Abklärung sinnvoll bei Kleinkind? Vor- und Nachteile?

  • Hallo Zusammen


    Ich bin neu hier im Forum und starte gleich mit ein paar mir wichtigen Fragen.


    Unser Sohn ist 2.5 Jahre alt und bei ihm kam seit einiger Zeit der Verdacht auf, dass er dem Autismus-Spektrum angehören könnte. Vor Kurzem bekam ich einen Anruf der Sozialpädagogin (Frühförderung), die unseren Sohn und mich seit bald einem Jahr begleitet. Sie hat „unseren Fall“ mit einer Kollegin (Fachrichtung „Autismus“) besprochen und diese meinte, der Verdacht sei berechtigt und wir sollen uns im Kinderspital für eine psychologische Abklärung anmelden. Eigentlich war‘s für mich nicht überraschend, trotzdem bin ich plötzlich unsicher ob das der richtige Weg ist.


    Zur Vorgeschichte:

    Bei unserem Sohn wurde mit 4 Monaten ein Hydrocephalus (ugs. Wasserkopf) festgestellt und mit 5 Monaten operiert. Seine Entwicklung verläuft zum Glück (fast) normal, jedoch zeigte sich rasch, dass er sich in einigen Bereichen schneller entwickelt hat als in Anderen. Deshalb bekamen wir das Angebot der kantonal geregelten Frühförderung. Durch sie erfuhren wir dann auch, dass unser Sohn eine Wahrnehmungsstörung hat, welche sich jedoch rauswachsen kann. Durch unser Umfeld und die Eigenheiten unseres Sohnes, steht nun aber seit einigen Monaten das Thema Autismus im Raum, durch die Frühförderung bestätigt. Sie vermuten ihn jedoch in einem „leichten“ Spektrum, ohne grosse Einschränkungen.


    Meine Fragen nun: Sollen wir die Abklärung im Spital wirklich machen lassen? Welche Auswirkungen bzw. Einschränkungen (z.B. Autofahren, Sorgerecht für eigene Kinder, Wahlrecht) hat ein allfälliger Befund „Autismus“ auf sein späteres Leben? Sollten wir die Abklärung nicht machen, geht er nicht in der öffentlichen Schule unter?


    Ich habe so viele Fragen und weiss gar nicht wo mir der Kopf im Moment steht. Das Thema ist mir neu, ich habe mich aber bereits etwas eingelesen.


    Ich möchte für unseren Junior nur das Allerbeste! Er soll, wenn nötig, die spezielle Betreuung erhalten und trotzdem möchte ich ihm keine Steine in den Lebensweg legen. Schliesslich ist so ein Befund ja dann „fix“.


    Ich bin gespannt auf euer Feedback. Evtl könnt ihr mir die Unsicherheit etwas nehmen :-)

  • Hallo Minou,


    ich würde ein so junges Kind nicht auf eine ASS abklären lassen wollen, da viele Verhaltensweisen in diesem Alter auch bei neurotypischen Kindern noch ganz "normal" sein können. Ausserdem würde ich mir gut überlegen, welche Vorteile dein Sohn von dieser Abklärung haben könnte. Wenn es nur darum geht, Gewissheit zu haben, würde ich bis zum Kindergartenalter warten, da ich denke, dass es dann aussagekräftiger ist.


    Unser Sohn wurde mit 6 Jahren aufgrund von Problemen im Kindergarten abgeklärt und erhielt die Diagnose Asperger Autist. Mittlerweile besucht er die 9. Klasse einer Privatschule und beginnt im Sommer eine Lehre als Polymechaniker. Er hat sich in der Privatschule so toll entwickelt, dass er als ganz "normal pubertierender Junge" wahrgenommen wird. Er will auch nicht der Autist sein und hat das auch bei Bewerbungen nie erwähnt. Die Diagnose steht zwar in der Schulakte, aber für sein späteres Leben wird er entscheiden, ob er darüber sprechen will oder nicht. Somit weiss niemand darüber Bescheid und er ist auch nicht verpflichtet, darüber zu informieren.

    Ich denke, ihr müsst euch nicht grosse Sorgen machen, dass ihr eurem Sohn Möglichkeiten verbaut, wenn er eine Diagnose hat.


    Dies ist nur meine Meinung und ich bin mir sicher, andere Familien haben andere Erfahrungen gemacht. Ich wünsche euch, dass ihr die Entscheidung für euren Sohn und eure Familie treffen könnt, die für euch passt:-)


    Herzliche Grüsse


    Tabeli

  • Hallo Minou

    Unser Sohn wurde abgeklärt mit 4 Jahren, was ja auch recht früh ist. Ich habe die Abklärung selber zwar als recht langwierig, aber nie als belastend oder unangenehm empfunden. Zu jeder Zeit wurden wir gut informiert und wurde unser Sohn gut behandelt. Zweieinhalb ist tatsächlich früh. Aber zu lange warten würde ich auch nicht. Wir bekommen für unseren Sohn Hilflosenentschädigung, die wir nicht bekämen, wenn er später die Diagnose bekommen hätte (ich glaube, das Höchstalter liegt dafür bei 5 Jahren). Das bedeutet aber keineswegs, dass er jetzt für den Rest seines Lebens als IV- Fall gilt und davon irgendwelche Nachteile hätte. Bezüglich Wahlrecht, Sorgerecht etc. musst du dir keine Sorgen machen, AutisInnen haben genau die gleichen Rechte wie alle anderen auch, ausser sie sind so beeinträchtigt, dass sie einen Vormund brauchen.

    Mir persönlich hat es geholfen, eine Diagnose für unser Kind zu haben. Ich konnte mich ab da viel besser auf ihn einstellen, habe mich eingelesen, wir sind regelmässig mit dem KJPD in Kontakt, wenn Fragen oder Probleme auftauchen. Auch die Kommunikation mit Institutionen wie der Schule, Kindergarten, Hort wurde für mich einfacher. Ich weiss nicht, wie das bei dir ist, aber ich spürte lange eine grosse Last und hatte Schuldgefühle, weil ich dachte, unser Sohn zeige gewisse Verhaltensweisen, weil wir ihn schlecht erziehen (dies wurde uns auch vom Umfeld sowie von Wildfremden suggeriert). Ich lag Nächte lang wach und habe mich immer und immer wieder hinterfragt, was ich falsch mache. Mit der Diagnose fielen diese negativen, selbstentwertenden Gefühle von mir ab, was sich sehr positiv auf unseren Sohn ausgewirkt hat, denn er nimmt jede Gefühlsregung von den Erwachsenen um ihn herum wahr und ist davon schnell überfordert. Es ist bei so kleinen Kindern auch üblich, einen Test nach ein paar Jahren zu wiederholen, um eben zu vermeiden, dass ein "falsches" Ergebnis ein Leben lang anhaftet. Verlieren können du und dein Kind nichts durch eine Abklärung. Aber ein wenig warten würde bei euch auf jeden Fall noch drin liegen, wenn du ein schlechtes Gefühl dabei hast.

    Alles Gute und viel Glück weiterhin!

    Atoba

  • Hallo,

    Wir bekommen für unseren Sohn Hilflosenentschädigung, die wir nicht bekämen, wenn er später die Diagnose bekommen hätte (ich glaube, das Höchstalter liegt dafür bei 5 Jahren)

    Hilflosenentschädigung bekommt man in jedem Alter. Wir wussten lange garnicht, dass unser Sohn berechtigt ist und haben den Antrag erst gestellt, als er etwa 10 Jahre alt war. Allerdings wird Autismus nur als Geburtsgebrechen anerkannt, wenn es vor dem 6. Altersjahr diagnostiziert wird oder wenigstens ein Arzt mal einen Verdacht in diese Richtung dokumentiert hat. Das war bei uns nicht der Fall, aber die IV hat trotzdem die notwendigen Therapien bezahlt. Wir mussten einen Antrag für Übernahme von Therapien stellen, weiss nicht mehr, wie der genau hiess. Dabei hat uns die Ärztin vom KJPD geholfen. Unser Sohn hat keinen Nachteil, weil er später diagnostiziert wurde. Er hätte auch Anrecht auf Hilfe bei der Lehrstellensuche gehabt, hat dies aber nicht in Anspruch genommen, da er jetzt so prima unterwegs ist.


    Herzliche Grüsse

    Tabeli

  • Hallo Tabeli

    Die Hilflosententschädigung, die ich meine, ist ein monatlich fixer Betrag, den wir als Angehörige bekommen, da unser Sohn zu einem gewissen Grad hilflos ist und wir ja seine Betreuung übernehmen. Diesen kann man, wie du sagst, beantragen, wenn bis zum 6. Geburtstag eine Diagnose oder der Verdacht auf eine Diagnose dokumentiert ist. Wenn ihr diesen Betrag trotzdem bekommt, dann habt ihr eine sehr verständnisvolle, entgegenkommende IV (was natürlich toll ist, aber sicher die Ausnahme). Therapien sind eine andere Sache, die bekommen wir noch obendrauf bezahlt. Alles, was mit dem Autismus zusammenhängt zahlt die IV (zB Ergotherapie aufgrund des Autismus), alles andere die KK.

    Darum rate ich Minou, auf jeden Fall den Verdacht auf ASS dokumentieren zu lassen oder eben gleich die Abklärung zu machen. Klar, es ist "nur" Geld, aber es kann echt helfen, da es auch Therapien gibt, die keine IV und keine KK zahlen, die sehr teuer sind und je nach Fall hilfreich sein können (Musiktherapie, Reittherapie,...). Wir hätten die Möglichkeit für solche Therapien nicht ohne die Hilflosenentschädigung.

    Liebe Grüsse

    Atoba

  • Hallo Atoba,


    genau diese Hilflosenentschädigung meine ich auch. Wir haben zeitweise sogar Grad 2 bekommen. Ich denke, du verwechselst das Geburtsgebrechen mit der Hilflosenentschädigung. Bei unserem Sohn wurde der Autismus nicht als Geburtsgebrechen anerkannt, weil nicht vor dem 6. Lebensjahr diagnostiziert. Procap hat uns damals abgeraten, Einspruch zu erheben, da der Nutzen dieser Anerkennung nicht so gross ist. (Die anerkannten Therapien wurden über die Verfügung "medizinische Massnahmen" abgerechnet.) Allerdings haben sie dringend dazu geraten, Hilflosenentschädigung zu beantragen. Diese ist unabhängig von einer Diagnose und wird aufgrund der Hilflosigkeit des Kindes (oder Erwachsenen) beurteilt.


    Ich habe im Netz gesucht und z.B. bei Pro Infirmis dies gefunden:

    https://www.proinfirmis.ch/beh…-bei-minderjaehrigen.html


    Mir geht es nicht um klugschei.... und Recht haben. Mir ist einfach wichtig, dass "Neulinge" die Informationen bekommen, die ihnen weiterhelfen. Wir hätten uns sehr gewünscht, früher Bescheid zu wissen und nicht erst, als alles schon schwierig wurde...

    Bestimmt kennen wir alle den Spagat, dem Kind gerecht zu werden und sich selber noch Fachwissen über Autismus, Schulrecht, Volksschulamt, IV, Heilpädagogik, usw, aneignen zu müssen. Eine Schulleiterin einer Privatschule hat mir mal geraten, ein Buch über unsere Geschichte zu schreiben, weil andere Betroffenen davon profitieren könnten. (Unser Sohn war ein halbes Jahr nur zu Hause, weil er Symptome eines Schlaganfalles hatte, kaum mehr gehen und schwer sehen konnte. War zum Glück psychosomatisch und ein Schulwechsel unumgänglich. Schon die Auseinandersetzungen mit dem Volksschulamt würden die Hälfte des Buches füllen;-) ) Ups, nun bin ich abgeschweift...


    Herzliche Grüsse


    Tabeli

  • Hallo euch Beiden und vielen Dank für eure ausführlichen Antworten!


    Eure Beiträge haben mir schon sehr die Angst genommen, Danke!


    Bei uns ist es so, dass wir uns mit dem Thema Autismus gut auseinander setzen können und durch die Begleitung der Frühförderung eine super Untersützung haben und uns so, meiner Meinung nach, etwas Recherche sparen können. Obwohl ich natürlich aus eigenem Interesse viel darüber gelesen habe und ich unseren Sohn hier sehr oft wieder finde.

    Er wird Ende März 3 Jahre alt (irgendwie war ich mit der Berechnung etwas falsch). Wir haben da unsere nächste Kontrolle in der Neuropädiatrie bezüglich Hydrocephalus und werden dann unseren Facharzt, der unseren Sohn seit Geburt betreut, nochmals auf das Thema ansprechen und ihn dann allenfalls zur weiteren Abklärung anmelden.


    Vielleicht noch zur Erklärung. Gemäss Frühförderung sind die Wartezeiten in der Kinderpsychiatrie im Moment sehr lange, man muss mit einem Jahr rechnen. Unser Knirps wäre bis zur Abklärung also 4 Jahre alt, was laut Betreuerin ein gutes Alter ist.


    Wie gesagt, ihr habt mir meine Angst genommen! Ich möchte ihn wirklich nicht einschränken oder ihm einen „Stempel“ verpassen lassen. Wenn es aber so ist wie von dir beschrieben, Tabeli, dann beruhigt mich das sehr!

  • Hallo Minou,


    Das klingt nach einem guten Plan:)

    Ihr habt auch das Glück, ein gutes Netzwerk an Fachleuten um euch zu haben denen ihr vertraut, was wirklich prima ist!


    Ich wünsche euch für die Zukunft viel Vertrauen in euer Bauchgefühl und gute Menschen, die euch begleiten.


    Herzliche Grüsse


    Tabeli

  • Ich würde es nur machen wenn dein Kind deutlich Probleme zeigt die eine normale Frühförderung nicht schaffen kann.


    Denn ansonsten bekommst du die therapien nicht und schadest dein Kind auf langer Sicht.

    Um so jünger das Kind ist um so besser lernt es und hat bessere Voraussetzungen.


    Du erzählst wenig über dein Kind da kann man sich kein Bild machen.

    Wenn du sagst er wirkt für dich normal und die Frühförderung bringt was dann würde ich warten.


    Aber dein Sohn zur Liebe musst du halt abwegen wie gut er zurecht kommt und ihn dementsprechend helfen.