Gemeinsam Kugeln sammeln

  • Unser Sohn mit atypischem Autismus kann Kugeln "sammeln" wenn er bestimmte Verhaltensweisen zeigt. Unsere beiden Töchter wollten auch Belohnungen bekommen. Deshalb besprachen wir auch mit ihnen, womit sie sich eine Kugel "verdienen" können. Jetzt sammeln alle drei Kinder ihre Kugeln in einem gemeinsamen Glas. Sobald die Kugeln eine Markierung erreicht haben - gehen wir miteinander ins Kino.
    Bis jetzt klappt es wunderbar. Wir können schon bald das Kinoprogramm studieren :)

  • Lieber Herr Lügstenmann


    Haben Sie vielen Dank für Ihren tollen Beitrag! Erwünschtes Verhalten durch Belohnung zu verstärken beschäftigt auch uns jeden Tag. Und es ist schön zu sehen, wie diese Strategie wirkt und unser Sohn weiterkommt. Was ich besonders interessant finde ist Ihre Strategie, diese Strategie quasi familienweit anzuwenden (was tun den Vater und Mutter... ;) da könnten wir vielleicht noch sehr direkt etwas lernen). Jeder arbeitet auf seine Weise mit und leistet den Beitrag, den er leisten kann. Das Ergebnis ist aber für alle dasselbe - ein gemeinsames Kinoerlebnis. Auf jeden Fall wünsche ich der ganzen Familie, dass es bald soweit ist (Alice im Wunderland - in 3D natürlich - steht derzeit bei unserem Sohn ganz oben auf der Liste).


    Was mich interessieren würde: Kennen Sie den Ausdruck "Schattenkinder"? Man meint damit die Geschwister von Kindern mit einem Handicap. "Schattenkinder" deshalb, weil vermutet wird, dass die erhöhte Aufmerksamkeit der Eltern auf Kosten der Geschwister geht.


    Was denken Sie dazu (andere Forumteilnehmer dürfen gerne auch Feedback geben)?


    Nochmals vielen Dank für Ihren Beitrag


    Thomas Ulrich

  • Wenn man so will, bin ich ja eigentlich auch ein Schattenkind, also die Schwester eines Jungen mit Autismus. Doch ich kann ganz offen sagen, dass ich mich nicht wirklich als Schattenkind fühle. Klar, manchmal fühlt man sich vielleicht ungerecht behandelt, oder hat das Gefühl, die Eltern mögen den Andern lieber, doch ich denke, das kommt bei allen Geschwistern vor, mit oder ohne Autismus.

  • Lieber Herr Ulrich


    mir ist beim Schreiben auch aufgefallen, dass wir Eltern (noch) keine Kugeln sammeln. ;)
    Das müssen wir dringend ändern, denn schliesslich wollen wir ja auch möglichst bald ins Kino.
    Danke für den Filmtipp. Wir nehmen den Vorschlag gerne in unsere Debatte über die Filmauswahl auf.


    Zum Thema Schattenkinder: Ich beobachte bei uns zwei Dinge dazu. Erstens versuchen wir immer wieder ganz bewusst den anderen Kindern einzeln Aufmerksamkeit zu geben. Da uns dies wohl nicht immer ganz so gut gelingt, wie wir das möchten, machen sich -zweitens - die Geschwister dann auch mal auf die eine oder andere Art deutlich bemerkbar.
    Bei uns beeinflusst vermutlich die Geburtsreihenfolge der Kinder die Erziehungsunterschiede stärker, wie der atypische Autismus von unserem Ältesten.


    freundlicher Gruss
    Gaudenz Lügstenmann

  • Was mich interessieren würde: Kennen Sie den Ausdruck "Schattenkinder"? Man meint damit die Geschwister von Kindern mit einem Handicap. "Schattenkinder" deshalb, weil vermutet wird, dass die erhöhte Aufmerksamkeit der Eltern auf Kosten der Geschwister geht.

    Lieber Herr Ulrich
    Eins unserer "Schattenkinder", unsere inzwischen 19-jährige Tochter, hat in ihrer Matura-Arbeit über Asperger-Autisten das Thema gestreift. Sie selber beobachtet, dass "Schattenkinder" oft eine ganz besondere Sozialkompetenz entwickeln. Wir können bestätigen, dass sie, ihr Bruder (und andere uns bekannte Autisten-Geschwister) emotional stärker sind, weil sie sich ja manchmal für ihren Bruder "schämen" müssen; sie lernen, mit Andersartigkeit umzugehen, verschiedene Aspekte eines Themas zu sehen (wozu einen Autisten ja zwingen) und haben ganz allgemein ein grosses Herz. So gesehen hat unser Asperger seinen Geschwistern indirekt auch viel gegeben. (Aber das Zu-kurz-Kommen gibt es natürlich auch, besonders, solange die Kinder jünger sind.)

  • Liebe Forumteilnehmer, Eltern, Geschwister - und Sonnenkinder


    Die Anzahl der Reaktionen zeigt eindrücklich, wie wichtig das Thema ist. Ohne Zweifel stellt das Leben in den Familien mit einem Kind mit Autismus eine besondere Herausforderung dar. Oft wird es wohl so sein, dass die Geschwister schon früh ihren Teil mitzutragen haben und auch im gewissen Sinne mehr Verantwortung übernehmen müssen. Das bildet starke, selbstsichere und einfühlsame Menschen aus. Menschen, die sich auch in einem herausforderndem Umfeld behaupten können. Ohne dies zulasten des anderen tun zu müssen, denn sie wissen genau, dass ihr Geschwister ganz besonders auf ihren grossen Goodwill angewiesen ist. Und sie werden auch rasch verstehen, dass sie für diesen extra Effort nicht einmal viel Dankbarkeit erfahren - zumindest nicht unmittelbar und nicht vom Betroffenen selber. Aber sie werden robust, lebenserfahren, agil und äusserst konfliktfähig. Ich freue mich, dass wir solche Menschen in die Welt hinaus lassen.


    Als Eltern sehen wir unsere Rolle in erste Linie darin, das nicht autistische Kind zu stützen, immer wieder unsere grosse Anerkennung auszusprechen und niemals die Ewartung aufkommen zu lassen, das Geschwister müsse einen Teil der 'Last' (für uns Eltern) tragen. Das ist auch gar nicht nötig. Denn in jeder Familie, die diesen Namen verdient, steht man gegenseitig für sich ein. Bei uns stehen nun einfach die einen etwas mehr für Den Einen ein.


    Deshalb scheint es tatsächlich nicht viele Schattenkinder zu geben - zumindest nicht in unserer Forengemeinschaft - was mich ganz ausserordentlich freut!


    Thomas Ulrich

  • Hallo


    Ich sehe gerade dass der betreffende Beitrag schon bald genau ein Jahr her ist..
    Ich möchte das Sammeln der Kugeln gerne ausprobieren, obwohl wir bis jetzt leider nicht so erfolgreich waren mit solchen Belohnungsstrategien.
    Vielleicht gehe ich das Ganze aber auch nicht richtig an..?
    Deshalb meine Fragen:
    Für was als Beispiel gibt es eine Kugel? (auch Ideen für Mama und Papa) und
    wie und wann vor allem??
    Also wir haben nun das Problem das Junior (NT..?) immer Dinge wirft wenn er gerade wütend ist. Das Werfen bringt dann den autistischen Bruder völlig aus der Fassung. Er reagiert mit brüllen worauf dann das Ganze vollends eskaliert und sich die Beiden ständig wortwörtlich in den Haaren liegen :S
    Jetzt würde ich gerne angepasstes Verhalten mit diesen Kugeln belohnen.
    Ich stell mir vor, dass der "Kleine" statt zu werfen zu mir kommt und dafür belohnt wird. Der "Grosse" ebenso fürs zu mir kommen statt zu brüllen. Aber ob sie diesen Weg schaffen?
    Da es aber ja ein Wechselspiel ist, kann ich wohl nun nur Ersteres einmal angehen und muss für den "Grossen" eine andere Aufgabe suchen.
    Ich finde es immer schwierig mit dem Umsetzen, da die Situationen immer so komplex sind..
    Ein Belohnen für "essen mit Gabel" wäre da irgendwie einfacher finde ich, als wenn es um soziale Verhalten geht.
    Geht euch das auch so?
    Und wie timet ihr das Ganze?


    lg, bin gespannt auf Ideen
    dani

  • Das Thema "Kugeln sammeln" gehört in den Bereich des Arbeitens mit Belohnungen bzw. mit Verstärkern. Es sind dies Elemente aus der Verhaltenstherapie. Auf den ersten Blick sieht das ganz einfach aus. Ich möchte aber doch sehr empfehlen, dies in Zusammenarbeit mit einem Therapeuten/einer Therapeutin umzusetzen, der/die verhaltenstherapeutisch arbeitet.
    Im Grunde genommen ist das Arbeiten mit Belohnungen und Verstärkern Teil jeder Erziehung. Das geht von der Kindheit bis ins Erwachsenen-Alter. Wer würde z.B. das ausgeliehene Buch rechtzeitig in die Bibliothek zurückbringen, wenn es keine Mahngebühren gäbe?
    Bei Kindern mit Problemverhalten wie z.B. Autismus-Spektrum-Störungen sind Verstärker-Systeme sehr wirksam, aber es ist wichtig, eine auf das Kind individuell angepasste und längerfristige Strategie zu erarbeiten. Erst dann kann man von Verhaltenstherapie reden, und dazu braucht es - jedenfalls am Anfang - professionelle Unterstützung.

  • Und sie werden auch rasch verstehen, dass sie für diesen extra Effort nicht einmal viel Dankbarkeit erfahren - zumindest nicht unmittelbar und nicht vom Betroffenen selber. Aber sie werden robust, lebenserfahren, agil und äusserst konfliktfähig. Ich freue mich, dass wir solche Menschen in die Welt hinaus lassen.


    Deshalb scheint es tatsächlich nicht viele Schattenkinder zu geben - zumindest nicht in unserer Forengemeinschaft - was mich ganz ausserordentlich freut!


    Thomas Ulrich

  • Thomas Ulrich

    Lieber Herr Ulrich,

    ich weiß, diese Beiträge sind schon recht alt, da mich dieses Thema aber brennend interessiert, schreibe ich dennoch darauf.

    Ich bezeichne mich nicht als Schattenkind, da der Autismus meines Bruders in meiner Kindheit keinen großen Einfluss auf mein Aufwachsen hatte. Allerdings die vergangenen 15 Jahre - jetzt bin ich 45.

    Ihre Beschreibung, wie Geschwister werden können, trifft auch auf mich zu. Dennoch muss ich sagen: Das alles ging schon auch sehr auf meine Kosten, mein Leben hätte sich ganz anders entwickelt, wäre mein Bruder nicht im ASS.

    Er und ich sind in anderen Zeiten aufgewachsen, als sie jetzt sind. Ich kann mir vorstellen, dass es Geschwisterkinder mit dem Wissen und der Offenheit heute leichter haben.

    Ich habe bessere und schlechtere Tage, wobei erstere zum Glück bei Weitem überwiegen. Zur Zeit sind es jedoch eher schlechtere und ich empfinde es momentan als sehr schwer, ein Geschwisterkind im ASS zu haben, das aggressiv, unnahbar und unselbständig ist.

  • P.S.: Ich wünschte, ich hätte den Post positiver beenden können, da ich generell ein positiver und freundlicher Mensch bin. Doch wie geschrieben: Zur Zeit finde ich es schwer.

    Ein Punkt ist auch: Ich habe bisher keine anderen, erwachsenen Geschwister gefunden, die Ähnliches erlebt haben und mit denen ich mich austauschen könnte. Ich bin in einer Angehörigen-Gruppe, aber dort sind nur Eltern von eher jüngeren ASS-Kindern.

    Liebe Grüße!