Beleidigende Feststellungen

  • Hallo


    Unser Ältester hat die wirklich mühsame Angewohnheit, alles was er feststellt gleich zu kommentieren und in den meisten Fällen sehr negativ der jeweiligen Person mit zu teilen.
    So kann es geschehen, dass er über das Unwissen einer Person herfällt und diese als mit zu wenig Hirn bestückt betitelt. Oder seinen kleineren Bruder dauernd als blöd hinstellt wenn er nicht das selbe Wissen wie er selbst an den Tag legt. Oder nahe stehende Personen bei nicht ganz Regel konformen Verhalten sofort völlig entwertend beschimpft.
    Klar ist mir, dass vieles von seinem Verhalten mit dem mangelnden spüren oder verstehen von der Gefühlswelt des Gegenübers zusammen hängt.
    Nur ist sein Verhalten vielfach so beleidigend, dass das Wissen um seine Schwierigkeit nicht reicht, sondern schnellst möglich Strategien hin müssen um diese beleidigende und entwertende Art zum verschwinden zu bringen.


    Wer kennt dieses Verhalten auch und weiss Tipps und Tricks?


    Grüsse bronti

    KENNTNIS IST KEINE BÜRDE, TOLERANZ KOSTET NICHTS; VIELFALT IST NICHT GEFÄHRLICH.

    Susanne Schäfer

  • Hallo Bronti


    Wir kennen diese Situationen auch! Heute nur noch von unserem Jüngeren. Wenn ich im Vorfeld einen Kommentar fürchte, versuche ich ihm zu erklären, wie dies auf die Person wirken könnte. Nicht immer versteht er den Unterschied zwischen einem Kommentar (den er glaubt anbringen zu müssen/können) und einer Beleidigung. Da solche Kommentare kränken können, versuche ich mit ihm zu verhandeln, dass er in solchen Situationen auch Schweigen kann und darf.


    Für ihn stellt sich dann die Frage, warum wir verlangen, dass er "Lügen" solle, da er ja seine Wahrheit nicht sagen darf? Wir versuchen ihm den Sinn einer Notlüge nahezubringen. Dass die meisten Menschen, dies im Umgang untereinander auch anwenden, weil so niemand verletzt wird. Bis heute sieht er jedoch keinen Sinn dahinter, er wundert sich nur, warum die anderen einander so selbstverständlich und ohne schlechtes Gewissen, anlügen und warum dies o.k. sein soll.


    Zum Glück reagiert unser Umfeld, da sie ihn kennen, humorvoll auf seine Bemerkungen. Im Grunde genommen, sind sie ja meistens wahr und oft auch treffend!


    Zuhause arbeiten wir solche Begegnungen nach. Wir versuchen ihm aufzuzeigen, mit welchen Bemerkungen, er jemanden gekränkt oder beleidigt hat.
    Wir versuchen mit ihm hinauszufinden, was ihn kränken kann und bei welchen Erlebnissen er sich schon beleidigt gefühlt hat. Wir versuchen ihm zu vermitteln, wann er Notlügen einsetzen könnte und dürfte (er macht es bis heute noch nicht).


    Der Vorschlag von dani mit social storys und comic stripes ist gut, reicht bei unserem Jüngeren aber nicht. Er kommt noch nicht über seine eigene strenge Schwelle, was Lügen und Notlügen sind. Wir werden also weiter dran bleiben, ich bin gespannt, ob es noch andere Ideen gibt, oder ob hier nur eine grosse Portion Humor und Zeit weiterhelfen.


    Unser Älterer hat mit ca. 15-16 Jahren erkannt, was er in der Öffentlichkeit sagen kann und was nicht. Vorher ist auch er in manches Fettnäpfchen gestolpert. Dies gibt mir die Hoffnung, dass auch unser jüngerer Sohn im Laufe seiner Pubertät, diese Regel durchschauen und anwenden lernt.


    Liebe Grüsse, Monica

  • Wir versuchen mit ihm hinauszufinden, was ihn kränken kann und bei welchen Erlebnissen er sich schon beleidigt gefühlt hat.



    Dieser Satz hat mir als Betroffener besonders gut gefallen.
    Nicht alle Nicht-Autisten sind sich bewusst, dass Autisten oftmals täglich
    kommentiert, korrigiert, hinterfragt und auch verletzt werden. Wie soll man
    den Unterschied erkennen, was Nicht-Autisten offenbar selbstverständlich
    dürfen, man selber aber lügen soll, um eben diese Nicht-Autisten nicht zu
    verletzen? Das ist selbstverständlich keine Entschuldigung aber man sollte sich
    durchaus bewusst sein, dass man einem Autisten auch erklären darf: "Du kannst
    das besser machen." und auch auf Vorbilder aufmerksam machen, wer einen
    angenehmen Umgang hat (auch bei unterschiedlicher Meinung) und warum
    man es als angenehm empfindet. 'Solche Umgangsformen will ich auch lernen.'
    Das braucht viel Zeit und Geduld und gelingt mir nicht so selbstverständlich
    wie einem Nicht-Autisten, besonders die Art der Sprachanwendung ist für
    mich eine tägliche Herausforderung, aber meine wahren Freunde wissen das.


    ---

  • Ich weiss nicht, ob diese eine Geschichte von mir hier passt und hilfreich ist. Ich
    musste für eine Behandlung zu einem Chiropraktiker. Jedes Mal gab ich ihm nach
    der Begrüssung eine kurze Rückmeldung, wie die letzte Behandlung gewirkt hat
    aber leider eben nur kurzfristig. Unser Verhältnis war nicht angenehm und eines
    Tages fragte er sich halblaut: "Warum fühle ich mich angegriffen? Er macht nur
    eine Rückmeldung und das sehr präzise." Von diesem Augenblick an, war unser
    Verhältnis lockerer, was ich daran erkennen konnte, dass er von seinem Hund
    erzählte und wir zusammen lachen konnten.


    Kinder erzählen und kommentieren oft sehr offen und die wenigsten Menschen
    stören sich daran, weil es doch noch Kinder sind aber wehe, das Kind ist Autist,
    dann muss sofort an dem Kind speziell etwas korrigiert werden, obwohl man weiss,
    dass Autisten für viele Dinge einfach mehr Zeit brauchen und manches sogar nie
    ganz so sein wird, wie bei Nicht-Autisten. Statt die Art des Autisten nun positiv und
    normal zu nehmen, wie man es bei Nicht-Autisten macht und selbstverständlich
    dem Kind mit Geduld und Zeit wiederholt erklärt und hilft, wird der Autismus betont.


    Bei mir führt genau solch eine Reaktion dazu, dass es immer "ich = nicht normal"
    und "andere = normal" bedeutet, egal wie 'andere' sich verhalten, denn andere
    dürfen, da sie 'normal' sind und es sprachlich nur geschickter verpacken können.
    z.B. mit dem Argument: "Das ist eine Ich-Botschaft ..." und berechtigt mich ... ??


    Die Grenzen sind enorm dünn, wer wann was sagen darf, denn das WIE
    und die Tatsache, dass sie Nicht-Autisten sind, scheint bei Nicht-Autisten
    im Vordergrund zu stehen.


    Ich schreibe das nicht als Vorwurf, sondern als Gedanke und alleine dieser
    Nachtrag gibt mir schon zu denken, dass ich ihn schreibe, da es doch selbst-
    verständlich sein sollte, dass es nur ein Gedanke ist aber bei Nicht-Autisten
    scheint nichts selbstverständlich zu sein, was ein Autist sagt oder tut.


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  • Danke für Eure Beiträge.


    Nachtrag:
    Mit meiner Anfrage nach Tipps und Tricks wollte ich nicht HILFE schreien unser Aspi ist so schlimm. Sondern ich wollte nach Strategien suchen weil ich nicht gerne mit ansehe wie unser Sohn seine sehr wenigen Sozialkontakte mit seinem Verhalten zum erliegen bringt.
    Er ist ein wunderbares Kind, dass auch mit seinem anders sein den STARKEN Wunsch nach Sozialkontakten in sich trägt, auch wenn ihm dies zur Zeit kaum gelingt (oder nicht so wie er sich das wünscht).


    Grüsse bronti

    KENNTNIS IST KEINE BÜRDE, TOLERANZ KOSTET NICHTS; VIELFALT IST NICHT GEFÄHRLICH.

    Susanne Schäfer

  • "auch wenn ihm dies zur Zeit kaum gelingt"
    Sozialkontakte beruhen immer auf Gegenseitigkeit,
    vielleicht hat er zur Zeit nicht die richtigen Sozialkontakte.


    Es braucht Zeit, alles im Leben braucht Zeit und Energie.


    Nur weil die anderen Nicht-Autisten sind, heisst das nicht, dass
    sie automatisch alles richtig machen und ihre Sozialkompetenzen
    oder Selbstkenntnisse ausreichen für zufriedenstellende Kontakte.


    Ich darf 'nein' sagen und ich darf 'ja' sagen zu
    einem Kontakt, das beruht auf Gegenseitigkeit.


    Die Tipps hier, sind wirklich gut u. kombiniert anwendbar
    ... vertrauen, zuhören, reden, erklären, social stories ...


    Deinen Satz verstehe ich nicht: "Mit meiner Anfrage nach Tipps und
    Tricks wollte ich nicht HILFE schreien unser Aspi ist so schlimm."


    Es würde vielen Menschen gut tun, sich bewusster mit sich und dem Umgang
    mit Mitmenschen zu beschäftigen. Wäre der Chiropraktiker nicht in der Lage
    gewesen, sich selber zu hinterfragen, hätten wir nie zusammen lachen können.


    ---

  • Ich habe schon beim Titel "Beleidigende Feststellungen" geschmunzelt.


    Zunächst möchte ich festhalten das zu einer Beleidigung zwei gehören, einen der beleidigt und einen der beleidigt ist. Ansonsten funktioniert es nicht. Allerdings ist es an letzterem aus einer Feststellung eine Beleidigung werden zu lassen.
    Jemand der zu mir sagt "Du bist ein A...loch" tut zunächst nichts anderes als eine Feststellung seiner Wahrheit zu treffen. Ich kann dann beleidigt sein (und die Angelgenheit zu einer Beleidigung erklären) oder erkennen das dort jemand seine Wahrheit äussert und fragen warum er so empfindet (ohne Beleidigt zu sein). Somit verlagert sich die Beleidigung immer auf den Empfänger der Nachricht, selbst wenn es die Absicht des Senders war zu beleidigen. Das läuft ins leere wenn sich der zu Beleidigende gar nicht beleidigt fühlt.


    Und wie es eingangs beschrieben wurde, sind solche äusserungen ja auch sehr oft wahr und treffend. Warum sollte also Wahrheit Beleidigend sein? Ganz einfach, weil NTs oft Mühe mit der Wahrheit haben und es gewohnt snd permanent zu lügen (Was erklärt warum sie selten sagen was sie meinen und meinen was sie sagen). Und sich daraus die Erwartungshaltung ableitet das Lügen die Norm ist. Wahrheit hingegen das unnormal ist und deswegen zur Beleidigung wird.


    Für einen Menschen im Autistischen Spektrum ist aber die Wahrheit das normal und darum bringen sie sie zum ausdruck. Kinder tun das zunächst auch, solange bis sie dahingehend dressiert worden sind (umgangssprachlich heisst das glaube ich "Erziehung", ist aber eher einer Dressur gleich weswegen ich den Ausdruck hier besser finde) das man dies nicht sagt und das nicht tut. Bei Autisten versagt diese Dressur oft genug und darum wird ihnen der "Welpenschutz" den die kleinen noch geniessen nicht mehr gewährt und man unterstelt ihnen das sie beleidigen. ud übersieht das nicht sie diejenigen sind die die verursacher sind sondern die empfänger der botschaft die ja erst entscheiden ob sie sich beleidigt fühlen. und genauso wird das dann auch erklärt. "Du hast mich Beleidigt" anstatt "ich fühle mich beleidigt". Denn Schuld sind ja immer die anderen.

  • Unser Ältester hat die wirklich mühsame Angewohnheit


    Nachdem ich mir es nochmal durchgelesen habe ist mir dazu noch etwas auf- und eingefallen. Für wen mühsam? Und warum? Wenn, was ich vermute, das mühsame auf seiten des Autors stattfindet, dann stellt sich mir die Frage warum es mühsam ist wenn sich jemand weigert zu lügen? Ich bin jemand dem es ähnlich geht wie der Beschriebenen Person, und finde es mühsam das ich nicht sagen darf was ich denke, sondern man erwartet das ich Lüge.


    Ist mir so in den Sinn gekommen.