und enthusiastischer Mensch und «dort» kann ich erst richtig aufblühen. Und so wie jetzt kann ich meine Ressourcen nie voll ausschöpfen und meine gesamte Lebensenergie geht für andere Menschen drauf..


    Was denkt ihr dazu? Kann sich darin jemand wiederfinden?

  • Hallo


    ich kann mich sehr gut darin wiederfinden. Ich glaube, es liegt daran, dass man als AutistIn viel emotionale Empathie besitzt. Man verschmilzt sozusagen mit dem anderen Menschen, eigentlich vergleichbar mit dem Verschmelzungs- oder Vertieft-Sein-Zustand in der Kindheit, den du beschreibst mit dem Unterschied, dass man in Beziehungen sich selbst 'verlieren' kann. Ich kann dir dazu die Bücher von Henry Markram empfehlen, wenn du sie nicht schon kennst ('Intense World Theory'). Als Erwachsener maskiert und kompensiert man dann nach und nach sein Verhalten. Ich bin mich am Wiederfinden, seit ich mit dem Aspergerthema beschäftige. Einen Platz zu finden, ist sehr schwierig, ich stecke ebenfalls in diesem Prozess. Oft möchte ich die grosse Sensibilität ebenfalls einfach 'weghaben', es ist sehr anstrengend, auslaugend. Im Grunde aber möchte ich sie nicht missen, sie ist unter günstigen Umständen (die Orte der Kreativität, dort wo du aufblühst), so wie Greta Thunberg sagt, eine 'Superpower'. Ich wünsche dir viel Kraft.

  • Hallo


    ich kann mich sehr gut darin wiederfinden. Ich glaube, es liegt daran, dass man als AutistIn viel emotionale Empathie besitzt. Man verschmilzt sozusagen mit dem anderen Menschen, eigentlich vergleichbar mit dem Verschmelzungs- oder Vertieft-Sein-Zustand in der Kindheit, den du beschreibst mit dem Unterschied, dass man in Beziehungen sich selbst 'verlieren' kann. Ich kann dir dazu die Bücher von Henry Markram empfehlen, wenn du sie nicht schon kennst ('Intense World Theory'). Als Erwachsener maskiert und kompensiert man dann nach und nach sein Verhalten. Ich bin mich am Wiederfinden, seit ich mit dem Aspergerthema beschäftige. Einen Platz zu finden, ist sehr schwierig, ich stecke ebenfalls in diesem Prozess. Oft möchte ich die grosse Sensibilität ebenfalls einfach 'weghaben', es ist sehr anstrengend, auslaugend. Im Grunde aber möchte ich sie nicht missen, sie ist unter günstigen Umständen (die Orte der Kreativität, dort wo du aufblühst), so wie Greta Thunberg sagt, eine 'Superpower'. Ich wünsche dir viel Kraft.

    Ja das ist eben der Trugschluss von wegen "Autisten hätten keine Empathie", das kann manchmal sehr verwirrend sein.. Ich habe mich eben auch immer gefragt ob das auch bei anderen Menschen so ist mit dem Verschmelzen. Bei Neurotypischen ist mir das nämlich nie wirklich aufgefallen und ich denke schon, dass ich sowas merken würde. Ich denke auch, dass es auf eine grosse Sensibilität zurückzuführen ist. Ich gehöre sowieso auch zu den Hochsensiblen. Jedenfalls vielen Dank für die Antwort und die Buchempfehlung:thumbup:

  • Ja das ist eben der Trugschluss von wegen "Autisten hätten keine Empathie", das kann manchmal sehr verwirrend sein.. Ich habe mich eben auch immer gefragt ob das auch bei anderen Menschen so ist mit dem Verschmelzen. Bei Neurotypischen ist mir das nämlich nie wirklich aufgefallen und ich denke schon, dass ich sowas merken würde. Ich denke auch, dass es auf eine grosse Sensibilität zurückzuführen ist. Ich gehöre sowieso auch zu den Hochsensiblen. Jedenfalls vielen Dank für die Antwort und die Buchempfehlung:thumbup:

    Hallo zusammen,

    da kann ich nur beipflichten. Es ist ein Irrglaube, dass viele Menschen denken eine Person mit Autismus habe keine Empathie. Im Gegenteil, ich beobachte meinen Schuetzling ganz genau. Er ist voller Emphatie. Nun habe ich ihm gezeigt, was er vielleicht tun koennte, wenn ein anderes Kind weint. zB mit der Hand sanft ueber dessen Ruecken streichen, oder sogar fragen: darf ich dich umarmen?

    Das beginnt er nun umzusetzen und seine Schulkollegen sind total erstaunt, dass er sofort zur Stelle ist, wenn jemand weint. Sie freuen sich darueber.

    Mein Eindruck ist einfach, dass er keine Ahnung hat, wie er damit umgehen kann. Deshalb versuche ich ihm solche Dinge zu zeigen.

    Ich selbst bin eine "neurotypische Frau" (wie du schreibst), aber ich habe viele Aehnlichkeiten. Es faellt mir zB einfacher eher komplexe Dinge zu verstehen, hingegen bei einfachen Dingen habe ich Schwierigkeiten.

    Lange Jahre wuenschte ich mir ich waere nicht so enorm sensibel. Wuenschte mir "cooler" zu sein und nicht so voller Gefuehle. Aber mittlerweilen habe ich erkannt, dass es gut so ist. Denn diese Welt braucht Menschen mit Empathie und Gefuehlen.

    Auch bin ich sicher, dass ich genau die richtige Person bin, um den Jungen zu begleiten, weil ich eben so sensibel bin.

    Was ich empfehlen kann ist ein kreatives Hobby. Da kann man sich ausleben, vertiefen und in eine "andere Welt" abtauchen.

    Ich bin Fotografin


    HERZliche Gruesse

  • Hoi Evil Angel,


    ich habe mir seit langem genau die gleichen Gedanken gemacht. Für mich ist es wichtig Zeiten zu haben in denen ich ganz für mich allein sein kann. Vor allem nach einem Tag mit vielen Meetings, wenn auch nur online. Tut mir leid wenn es zu viel Text ist, ich hab einfach mal alles aufgeschrieben, was mir hilft, vielleicht ist ja auch nur eine Sache dabei die dir hilft, das würde mich freuen. :)


    Ich fühle mich zum Beispiel konstant in Gesprächen bewertet und überlege quasi was mein Gegenüber jetzt denkt und es ist ein bisschen wie Schachspielen. Nach 3 Monaten kommt im Job die Zeit in der ich meine Kollegen so gut einschätzen kann, dass ich vorhersagen kann, wer gerade nicht zugehört, wer gleich einen ziellosen Monolog hält, wer einen gewissen Fehler machen wird. weil er etwas falsch verstanden hat, wer etwas weitergibt und verlässlich ist und wer nicht. Das ist mir vorher nie bewusst gewesen, aber es ist eigentlich ziemlich cool wenn man realisiert dass das sehr anstrengende fokussieren auf andere auch positive Erfahrungen zur Folge hat. Geht dir das ähnlich? Kannst du in der Folge die Leute auch gut einschätzen?


    Dummerweise merken die Kollegen im Umkehrschluss leider auch, dass ich mich um Probleme kümmere und mich auch "traue" Probleme anzusprechen. Das heisst ich kann wohl eher einfach nicht nichts sagen, aber zum Glück wird mir das eigentlich nie negativ ausgelegt. Leider war das oft die Zeit in der die Meetings überproportional zugenommen haben und ich keinen Spass mehr an meinem Job hatte, da ich den nicht mehr ausführen konnte, da man meine Meinung in Problemmeetings hören will, denn ich komme ja scheinbar bei komplexen Themen draus. (Ich arbeite als Softwareentwicklerin) Ich habe mein Hobby inzwischen zum Beruf gemacht. Wenn ich programmieren darf, dann tauche ich in meinem Welt ab. Das macht so viel Spass und ich liebe es wenn ich ein schwieriges Problem lösen konnte.


    Ich habe viel gelernt in den letzten Wochen, da ich Tony Attwood auf Youtube entdeckt habe, und ich denke es ist schwer etwas jahrelang antrainiertes wieder wegzutrainieren. Was mir bis jetzt am meisten geholfen hat ist aber das Energy-Accounting. Vielleicht kennst du das ja schon.


    https://medium.com/age-of-awar…y-for-autism-3a245e34bdfb


    Solche Situationen wie von dir Beschrieben stehen bei mir auf der Linken Seite und ich habe Ihnen einen relativ hohen Wert beigemessen. Also hab ich viele Mechanismen überlegt die mir helfen diese Situationen zu vereinfachen, bzw. Alternativen die mir weiterhelfen um in meiner Freizeit die Batterien wieder aufzuladen.


    Hier meine Tipps aus dem Alltag im Büro:


    Block und Stift:

    Wenn also Kollegen zu mir kommen um mit mir über ein Problem zu sprechen, nehme ich inzwischen immer einen Block mit und schreibe die wichtigsten Punkte als Stichpunkte auf. Das gibt mir

    1. die Möglichkeit nicht ständig den anderen ansehen zu müssen und mich auf das Gesagte zu konzentrieren,

    2. Es wirkt interessiert und ich zwinge mich zuzuhören und

    3. der Gegenüber konzentriert sich auf das Wesentliche und unterbindet Smalltalk, da das aufschreiben direkt einen offiziellen Charakter hat.

    4. Das Gegenüber bleibt sachlich,

    5. Meistens dauert das Gespräch so nicht unendlich lang

    Warum das diese Wirkung auf andere hat, weiss ich nicht, hat aber noch immer funktioniert. :)


    Homeoffice:

    Mir hilft das Homeoffice wenn wir ein Onlinemeeting haben und ich nicht!!! die Kamera anhaben muss. Ich habe diese bei mir ausgeschalten und diese ist offiziell defekt. Die Bildschirme der anderen Teilnehmer blende ich mit einem Klick aus. Das hilft sehr.


    Freizeit:

    Ich arbeite nur Teilzeit um mir nach anstrengenden Arbeitstagen einen Tag Ruhe zu gönnen nur für mich.


    Meditation wurde mir auch schon angeraten, aber das hilft mir leider nicht wirklich. Aber vielleicht wäre es ja etwas für dich?


    Ich programmiere in meiner Freizeit da das ja wie erwähnt für mich eine Möglichkeit ist mich wieder zu verlieren. Es ist aber etwas das nichts mit der Arbeit zu tun hat, sondern ein eigenes Projekt.


    Reiten: Ich habe in einem anderen sehr stressigen Job damit angefangen um meine Angst vor Pferden zu verlieren. Das Striegeln war toll, das Hufe auskratzen usw. hatte bei mir auch wieder diese Wirkung des Verlierens. Und das Pferd gibt einem so viel Ruhe zurück und es ist sehr beruhigend gewesen. Ausserdem hilft das Ausreiten im Wald herunterzukommen und die Vorfreude auf den Ausritt am Abend hilft mit Stress besser umzugehen. Ich kann eine Beschäftigung mit Tieren in der Freizeit nur empfehlen. Tiere bewerten nicht. ;)


    Golfen: Mir hilft das Golfen nach der Arbeit, bzw. das Spielen auf der Driving Range. Ich kann mich auch dort komplett vertiefen und meine Akkus auffüllen. Sportarten die man wenn man möchte mit anderen, aber eben auch allein machen kann helfen, wenn sie Spass machen, um abzuschalten.


    Lesen, Netflix, Computerspiele:

    Das ist für mich ein schwieriges Thema. Ich kann mich hier auch komplett verlieren, ähnlich wie beim Programmieren aber so sehr, dass ich die Zeit vergesse, genauso wie essen und trinken. Ich stelle mir also (tagsüber) immer zu Beginn einen Timer, so blöd es klingt. Nach 1 h muss ich dann konsequent aufhören. Sonst gehen alle Aufgaben im Haushalt unter. Wenn aber gerade mal nichts zu tun ist und das Wetter schlecht ist, gibt es schon mal einen Marathon mit der Lieblingsserie auf Netflix, oder ich lese ein Buch einfach mal komplett bis in die Abendstunden durch.


    Schlaf:

    Was für mich sehr schwierig ist, da ich kein wirkliches Müdigkeitsgefühl habe, bis es dann zu spät wird, ist genug Schlaf zu finden. Übermüdung führt leicht dazu dass ich die Situationen mit anderen ewig im Kopf durchgehe und Dinge suche die ich besser hätte machen können, oder mich über Dinge ärgere, über die ich mich wenn ich ausgeschlafen würde eher amüsieren würde. Klingt selbstverständlich, aber ist ein Punkt der bei mir einen sehr grossen Einfluss hat, wenn ich also wieder eine anstrengende Woche hatte, lege ich mich an meinem freien Tag oder am Samstag einfach mal zu einem Mittagsschlaf hin. Das ist eines der eigentlich simpelsten Dinge in der Liste aber auch der schwierigste.


    Kurzum: Mir hat es in letzter Zeit sehr geholfen zu wissen, welche Situationen Energiefresser sind und welche mir Energie geben. Das hilft mir dann insgesamt besser mit den Situationen mit anderen besser umgehen zu können. Und mir ist viel klarer geworden, dass ich einfach zu wenig Freizeit hatte, die ich aber offensichtlich gebraucht habe.


    Vielleicht kannst du ja solch eine Liste für dich machen und überlegen welche Dinge dir gut tun und ob du auch die Zeit findest dich mit ihnen zu beschäftigen? Ich hoffe du hast verstanden, warum ich nicht direkt auf die Problematik eingegangen bin denn ich weiss bis heute nicht wie ich das analysieren und nachdenken nach solchen Situationen abschalten kann. :)


    Liebe Grüsse


    Cinderella