Autistische Verhaltensweisen sind keinesfalls ‚schuld‘ an der jetzigen Krise

  • Immer wieder werden autistische Verhaltensweisen als unangebracht, als unüblich klassiert, oftmals sogar stigmatisiert.

    Zu beanstanden sind im üblichen öffentlichen Fokus vor allem die fehlende soziale Interaktion, das quasi nicht Interpretieren können sozialer Signale usw.

    Nicht selten werden autistische Menschen als Eigenbrötler, gar als Einsiedler regelrecht abgestempelt. Autistische Menschen sind Parties, ‚Glanz und Gloria‘, Ballermann und Rambazamba grossmehrheitlich eher abgeneigt. Man macht diese, eigentlich nicht unvernünftige Abneigungen, den autistischen Menschen bis vor kurzem jedenfalls, als Vorwurf. Autistische Menschen die eher zurückgezogen leben, werden als ‚gesellschaftlich abnorm‘ richtiggehend abgetan.

    Social Distancing autistischer Menschen gelten vor 10 Tagen noch sogar als eine Behinderung, die se tunlichst zu ‚beseitigen‘ gilt !!!

    Wer aber verbreitet dieser Coronavirus aktiv, wenn auch oftmals unbewusst, sicherlich nicht die seit jeher stets zurückgezogenen, autistischen Menschen.

    Daher fordere ich jetzt erst recht mehr Respekt für diese vorbildlichen autistischen Menschen.

    Damit möchte ich nur sagen, enge soziale Kontakte, emotionales Gehabe, ist bei weitem nicht immer und allzeitlich unangefochten etwas Positives.
    Weiter fordere ich, wenn die Krise, vorbei ist, signifikant mehr Hochachtung für die autistische Andersartigkeit, denn sooooo ‚daneben‘, sooooo ‚falsch’ kann diese nicht sein.

    Ballermann auf Mallorca:

  • Hallo Fritz


    Autisten befinden sich oft ausserhalb einer von der Gesellschaft definierten Norm - was Autisten dann dazu bringt zu maskieren.


    Alles, was sich nicht innerhalb dieser willkürlich definierten "Norm" befindet fällt auf und leider wertet man "unnorme" Menschen schnell ab und schliesst sie aus.

    Die Frage ist, wieviel dieses "Normdenkens" durch Sozialisierung (z.B. durch die Eltern) stattfindet und wieviel davon genetisch in uns verankert ist und Menschen deshalb so handeln lässt.


    Menschen sind auf soziale Kontakte angewiesen, ohne diese Kontakte fehlt ihnen etwas, es kann sie sogar (psychisch) krank machen.

    Das geht auch einigen Autisten, mit denen ich mich austausche und auch mir so... Es fehlt einfach etwas.

    Obwohl das Abstand viele Vorteile hat (z.B. auf der Strasse und in den Geschäften nicht mehr angerempelt werden, die Entschleunigung auf der Strasse/in den Geschäften), merke ich nach zwei Wochen Homeoffice, dass mir der Kontakt zu einer Mitarbeiterin, mit der ich sonst die 9 Uhr und 15 Uhr Pause verbringe, fehlt.

    Auch die Kommunikation ist für mich erschwert... Ich mag nicht gerne telefonieren oder per Chat/Videochat Informationen austauschen, ich persönlich bevorzuge den direkten Kontakt, auch wenn dieser anstrengend ist.


    Sprich: Menschen fällt es unheimlich schwer, soziale Kontakte mit körperlicher Nähe zu vermeiden. Sie könnten ja per Skype, Hangout, Whatsapp & co sogar Videochats führen, aber es fehlt ihnen etwas.... Die Nähe, die Vertrautheit und Verbundenheit zu anderen Menschen.



    Ich würde bei/mit Nichtautisten anders argumentieren...


    Ihnen wird jetzt per Vorgabe physische Distanz zu anderen Menschen aufgezwungen.

    Sie merken, wie mühsam und anstrengend das Einhalten dieser Vorgaben ist und wie schwer es ihnen fällt und welche Auswirkungen das auf sie hat - bis hin zu (Sprichwort) "Mir fällt Zuhause die Decke auf den Kopf".


    Autisten haben sehr oft Probleme mit vielen Menschen/vielen sozialen Interaktionen/vielen Reizen oder eben genau den Dingen, die jetzt wegen dem Coronavirus den Nichtautisten versagt bleiben.


    Daran sollte man später Nichtautisten erinnern... Was ihnen während der Zeit des Coronavirus fehlte und für viele Autisten im normalen Alltag gleichzeitig eine enorme Herausforderung darstellt und sie dazu bringt sich zurück zu ziehen bis hin zur Selbstisolation.


    Es ist wichtig, Verständnis bei Nichtautisten für Autisten zu entwickeln. Das ist durch die derzeitige Situation möglich, denn sie wird sich tief und nachhaltig in jeden Menschen einbrennen. Man wird sich auch Jahre später noch an diese Zeit erinnern.

  • Lieber Fritz

    Woher diese oft so bittere Einstellung von Dir??? Sagt man Dir oder anderen autistischen Menschen andauernd, wie verkehrt sie sind, ist das so? Ich kann mir nicht vorstellen, wo man Autist*innen dies ständig als Makel anhängt? Als Eigenheit, Andersartigkeit oder was auch immer, aber als Vorwurf? Wer will diese "Behinderung" beseitigen? Habe ich das was verpasst?

    Ich bin selber nicht autistisch, mir kommen trotzdem einige der momentanen Vorsichtsmassnahmen zugute und z.B. das Händeschütteln und anderen nicht allzu nahe kommen könnte man von mir aus gerne auch nach der Kreise beibehalten...ich verstehe nicht, worauf Du eigentlich hinauswillst? Auch autistische Menschen können das Coronavirus verbreiten, müssen ja zwangsläufig auch Geländer oder Knöpfe berühren, müssen Husten oder Niesen und all sowas, genauso wie nicht autistische Menschen...ich glaub, ich stehe auf dem Schlauch...

  • Liebe Bigmama


    ich kann die Erfahrung von Fritz, resp. was du bei ihm annimmst, nur teilen. Falls deine Frage nicht rhetorisch gemeint ist: ja, es ist so, dass man als Autist*in sich als 'falsch' und ungenügend fühlt und zwar seit Anbeginn seiner/ihrer Kindheit - solange die Gesellschaft nicht besser über ASS aufgeklärt ist und auch entsprechende Massnahmen trifft, wird dies einen - leider - ein Leben lang begleiten. Viele von uns betreiben in gesellschaftlichen Situationen 'masking', was ungeheuer anstrengend ist und oft in einen Overload führt (bei mir Migräne). Auch ich habe eine leidvolle Geschichte hinter mir, insbesondere was Ausbildung betrifft, angefangen vom Kindergarten über Primarschule bis hin zum Studium. Danach mein völliges 'Scheitern' in der Arbeitswelt. Eine überwiegende Anzahl von Asperger*innen finden keine angemessene Stelle, sehr viele arbeiten gar nicht, beziehen - im besten Fall - eine IV wie ich, die gesellschaftliche Marginalisierung ist enorm. Schliesslich: die Suizidrate ist weit höher als unter Neurotypischen. Dies hat sehr wohl gesellschaftliche Gründe und ist nicht in der 'Andersartigkeit' begründet. Auch das Thema der, wie du schreibst, 'Beseitigung' ist ein reales, nur schon daher, wie die 'offizielle' Diagnostik uns sieht (dies wäre ein Thema für sich, Stichwort ICD, resp. DSM).

    Was mir sehr am Herzen liegt: ich erwarte von 'Nichtbetroffenen' eine offene Haltung gegenüber 'Betroffenen' - nicht mehr und nicht weniger. Bitte hört uns zunächst einmal zu, was für Erfahrungen wir machen, welche allzu oft leidvollen Lebenswege wir hinter uns haben. Es gibt den Leidensdruck - und der ist gewaltig. Hierin liegt die Behinderung, und diese ist 'gesellschaftsgemacht'. Es kann sein, dass ich dich missverstehe, dein Ton indes, der aus deinem Beitrag zu sprechen scheint, kommt bei mir nicht als ein offener an, sondern als einer, der uns unterstellt, wir würden 'übertreiben', unsere Reaktion sei dünnhäutig oder unsere womöglich 'bittere Einstellung' sei schlicht nicht legitim (und genau das haben wohl die meisten von uns ein Leben lang bereits zur Genüge gehört...).

    Ich möchte noch eine Sendung verlinken. Hier erfährt man, wie ich finde, eigentlich fast alles :)

  • Liebe Fisch

    Ich bin zwar nicht betroffen, habe aber zwei Söhne mit Aspeger und bin sehr wohl auf "eurer" Seite. Mich stört einfach der Zusammenhang oben mit Corona, weder Autisten noch Nicht-Autisten sind bessere oder schlechtere Menschen. Dass Menschen mit Autismus viele negative Erfahrungen machen kann ich mir schon vorstellen und sehe ich ja logischerweise bei meinen Kindern. Dass aber Autisten sich im Gegensatz zu Nicht-Autisten betreffend Corona "vorbildlich" verhalten finde ich irgendwie, sorry, einfach Quatsch.

    Ich wollte niemanden angreifen, aber trotzdem, es gibt auch viele Menschen die Autisten gut gesinnt sind...Autisten haben auch nicht alle Verständnis und Kenntnis über diverste Störungsbilder oder Krankheiten oder?

    Alles Gute und bleibt gesund!

  • Liebe BigMama


    ja, dem kann ich beipflichten, die Behauptung, dass sich Autisten ethisch vorbildlich verhielten hinsichtlich der Coronapandemie fände ich auch absurd, denn das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich habe indes den ursprünglichen Beitrag auch nicht unbedingt so verstanden, eher als Gedankenexperiment, was normal ist und was nicht, resp. was, wie jetzt, unter veränderten Prämissen eben plötzlich normal (und geboten) ist. In einer gewissen Weise wird das Verhalten, das für uns normal ist, manchmal eben doch moralisch gewertet, z.B. wenn es als persönliche Abweisung interpretiert wird (Stichwort kein Augenkontakt, kein Smalltalk etc.) und in der Folge dann versucht wird, 'uns' gewisse Verhaltensweisen als sozial unverträglich 'abzuerziehen' - ich kann mir vorstellen, dass du im Zusammenhang mit deinen Söhnen auch schon entsprechende Erfahrungen gemacht hast. (Die Psychiatrie geht naturgemäss von einem Menschenbild aus, das zwischen krank und gesund, resp. normal unterscheidet und orientiert sich dabei u.a. an der numerischen Norm).

    Aber eben, da käme dann wieder die Aufklärung/Information ins Spiel, die Übersetzungsarbeit, quasi die interkulturelle Kommunikation. Dass Autisten auch nicht alle Verständnis und Kenntnis über andere Krankheiten - inklusive Neurotypismus :) - haben, erfahre ich auch so, zumal ja auch - und gerade - Autisten nicht gefeit sind vor psychischen Erkrankungen; resp. die Autismus-spezifischen Komorbidäten mögen bekannt sein, aber wenn - wie bei mir z.B. - biografisch bedingte psychische Störungen dazukommen - darin unterscheiden wir uns ja gerade nicht von den 'Neurotypischen', wahrscheinlich auch nicht unbedingt im Kenntnisstand darüber (ich mag den Begriff 'neurotypisch' nicht allzu sehr, weil für mich gefühlsmässig mit ihm eine gewisse Polemik verbunden ist, obwohl das wohl ursprünglich nicht so gemeint war - es geht nicht um ein 'wir gegen sie'). Es wäre aber geradezu wiederum diskriminierend, wenn von Autisten erwartet würde, 'die besseren' Menschen zu sein.

    Ebenfalls alles Gute und ebenfalls bleibt gesund!

  • Autistische Menschen sind nicht per se ‚besser‚, dem stimme ich freilich auch zu aber die allermeisten autistische Menschen (sicherlich mindestens 95%) meiden Lärm, Betriebsamkeit, Rummel, Party, Rambazamba und Ballermann.

    Es ist aber hinlänglich allseits bekannt, dass gerade grölende Ballermänner und Partylöwen den Virus im ganz besonders grossen Ausmass verbreiten und verteilen.