Wie Umgehen mit der besonderen Anfälligkeit von Autisten gegen sexuelle Übergriffe?

  • Hallo zusammen,


    Seit einiger Zeit fällt mir auf, dass ich Schwierigkeiten habe Grenzübertritte jeglicher Art zu erkennen. Das hängt zumindest teilweise auch mit den Asperger- spezifischen Problemen zusammen, die auftreten, wenn es darum geht Beziehungen zu anderen Menschen zu definieren und Handlungsweisen korrekt einzuordnen. Mit Handlungsweisen einordnen meine ich, zu erkennen, wann eine Handlung freundschaftlich, nur höflich oder zum Beispiel sexuell konnotiert ist.

    Schon seit meiner Kindheit beobachte ich eine sehr schematische Vorgehensweise bei mir, wenn es um das Thema Beziehung geht. Ich habe mehrer „Bedienungsanleitungen“ für zwischenmenschliche Kontakte im Kopf, die ich mir analytisch erarbeitet habe. Welche davon jeweils zum Einsatz kommt, ist bestimmt durch die Definition, die eine Beziehung von mir erhält. Da wäre eine für Freunde, eine für Beziehungen, eine für enge Familienangehörige, eine für periphere Familienangehörige, eine für Sexualkontakte und so weiter. Dieses System hat aber natürlich einige Schwächen, weil manchmal auch die Übergänge fließend sind.


    Mein Problem ist jetzt, dass ich oft, wenn Grenzübertritte (nicht unbedingt im juristischen Sinne, sondern im Sinne dieses Schemas) auftreten, ich mit der Situation heillos überfordert bin und innerlich erstarre, das bedeutet, ich kann mich aus dieser Situation nicht mehr selbst befreien oder zumindest nur sehr schwierig. Ich fange an mich stark zu bewegen und zu zappeln, in der Hoffnung das jemand die Hand wegnimmt, aber sie einfach wegzustoßen oder etwas zu sagen geht nicht mehr. Mir fällt an der Stelle eine Parallele zu schlimmen Stresssituationen auf, in denen ich in Mutismus verfalle. Auch da passiert diese Erstarrung und die Unfähigkeit zu sprechen. Von Mutismus bin ich insgesamt leider stark betroffen.


    Wenn nun aber jemand, den ich bisher in die Kategorie Freunde eingeordnet habe (das passiert sehr schnell) einen sexuellen Annäherungsversuch startet, erstarre ich und ich komme da erst langsam mit Ruhe und Zeit wieder raus. Die Folge davon ist, dass ich schon oft in Situationen geraten bin, die mich nachhaltig beschäftigt haben, weil ich mich zu Dingen genötigt gefühlt habe, die ich nicht wollte.


    Jetzt ist es aber so, dass ich auch nicht genau einschätzen kann, wann jemand wirklich übergriffig war und wann jemand mich einfach aufgrund dieses Schema-Systems überrumpelt hat.

    Leider werde ich häufig, wenn ich solche Situationen im Nachhinein anspreche als überempfindlich dargestellt oder es kommt der Vorwurf: Hättest ja nein sagen können, wenn du das nicht tust, willst du es auch.


    Kennt ihr das? Wie geht ihr damit um? Wir kommuniziert ihr diese Dinge? Ich bin für alle eure Eindrücke und Gedanken zu dem Thema dankbar, eine richtige Frage kann ich kaum formulieren, weil das gerade so aufgewühlt ist in meinem Kopf. Mit meiner Psychologin aus dem Therapiezentrum habe ich darüber bereits gesprochen, sie sagte von den Erfahrungen anderer Autisten zu hören sei an der Stelle vielleicht hilfreich.


    Ich hoffe ich habe das alles einigermaßen nachvollziehbar dargestellt. Vielleicht ist es auch einfach verrückt und unnötig, dass ich mir deswegen Sorgen mache, aber es beschäftigt mich zur Zeit sehr, nachdem ein sehr unangenehmer Zwischenfall mit jemandem passiert ist, der mich nicht richtig loslässt.


    Vielen Dank an alle schon mal.

    Fenja

  • Liebe Fenja


    Auch als NT war es für mich vor allem in früheren Jahren schwierig, Grenzüberschreitungen als solche zu erkennen und rechtzeitig zu beenden. Ich wollte "niemandem Unrecht tun", der es vielleicht nur freundschaftlich meinte. Das führte auch dazu, dass ich mich in Situationen wiederfand, die ich so nicht wollte. Ich habe erfahren, dass es vielen jungen Frauen so geht. Mir hat der Rat einer älteren Frau geholfen. Sie sagte mir: Das was für Dich eine Grenzüberschreitung ist, ist es auch. D.h. das eigene subjektive Erleben als Massstab nehmen. Und dann die Situation beenden. Wie Du eine unangenehme Situation beendest, kannst Du ja vielleicht vorher einüben, die Situationen ähneln sich ja irgendwie. Und dann bist Du vorbereitet. Eine verbale Reaktion sollte kurz und verständlich sein. Z.B. "ich möchte nicht, dass du deinen Arm um mich legst". Bei Bedarf wiederholen (wie eine Schallplatte mit Sprung), ohne in Erklärungen und Rechtfertigungen auszuufern. Man kann sich zwar blöd vorkommen, wenn man immer das Gleiche wiederholt, doch ich habe herausgefunden, dass es wirkt und es dem anderen ziemlich schnell zu mühsam wird. Bei Erklärungen kommen Gegenargumente und am Schluss kann es sein, dass Du verwirrt oder verunsichert wirst. Es ist gut, wenn Deine eingeübte Reaktion auf eine übergriffige Situation zu dir passt, so dass Du sie im Bedarfsfall einsetzen kannst. Eine hilfreiche Reaktion, die nicht einmal Worte braucht ist oft, aus der Situation hinausgehen (räumliche Distanz, weggehen, sich abwenden). Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt und das hilft Dir etwas weiter