Abklärung ja oder nein?

  • Hallo zusammen. Ich bin neu im Forum und froh, etwas aus der Schweiz gefunden zu haben. Dntschuldigt den langen Text🙈

    Im Titel steht ja schon die Frage, aber gerne hole ich etwas weiter aus:


    Timon wurde geboren und unsere Welt stand Kopf. In der 5. Lebenswoche begann er zu schreien, von 11 Uhr früh bis 23 Uhr. Ertragen habe ich das nur einigermassen draussen im Wald spazierend. Abends war mein Mann eine grosse Hilfe und hat ihn mir abgenommen. Stillen konnten wir nicht, aber Schoppen funktionierte gut. Geschlafen hat er tagsüber kaum, vielleicht mal 20-30 Minuten eingenickt vor Erschöpfung. Er schlief früh durch und wenn er mal kam, dauerte es mindestens 2 Stunden bis er wieder schlafen konnte. Wir blieben dabei im Dunklen. Aufgehört zu schreien hat er mit 6 Monaten. Aber auch da blieb er unzufrieden, Spielbogen/Spielen nur wenige Minuten. Drehen, kriechen kurz vor jährig und kaum angefangen ist er davongelaufen. Heute noch tut er etwas erst, wenn er es kann. Sprache kam langsam ab kurz vor 3 Jahren. Die KIA meinte: Zeit geben. Er hat dann sofort ganze Sätze gesprochen.

    Heute ist er 5,5, wir haben ihn zurückgehalten und er ist erst diesen Sommer in den Kindergarten gekommen. Er ist ein glückliches Kind, aber nicht unter anderen und schon gar nicht unter 18 Kindern. Er ist am liebsten zuhause und draussen mit uns, die er kennt. Er spielt anders, seine Spielsachen werden im Zimmer zu einer Baustelle verbaut, Solaranlagen, Abwasserleitungen, etc. alles wird zusammen auf einem Haufen aufgetürmt und das ist sein Spiel. Er sagt, andere verstehen nicht, was er spielt (kann ich total nachvollziehen). Er hatte nie ein Kuscheltier, Nuschi etc. seine Bücher umfassen Themen wie Bau, Astronomie, den Körper (blutkreislauf etc), Moorbeete…er weiss über diese Dinge unglaublich viel. Wenn er Die Sendung mit der Maus schaut, kann er die ganzen Dialoge wiedergeben nacher. In Zahlen ist er stark, zählt fast fehlerfrei bis 1000, kann 5-stellige Autonummern lesen; rechnen kann er nicht (er muss auch nicht natürlich!).
    er sagt, im Kindergarten ist es zu laut, hektisch, er könne sich nicht konzentrieren, zu hell. Er hält sich oft die Ohren zu und bei Anlässen müssen wir oft plötzlich heim, weil es ihm zuviel wird. Er hört nicht zu (alle Kinder in dem Alter?), man muss zu ihm niederknien und ihn bitten einem anzusehen, ansonsten sind seine Gedanken bei irgendwas (schlauem)…
    Gestern hatten wir das erste Gespräch im KIGA: er sei sprachlich und vom Wissen in speziefischen Themen und zahlen extrem weit, er ziehe sich zurück, beobachte, malen auf dem Stand eines 3-jährigen. Er mache, was er müsse, aber man merke, basteln, malen etc. interessiere ihn nicht. Er hat Mühe, Anweisungen zu folgen (mehreren Arbeitsschritten).
    zuhause sehr unruhig, kann am Tisch nicht ruhigsitzen, bewegt immer seine Arme, wir schauen, dass ausser dem Essen nichts in Reichweite von ihm ist. Auf auf dem Sofa hüpft er immer beim TV schauen, trotzdem habe ich das Gefühl, tv/Wissenssendungen beruhigen ihn. Zum Einschlafen immernoch 2 Stunden, egal um welche Zeit. Nähe schon als Baby nie zugelassen, sich abgestossen, heute noch trösten nur schwer möglich mit Umarmen. Man muss ihn kommen lassen, er geht dann aber sehr schnell wieder. Gefahreneinschätzung null! Obwohl wir seit er geht beibringen wie man über eine Strasse geht. Er rennt einfach raus! Blickkontakt wenig/selten. Eher bei Aufforderung.

    Die KIA hat uns mit vier drauf angesprochen, ich wusste immer, er ist anders, aber im Autismusspektrum? War neu. Sie hat diesen Theorie of Mind-Test gemacht und offenbar kann er sich null in jemanden hineinversetzen (mit 4). Ich habe das Gefühl, er kann es heute noch nicht, sein 3-jähriger Bruder ist besser darin. Die IF-Lehrperson meinte, dass er im Spektrum sein könnte, es gäbe deutliche anzeichen, aber er komme ganz gut zurecht, wurde uns gestern beim Kiga-Gespräch gesagt. Die Lehrperson fände eine Abklärung gut, aber aktuell nicht dringen notwendig.

    Er ist anders als die Kinder die wir kennen. Vor allem im zwischenmenschlichen. Wir sind uns sehr unsicher, wie vorgehen. Ich mag es, zu wissen, was Sache ist, aber ob wir ihn dieser Prozedur aussetzen wollen? Wie geht diese Testung? Ablauf? Viele Termine? Weiss jemand wie die Wartezeit aktuell aussieht? Dann frage ich mich, ob er einfach scheu ist und wir ein Zeugs um „Nichts“ machen.

    Überfordert…


    Herzliche Grüsse

    Angela

  • Vielleicht wäre auch ein Ersttermin bei einem Psychologen oder Psychiater sinnvoll, um festzustellen, ob eine ASS-Abklärung sinnvoll ist?

    Ich kenne die Abklärung nur bei Jugendlichen. Aber schlimm ist sie nicht, die Abklärer gehen auf die Kids ein und kennen ja ASS.

    Bei uns waren es 4 Termine, einer davon Elterngespräch, bei dreien musste das Kind Aufgaben ‚lösen‘ (tönt jetzt zu sehr nach Schule, war mehr so ‚Was siehst du auf dem Bild?‘ etc..). Zudem mussten wir Eltern mehrere Fragebögen ausfüllen.

    Ich denke, es wäre einfacher gewesen, wenn wir die Diagnose früher gehabt hätten - für unser Kind, aber auch für uns Eltern. So hätten wir schon früher besser begriffen, was unser Kind braucht, gezieltere Unterstützung organisieren können und auch die Schule wäre mehr in der Pflicht gewesen.

    Meine Erfahrung: Je älter, desto mehr fällt die Andersartigkeit auf, da die Ansprüche von aussen wachsen (soziale, Selbständigkeit etc.) und das Kind darunter leidet, anders zu sein.

    Für unser Kind, aber auch uns Eltern war die Diagnose eine Erleichterung, so schräg das auch tönt, und der Austausch mit anderen Jugendlichen im Spektrum ein riesiger Gewinn.

    Alles Gute!

  • Du sprichts mir aus dem Herzen!

    Haben diesen Februar die Diagnose ASS erhalten und unser Sohn ist jetzt aus der Schule gekommen.

    Ich mache mir auch viele Vorwürfe, dass Er nicht eher die benötigte Unterstützung bekommen hat, die Er

    gebraucht hätte.

  • Ich denke, es wäre einfacher gewesen, wenn wir die Diagnose früher gehabt hätten - für unser Kind, aber auch für uns Eltern. So hätten wir schon früher besser begriffen, was unser Kind braucht, gezieltere Unterstützung organisieren können und auch die Schule wäre mehr in der Pflicht gewesen.

    Meine Erfahrung: Je älter, desto mehr fällt die Andersartigkeit auf, da die Ansprüche von aussen wachsen (soziale, Selbständigkeit etc.) und das Kind darunter leidet, anders zu sein.

    Du sprichst mir aus der Seele! Meine Tochter hat die Diagnose im Juli kurz nach ihrem 16. Geburtstag bekommen. Während ihre ehemaligen Klassenkameraden jetzt eine Lehre angefangen haben oder ins Gymi gehen steht sie mit nichts da weil sie die gesamte Oberstufe verpasst hat. Die letzten drei Jahre sind für die ganze Familie schrecklich gewesen. Wenn wir die Abklärung früher gemacht hätten wäre vieles anders gelaufen. Als Asperger ist meine Tochter in der Schule aber nie aufgefallen und es hat keinen Grund für irgendwelche Abklärungen gegeben. Erst als in der Oberstufe sozial mehr verlangt wurde ist es nicht mehr gegangen. In der Primarschule hat sie manchmal gesagt, dass die anderen anders sind als sie. Doch anders sein ist nicht schlimm und sie hat eine tolle Freundin gefunden. Grundsätzlich ist die Art wie unsere heutige Gesellschaft funktioniert mit schuldig weil alles so schnellebig ist und schon in der Schule ein extremer Leistungsdruck herrscht. Von der Primarschule in die Oberstufe nimmt dieser sprunghaft zu. Das ist schon für neurotypische Kinder eine Herausforderung.

    Meine Tochter will trotz allem was passiert ist einen Schulabschluss machen und wir stehen vor der Herausforderung eine passende Schule für sie zu finden.

    Da ich manche Dinge wie meine Tochter erlebt habe, aber lange nicht in dem Ausmass, und meine Mutter Parallelen sieht stellt sich die Frage ob ich mich auch abklären lassen soll. Was meint ihr?

  • Angela1981

    Liebe Angela

    In vielem gleicht eure Geschichte der unseren. Ich kann euch gut verstehen. Wir haben zwei Töchter (5J Im Autismusspecktrum und 8J) Als unsere jüngere Tochter 3 Jahre alt war, fügten sich die Puzzlestücke plötzlich in meinem Kopf zusammen. Auch ohne Diagnose ahnte ich das die Diagnose ASS auf sie zutreffen wird. Vorher hatten wir viele Probleme, viele davon hast du auch beschrieben. Wir lasen alles was uns zu diesem Thema in die Finger kam und begannen sie anders zu Führen und zu begleiten. Viele Probleme wurden dadurch schon etwas kleiner. Aber wir waren so an unseren Grenzen, das wir wussten, wir brauchen Hilfe. Der Kinderarzt bestätigte mein Verdacht und meldete uns zur Abklärung an.

    Parallel meldete er uns für den Früherziehungsdienst an, welchen wir als sehr wertvoll erfahren.

    Einer der Hauptgründe weshalb wir dies so früh taten war, dass sie im KIGA mehr Ressourcen für sie freistellen können, wenn schon eine Diagnose vor Eintritt steht. Wir hatten enormes Glück und kamen gut durch die Abklärungen. Im KJPD sagten sie uns das wir bis zu 1,5 Jahre auf eine Abklärung warten müssen...oder noch länger. Ich machte mich also auf die Socken und Telefonierte die ganze Liste ab mit Psychiatern, Psychologen...die sie uns auf dem KJPD noch mitgaben. So fand ich einen der uns schon nach 3 Monaten nahm :) Es lohnt sich NICHT auf das KJPD zu warten und selber aktiv zu werden. So hatten wir die Diagnose noch vor KIGA Eintritt und sie hatten genügend Zeit um für unsere Tochter eine 1 zu 1 Betreuung zu organisieren welche alle KIGA Tage von ihr abdeckt.

    Sie freute sich auf den KIGA und durch diese Vertrauensperson die ihr an die Seite gestellt wurde, wurde sehr viel mehr möglich als wir gedacht haben. Mittlerweile agiert unsere Tochter mit so viel Selbstvertrauen, dass sie ihre Begleiterin (wie unsere Simea ,sie nennt ;) oft nicht mehr nur bei ihr ist. Natürlich wissen wir, das wir mit der Schule, der Schulleitung und dem ganzen Betreuungsteam das grosse Los gezogen haben. Aber sie sagen uns immer wieder, dass wenn wir nicht so früh abgeklärt hätten und selber proaktiv wurden, sie nicht so eine Lösung hätten anbieten können.

    So ermutige ich alle, wartet nicht bis es in der Schule Probleme gibt, sondern geht proaktiv auf die Schule zu wenn ihr ein ASS beim Kind vermutet. Ich hoffe ich konnte dir Angela damit etwas helfen.

    Ich wünsche euch eine gute Entscheidungsfindung in all dem. <3

    Herzlich Miriam

  • Miriam So schön, dass ihr alles so früh abklären konnten. Wir haben mit dem Abklärungstermin auch Glück gehabt - beim KJPD selber. Man hat mir dort auch gesagt wo ich überall anfragen kann für eine Abklärung und von Anfang an gesagt, dass es gut 2 Jahre gehen könne bis wir irgendwo einen Termin bekommen. Gleichzeitig haben sie meine Tochter zusätzlich auf die eigene Warteliste genommen. Ich bin froh gewesen darum weil alle die ich irgendwie angefragt haben entweder gar keine neuen Abklärungen mehr gemacht haben weil ihre Warteliste zuerst dran ist und es vorläufig einen Aufnahmestop gibt oder es noch viel länger gegangen wäre. Das KJPD ist am schnellsten so weit gewesen. Wir haben danach zwar nur eine Verdachts Diagnose bekommen, aber damit auch einen Wegweiser was nötig ist um die Diagnose zu bestätigen - Beobachtung über einen längeren Zeitraum.

    Meine Tochter ist in der Schule aber immer unauffällig gewesen und erst der grosse Sprung in die Oberstufe hat die "Probleme" offen gelegt. Laut der Psychologin von meiner Tochter ist das schon fast Standard bei Aspergern weil die Sozialen Anforderungen plötzlich massiv steigen. Das ist der Auslöser gewesen um überhaupt etwas zu unternehmen. Es hat nie jemand gesagt,dass man meine Tochter vielleicht abklären müsste. Die Mädchen haben da ihre Anpassungs-Strategie: sei wie die Anderen, pass dich an, gib dir Mühe in der Schule und mach gute Noten. Das kann so weit gehen, dass Verhaltens weisen der anderen Màdchen "kopiert" werden! Meine Tochter hat zwar die anderen Mädchen nicht "kopiert", aber Anpassung und nicht auffallen hat sie perfekt beherrscht. In der Oberstufe hat das dann nicht mehr funktioniert... Das ist jetzt drei Jahre her.