Demaskierung nach Diagnose im Erwachsenenalter

  • Hallo


    Kurz zu meiner Person; m, 35 Jahre, Diagnose Asperger seit 2016, zusätzlich zuvor gestellte Diagnose ADHS.

    Mit der Diagnose selbst bin ich einverstanden, da diese doch recht klar gestellt werden konnte. Man merkt mir den Autismus im Alltag so gut wie nicht an, bei der Diagnose war ich schliesslich auch schon knapp 29 Jahre alt. Somit hatte ich beine 30 Jahre Zeit um mir eine perfekte Maskierung anzutrainieren. Seit nun klar ist das ich mit meinem Sein im Autismus Spektrum anzugliedern bin, fällt es mir sehr schwer dazu zu stehen. Es gibt da einen inneren Anteil welcher schreit: "du bist Autist, leg die Maske ab und gib dich so wie du bist." Nur bekomm ich das leider nicht hin, auch jetzt 6 Jahre nach der Diagnose fühle ich mich unwohl mich "autistisch" zu zeigen, geschweige mich selbst zu outen.


    Gibt es hier andere Erwachsene welche erst spät diagnostiziert wurden? Wie geht Ihr damit um?


    Hoffe auf die eine oder andere Rückmeldung. Vielen Dank Euch.


    Alles Gute.

  • Hallo


    Nach der Diagnose dachte ich, es würde alles besser werden. Den nahestehenden Personen habe ich mich sofort «geoutet». Hier war es kein Problem, da ich mich im familiären Umfeld immer so gegeben habe, wie ich bin. Es war dann halt einfach klar, warum ich so bin, wie ich bin.


    Bei meinem Arbeitgeber habe ich nach einigen Monaten und reiflicher Überlegungen, die Karten teilweise auf den Tisch gelegt. Es war mir ein Bedürfnis wenigstens meinen Chef zu informieren - und er fragt mich nun auch regelmässig, wie es mir geht und ob alles in Ordnung wäre. Und ich kann mit ihm jetzt auch besser und offener Sprechen. Meinen weiteren Arbeitskollegen habe ich jedoch nichts gesagt. Ob es mein Chef innerhalb des Teams oder einige anderen Teammitgliedern von ich aus kommuniziert hat, weis ich nicht. Ich vermute eher nicht. Ich wurde bisher noch nie darauf angesprochen. Mein Chef hat mir jetzt auch Aufträge abgegeben, die mir besser liegen und die ich zu seiner Zufriedenheit erledigen kann. Da hat sich meine Offenheit irgendwie gelohnt. Vielleicht hat er auch Verständnis, weil er einen Sohn hat, der schwer behindert ist und sehr viel Pflege braucht.

    Da meine Erfahrungen im privaten Umfeld jedoch eher negativ sind (weiter unten), getraue ich mich dennoch nicht, auch noch meine Arbeitskollegen einzuweihen, geschweige denn mich so zu geben, wie ich wirklich bin. Ich möchte auch nicht, dass mein Chef wegen mir belastet würde, da er ja bereits privat mehr als genug Belastungen hat.


    Nun ein privates Beispiel von einem Sportverein, in welchem ich 25 Jahre Mitglied war. Ich begann dort testweise so zu sein, wie ich wirklich bin. Und ich bin kläglich gescheitert und nun nicht mehr Mitglied des Vereins. Es gab plötzlich massivstes Mobbing. Der Druck ist enorm angewachsen. Ich konnte ihm nicht mehr stand halten.


    Dann wurde ich Teil eines Fotografie-Vereins. Dort gab ich mich von Anfang an so, wie ich bin. Nach nicht mal einem Jahr wurde ich rausgeworfen - obschon ich vermutlich der beste Fotograf des Club war. Man sagte mir, ich würde mit meiner Art nicht zur Gruppe passen. Ich wäre auch zu eigensinnig.


    Das ist der Grund, weswegen ich mich beruflich weiterhin versuche anzupassen. Den Job verlieren möchte ich halt doch nicht. Wenn sich plötzlich 10 Arbeitskollegen gegen mich aufzulehnen beginnen, müsste wohl mein Chef dennoch zu meinen Ungunsten reagieren. Denn mir ist klar - ich bin das schwächste Glied im Team. Und ich bin in einem Alter, in welchem man als Autist vermutlich nicht so einfach etwas neues finden wird.


    Mein grosses Problem ist halt, dass diese Maskierung sehr viel Kraft und Energie kostet. Ich versuche aber weiterhin meine Maskierung beruflich einigermassen aufrecht zu erhalten - in der Hoffnung, das Pensionsalter rechtzeitig erreichen zu können oder wenigstens soweit zu kommen, dass ich im Alter finanziell irgendwie über die Runde kommen werde.


    Fazit: eine Demaskierung hat bei mir im privaten Umfeld nur im engsten Kreis, aber sonst nicht wirklich funktioniert. Ich habe sogenannte «Freunde» verloren und bin heute ziemlich alleine und einsam. Zudem frage ich mich, ob es überhaupt funktionieren kann, sich an einem Ort zu demaskieren, bei dem man jahrelang ein Schauspiel an den Tag gelegt hat. Die werden sich alle sagen: jetzt ist er durchgedreht - auch wenn ich mich als Autist outen würde. Ich glaube nicht, dass Menschen fähig sind, nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit plötzlich einen anderen in mir «akzeptieren» zu können, der plötzlich nur noch komisch ist.


    Das bedeutet aber nicht, dass es auch bei Dir so sein muss. Vielleicht bist du in einem besseren Umfeld drinnen, mit echten Freunden. Die würden es sicher verstehen und dich auch so nehmen, wie du wirklich bist.


    Ich weis nicht ob das für dich eine Hilfe ist. Auf alle Fälle möchte ich dir keine Angst machen.