Ist AS bei mir wahrscheinlich? Mögliche Diffenzialdiagnostik.

  • hallo, Mir fällt schon seit Jahren auf, dass ich große Mühe habe, mich emotional in andere Menschen einzufühlen. Auch verspüre ich kein Mitgefühl, wenn ich beispielsweise von schlimmen Schicksalen höre. Ich kann mir zwar gut vorstellen, was andere Menschen in bestimmten Situationen für Gedanken habe und kann auch meistens deren Handlungen daraus abwägen. Ich kann mir jedoch nur schwer ein Bild davon machen wie sich solche Situationen gefühlsmäßig anfühlen. Das kann ich nur in Situationen, die ich selbst schon mal erlebt habe. Mit anderen Worten: Meine kognitive Empathie ist durchaus vorhanden (wenn auch eher mäßig) meine emotionale ist jedoch quasi inexistent. Das führt dazu, das ich zwar die Beweggründe der Menschen verstehen kann, ihre Gefühlsreaktionen jedoch oft als übertrieben empfinde. Wenn ich dann jedoch selber in solchen Situationen bin, verstehe ich es hinterher besser. Das zweite, was ich mir nicht erklären kann, ist die Tatsache, dass ich zu keinem Menschen eine wirkliche Bindung verspüre. Nicht einmal zu meiner Mutter. Als vor wenigen Monaten mein Opa wegen Corona im Krankenhaus war und fast gestorben ist, hat mich das kalt gelassen. Kein Gefühl der Sorge um ihn oder Ähnliches, während der Rest meiner Familie regelmässig am weinen war. Ich habe zwar einige gute Kumpels, aber keine richtigen Freunde (in Sinne einer tiefen freundschaftlichen Verbindung). Mir wäre es auch bei all diesen Leiten egal, wenn der Kontakt von heute auf morgen abbricht. Als Kind hatte ich große Angst vor dem Tod, inzwischen erfüllt mich der Gedanke ans eigene Ableben mit Gleichgültigkeit. Es ist zwar nicht so, dass ich sterben möchte, aber es wäre mir wahrscheinlich mehr oder weniger egal, wenn dem so wäre. Als ich vor zwei Jahren an einer starken Lungenentzündung erkrankt bin, haben sich meine Verwandten mehr Sorgen gemacht, als ich selber.


    Als Kind wurde bei mir AS vermutet und bei einem Spezialisten in Zürich abgeklärt. Der Grund war, dass ich Probleme in der Schule hatte und oft einzelgängerisch unterwegs war. Man kam aber zu dem Ergebnis, das es eher unwahrscheinlich sei. Allerdings lassen mich die oben genannten Dinge vermuten, dass es vielleicht doch der Fall sein könnte. Jedoch gibt es einige Dinge, die dagegen sprechen:


    Zu Ironie: Ich habe nie Probleme, diese zu erkennen. Habe einen zynischen, schwarzen Humor. Ich habe auch noch nie Redewendungen wörtlich genommen oder dergleichen.


    Meine Interessen liegen überhaupt gar nicht im Naturwissenschaftlichen Bereich. In der Schule habe ich diese Fächer nie gemocht. Ich interessiere mich eher für Sprachen, Poesie, Geschichte, Politik und Wirtschaft. Zahlen kann ich mir schlecht merken. In der Geschichte fokussiere ich mich vor allem auf die Geschehnisse und Orte, weniger auf Details wie einzelne Daten.


    Ich fühle mich in lauten Großstädten wohler als auf dem Lande. Ich finde Orte, an denen kein Trubel herrscht irgendwie deprimierend und langweilig. ich gehe gerne in Clubs, aber auch in Bibliotheken oder Museen.


    Ich habe keine Probleme mit Menschen zusammen etwas zu machen. Mache verschiedene Dinge jedoch lieber alleine.


    Meine Interessen sind vielseitig. Ich wüsste jetzt nicht, was meine Inselbegabung sein sollte. Ich bin ein sehr spontaner Mensch, der immer alles maximal planlos angeht, um sich überraschen zu lassen.


    Es kommt manchmal vor, das ich anecke, da ich impulsiv bin. Allerdings verstehe ich dann hinterher schon warum ich angeeckt bin. Ausserdem neige ich zu schnellen Wutausbrüchen. Das lässt sich jedoch wohl damit erklären, dass ich ADHD habe. Deswegen bin ich auch oft etwas verträumt.

  • Lieber FelixZRH


    Du stellst eine schwierige Frage. Grundsätzlich ist Autismus ja extrem vielseitig, der Begriff des Spektrums macht mir da durchaus Sinn. Manche Einzelteile dieses Spektrums können auch ausserhalb dieses Spektrums aufzutreten und treten beispielsweise im Rahmen von ADHD oder anderen Wahrnehmungsarten auf. Viele einzelne Symptome können aber auch einfach als Charaktereigenschaften auftreten. Selbst für Fachleute ist die Diagnose von Autismus insbesondere bei Erwachsenen sehr schwierig, von dem her wirst du in einem Forum leider kaum eine verwertbare Antwort erhalten.


    Mir stellt sich die Frage, weshalb es für dich wichtig ist zu wissen ob du Asperger sein könntest. Ist es eine Interessensfrage im Sinne einer Selbstanalyse/dich selber besser zu verstehen? Oder leidest du unter den von dir genannten Themen? Wenn ja, muss dir nicht zwingend eine Diagnose helfen sondern möglicherweise eher ein Coaching o.ä. Was mir beim Lesen deines Beitrags noch so durch den Kopf gegangen ist (ohne wirklich viel darüber zu wissen) ist der Begriff Alexithymie.


    Liebe Grüsse, bscmom

  • Vor allem, was die Sache mit der Bindung zu anderen Menschen angeht, mache ich mir Sorgen. Ich möchte schon gerne später mal eine normale Ehe mit Kindern führen. Allerdings, wenn ich nicht fähig bin, eine Frau zu lieben, macht das für mich keinen Sinn. Verlieben kann ich mich jedenfalls - ist mir auch schon mehrmals im Leben passiert. Zuletzt hatte ich mich sogar ziemlich stark in eine hübsche, kleine Italienerin verliebt (Leider hatte sie schon einen Freund). Ich habe auch keine starken Probleme im Zwischenmenschlichen - Wie gesagt: Ich verstehe schon die Beweggründe der Menschen und weiß auch, wann ich was sagen kann und wann nicht. Es fällt mir nur schwer, nachzuvollziehen, wie sich etwas gefühlsmäßig anfühlt. Ich stelle mir dann zwar die Gedanken der Menschen vor, empfinde dabei aber keine dazugehörigen Gefühle. Einzige Ausnahme ist wie gesagt, wenn ich die Situation schon mal erlebt habe und dementsprechend aus der Erfahrung schöpfen kann, wie es sich für mich selbst damals angefühlt hat.


    Ich hoffe stark, dass es nicht Autismus ist, sondern eine psychische Störung (Bindungstrauma, Alexythymie o.ä), die sich heilen lässt. Habe nämlich nicht vor, ewig so gefühlskalt zu leben.


    EDIT: Noch zum Thema Gestik und Mimik: Gestik und Mimik kann ich normal erkennen. Habe auch schon Internet-Tests gemacht, bei denen ich ein als "normal" eingestuftes Ergebnis hatte. Es sorgt dann aber nicht unbedingt dafür, dass die Gefühle dabei auf mich übergehen. Außer jemand lächelt mir zu, dann lächle ich auch. Es ist auch nicht so, dass ich keine Gefühle habe. Ich empfinde Freude, Wut, Angst, Rührung, Scham, Besorgnis, Nervosität, (oberflächliche) Zuneigung und strahle das auch in meiner Gestik und Mimik aus. (Jedenfalls sagen das meine Angehörigen, das sie keine Probleme haben zu erkennen, wie ich mich fühle). Das einzige, was ich nicht empfinde ist tiefere Zuneigung und all die Gefühle, die mit ihr einher gehen - Sich Sorgen machen, wenn es der Person schlecht geht, sie vermissen, wenn sie nicht da ist, Angst davor haben sie zu verlieren, weinen, wenn sie stirbt und so weiter.


    In sofern würde ich auch Alexythymie ausschließen, das würde ja dann alle Gefühle betreffen (denke ich). Bei mir fehlen aber nur die zwischenmenschlichen Gefühle.


    Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich seit einigen Jahren an einer Depression leide und seit etwa 12 Jahren an Zwangsgedanken.

  • Hallo Felix


    es gibt ja die Unterscheidung zwischen emotionaler Empathie und kognitiver. Ich bin 'Markramianer' (Buchtipp: Henry Markram, 'Der Junge, der zuviel fühlte'), wonach ich, entgegen dem Klischee des gefühlskalten und empathielosen Autisten, davon ausgehe, dass AutistInnen sehr wohl Empathie empfinden, aber eher emotionale und weniger kognitive (als erwachsener Aspie ist das dann aber schwierig zu eruieren, man hat sich die kognitive Empathie im Laufe des Lebens ja vielleicht ein Stück weit angeeignet). Bei mir ist dies mit Bestimmtheit der Fall. Bei dir scheint es aber ja gerade umgekehrt zu sein und deshalb scheint mir die Diagnose Autismus eher nicht zutreffend. Wenn ich dir etwas raten dürfte und dies aufgrund deiner 'Not', die aus deinen Worten spricht, wäre es eine erneute Abklärung bei einem Psychiater oder einer Psychologin. Ich denke (als Laie) da an andere (Persönlichkeits-)Störungen, die sehr wohl von (allenfalls frühkindlichen) Traumata herrühren könnten (aber ich möchte mir keinesfalls anmassen, eine Fern- oder andere Diagnose zu stellen). Alexithymie scheint mir auch weniger plausibel, da dies ja die eigenen Gefühle und jene der anderen nicht wahrnehmen bedeutete. Und erkennen, resp. wahrnehmen tust du sie ja, bei dir wie bei den anderen. Nur 'schwingt' - für dich offenbar schmerzlich so empfunden - wenig oder nichts mit und du vermisst überdies die Fähigkeit, dich mit anderen Menschen verbunden zu fühlen. Ich habe mich ein wenig mit jenen Störungen befasst, die ich vermute und ich fühle mich ein Stück weit von deinen Schilderungen gespiegelt. Auch wurde ich dahingehend fehldiagnostiziert. Falls es eine Möglichkeit gäbe, sich in privatem Rahmen (per Mail?) weitergehend darüber auszutauschen, wäre ich gerne bereit dazu (weiss aber nicht, ob und wie dies gehen könnte??).


    Auf jeden Fall hoffe ich, dass dir diese Gedanken vielleicht etwas weiterhelfen.

    Alles Gute

    Thomas

  • kleiner Nachtrag: die Unterscheidung zwischen emotionaler und kognitiver Empathie machst du ja selbst, hatte ich erst im Nachhinein beim wiederholten Lesen (wieder) bemerkt. Und manche der Punkte, die du aufführst, die für dich nicht ins Bild von ASS passen, halte ich auch für eher für Indizien, dass es sich nicht um ASS handelt (dass du Trubel magst, d.h. eher nicht unter Reizüberflutung leidest und keine Probleme hast, mit Menschen zusammen, etwas zu machen, Spontaneität, Planlosigkeit vor allem, Inselbegabung ist nicht zwingend, 'Savant-Syndrom' und ASS sind zweierlei Paar Schuhe, jedoch vielleicht wären Spezialinteressen schon typisch wie auch die Detailwahrnehmung, die bei dir ja auch eher zweitrangig ist, Interesse an Naturwissenschaften und Mathematik ist nicht zwingend, vor allem bei Frauen/Mädchen (aber auch bei manchen Männern wie bei mir z.B.) und mangelndes Ironieverständnis und wörtlich-Nehmen wäre schon auch eher vorwiegend (ausser man hat sich als Aspie die Fähigkeiten ein Stück weit angeeignet).

    Aber eben: es ist ein Spektrum (wobei die offiziellen Diagnosekriterien schon klar gewisse Eigenschaften 'verlangen', was ja auch zu hinterfragen wäre, aber es geht bei dir ja um die Diagnose und eine daraus sich erschliessende allfällige Behandlungsmöglichkeit).

  • Erst einmal vielen Dank, für deinen ausführlichen Beitrag und die dargebotene Hilfe. Welche Störungen meinst du dann könnten das sein, die deiner Meinung nach auf meine Schilderung zutreffen? Eine Trauma halte ich theoretisch für möglich. ich wüsste jedoch nicht, was dies ausgelöst haben könnte. Es sei denn, ich habe das Ereignis in meiner frühen Kindheit verdrängt. Hatte ich mal kurz an Schizoide PS gedacht. Allerdings ist meine Libido normal und ich bin auch nicht neutral gegenüber Kritik und Lob.


    Übrigens ist das mit der emotionalen Empathie nicht immer so gewesen. Ich erinnere mich, wie ich als Kind viel mehr Mitgefühl hatte als heute - Nicht nur kognitiv. Zum Beispiel habe ich Filme gesehen, wo Kinder todkrank waren und habe dann mitgefühlt und mir Gedanken gemacht, wie das wohl wäre, wenn mich so ein Schicksal ereilen würde.


    Möglicherweise verdränge ich mein Mitgefühl auch nur aufgrund meiner Zwangserkrankung. - sozusagen eine Schutzreaktion meines Geistes - Diese handelt nämlich davon, anderen Menschen etwas anzutun. Anfangs habe ich sehr darunter gelitten, weil ich den Gedanken daran schrecklich fand. Inzwischen lassen die Gedanken mich kalt, als wär ich ein Psychopath oder so.


    Nachtrag betreffend kognitiver Empathie: Ich denke im Gegensatz zur emotionalen Empathie ist kognitive Empathie eigentlich immer irgendwo angelernt. Sicher gibt es eine gewisse "Grundausstattung" mit der man geboren wird. - Sorry, dass mir keine bessere Metapher eingefallen ist :) Aber den Rest lernt man dann innerhalb des Lebens intuitiv beim Umgang mit anderen Menschen.

  • Hallo Felix


    ich möchte, wie angedeutet, eigentlich nicht öffentlich über Diagnose, oder eher das Störungsfeld, wenn man das so sagen kann sprechen, das mir in den Sinn kam, es tut mir Leid. Es ist zu komplex, auch weiss ich zuwenig von dir, und am Wichtigsten: ich bin Laie und ich kann mir aufgrund deiner Schilderungen kein 'schlüssiges' Bild machen (z.B. der Zusammenhang mit deinen Zwangsgedanken leuchtet mir nicht ganz ein), ich fühlte mich einfach stark an meine eigene Therapie- und Diagnoseodyssee (und mein 'Selbststudium') erinnert. Auch würde ich damit zu viel von mir preisgeben, gerade auch weil es missverständnisbehaftet ist. Ich würde dir raten, wenn ich dir etwas raten darf, aufgrund deines Leidensdrucks, dich abklären zu lassen und allenfalls eine Therapie zu beginnen. Traumata und Bindungsstörungen können tief in der Kindheit wurzeln. Sie sind meines Wissens grundsätzlich behandelbar, was für dich ja eine gute Nachricht wäre, wie du schreibst. Für mich war es eher umgekehrt: nach langen Therapien ist für mich Autismus viel plausibler als alle früheren Diagnosen und es war eine Erleichterung, es als 'Wesenseigenschaft' zu sehen, die eben gerade nicht therapierbar ist. Ich kann seither meine 'Defizite' viel besser akzeptieren und damit umgehen (und es gibt ja auch Stärken, die mit Autismus verbunden sind!), ich konnte mich dadurch ein Stück weit mit ihnen (und mit mir selbst) versöhnen. Bei mir vermischen sich indes Autismus mit psychischen Störungen (nicht nur komorbide). Das könnte ja bei dir auch der Fall sein, aber eben: dies sind alles nur Spekulationen und Dinge, die mir aufgrund meiner eigenen Lebens- und Leidensgeschichte durch den Kopf gehen, ich kenne dich letztlich nicht.

    Ich hatte mich auch gefragt: aus welchem Grund ist es für dich wichtig, eine Diagnose zu haben? Geht es um die Diagnose oder um eine Therapie, resp. eine Linderung? In einer Therapie steht die Diagnose gar nicht so sehr im Zentrum, sie ist in diesem Kontext quasi nur ein Werkzeug, nicht eine Beschreibung deiner Persönlichkeit oder gar deines Wesens. Das können sie gar nicht, weil Diagnosekriterien immer etwas Willkürliches haben, historisch und kulturell bedingt und niemals 'vollständig' sind (z.B. Störungen der Sinnesverarbeitung ist zurzeit (noch) kein Diagnosekriterium für ASS, dabei ist es zentral, wie ich finde).

    Vielleicht hilft dir das trotzdem etwas weiter.

    Alles Gute einstweilen.

    Thomas

  • Ah okay. Ich dachte, den Mail-Kontakt hättest du mir angeboten, weil du vielleicht dachtest, dass ich darüber nicht öffentlich sprechen will. Mir ist es grundsätzlich egal, ob andere Leute hier persönliches von mir erfahren - bin ja anonym. Aber wenn du sagst, dass deine Antwort darauf hinausläuft, auch persönliche Dinge von dir preiszugeben, nehme ich da natürlich Rücksicht darauf, wenn du das hier nicht einfach posten willst.