Prosopagnosie (Gesichtsblindheit) und Empathie

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    Die 14 Gesichter auf diesem Bild gehören prominenten Persönlichkeiten, die Sie mit
    grosser Wahrscheinlichkeit aus der Zeitung oder dem Fernsehen kennen. Falls Ihnen
    die Identifikation Schwierigkeiten bereitet, könnten Sie unter Gesichtsblindheit leiden.


    [Blockierte Grafik: http://www.autismus-spektrum.ch/Prosopagnosie.jpg]


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    Wissenschaftlich ist erwiesen, dass Menschen,
    die an
    Prosopagnosie leiden,
    dennoch die Fähigkeit zur Empathie besitzen.


    Die Tatsache, dass man Gesichter nicht erkennen
    kann, führt nicht zu einer Unfähigkeit zur Empathie.


    Die Aussage, dass Autisten keine Gesichter lesen können
    und daher die Fähigkeit zur Empathie
    eingeschränkt ist od. gar komplett fehlt,
    muss m.E. somit eine fehlerhafte Schlussfolgerung sein.


    Was also genau ist Empathie?
    Wie (über welche Kanäle) wird diese tatsächlich umgesetzt?


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    Hinweis um Missverständnisse zum Thema Empathie möglichst zu vermeiden:


    Wer sich mit Empathie beschäftigt,
    trennt diese heute in zwei Kategorien auf:


    Empathie als Mitgefühl (Einfühlungsvermögen): Autisten sind in der Lage,
    mit anderen Menschen mitzufühlen, sie besitzen die Fähigkeit zu Mitgefühl.
    (siehe u.a. Untersuchungsresultate des Max-Planck-Instituts in Deutschland.)


    Empathie als Theory of Mind (Bewusstseinsvorgänge erkennen): Steht auch im
    Zusammenhang mit Kommunikation und der Erkennung von sozialen Abläufen.
    Hier entstehen nicht selten Probleme für Autisten, wobei die Ursache
    und Hintergründe noch nicht wissenschaftlich belegbar erfassbar sind.


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    Ich möchte die Diskussion ankurbeln und frage:


    Was stimmt in meinem Beitrag oben nicht ?


    Hinweis: Es betrifft die Prosopagnosie und
    die Schlussfolgerung, die ich daraus ziehe.
    Sie ist pauschal (so formuliert) nicht korrekt.

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    Noch ein Hinweis:
    Ich möchte schlussendlich u.a. über die
    versch. Kanäle für Empathie diskutieren.


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  • @ Mebia
    Deine Antwort ist richtig und eine gute Basis für eine weitere Diskussion.


    Prosopagnosie (Gesichtsblindheit) und Autismus sind zwei unterschiedliche,
    voneinander unabhängige Diagnosen.
    Prosopagnosie
    kann als Komorbidität bei Autismus auftreten, muss aber nicht.


    Kinder mit einer Prosopagnosie entwickeln Strategien zur Erkennung von Menschen.
    z.B.
    Stimme, Statur, Bewegung. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser
    kann das Kind in seinen Strategien gefördert werden und die Manifestierung der
    Prosopagnosie gemindert werden. Die Entwicklungsmöglichkeit der Fähigkeit zur
    Empathie (zweite Kategorie ToM als Empathie gemeint)
    kann anders gefördert
    werden als bei Autismus und dieser Umstand interessiert mich, da ich mir Fragen
    und Antworten zu dem Thema erhoffe, die unabhängig von der Gesichtserkennung
    diskutiert werden, warum Autisten mit der ToM-Fähigkeit oft Schwierigkeiten haben.


    Nehmen wir als weitere Vergleichsmöglichkeit noch Arbeitsplätze, bei denen die
    Mitarbeiter Schutzkappen und Gesichtsmasken tragen. Dieser Umstand führt nicht
    dazu, dass die Menschen nun plötzlich ihre Fähigkeiten zur Empathie verlieren.


    Was ich anspreche ist komplex und vielleicht ist dies mit ein Grund, warum
    das Phänomen Empathie (generell) nicht so einfach zu erklären und lösen ist.


    Durch den Austausch hier, suche ich nach Ideen und Gedanken zu diesem Thema.


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  • Ich bin immer noch bei der Prosopagnosie und finde es interessant, dass es das gibt. Es könnte also sein, das ich die Gesichter der anderen Menschen nicht unterscheiden kann. Das ist dann schon eine ziemliche Einschränkung.


    Bei der Empathie kann ich nicht gut erkennen, was der andere denkt oder warum er etwas sagt.

  • Ich glaube nicht, dass Menschen bzw. Autisten mit Gesichtsblindheit
    keine oder wenig Empathie zeigen oder haben. Das eine hat mit dem anderen
    nichts zu tun. Wäre das so, dann könnten auch Sehbehinderte und Blinde nicht
    empathisch sein.


    Richtig ist diese Aussage von Mebia:
    "Autisten sind nicht immer gesichtsblind, wäre meine
    Antwort."


    Diese Aussage halte ich für falsch:
    "Autisten können nicht empathisch sein."


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    Selber bin ich manchmal gesichtsblind, ich erkenne die
    Menschen an der Frisur, an der Brille, am Gang, an ihrer Haltung, an der
    Kopfbedeckung, an ihrer Stimme. Trotzdem kann ich, sofern ich den Menschen
    vis-à-vis gut kenne, auch empathisch sein. Das funktioniert aber nicht immer
    intuitiv, vieles läuft bei mir über den Kopf. Ich kann mitfühlen, mitschwingen,
    aber ich habe grosse Mühe das verbal auszudrücken. Oft bin ich mitfühlend aber
    ich verstehe die Gefühle nicht und bin verwirrt. Das kann für die Person vis-à-vis so wirken,
    als ob ich nicht empathisch wäre.


    Wann merken wir, dass wir empathisch sein sollten / müssen?
    Funktioniert das intuitiv?


    Wie reagiere ich auf die Person vis-à-vis?
    - Ihre Körperhaltung
    - Die Tonlage der Stimme
    - Inhalt des Gesagten
    - Meine Stimmung
    - Meine Erfahrung


    qd5

  • qd5
    Diese Aussage halte ich für falsch:
    "Autisten können nicht empathisch sein."
    Oft bin ich mitfühlend

    Dieser Aussage stimme ich absolut zu und ergänze:
    Pauschale Aussagen wie:
    "Autisten haben kein Einfühlungsvermögen." stammen von Unwissenden.


    Wie in meinem ersten Beitrag bereits geschrieben, ist die empathische Fähigkeit
    bei Autisten bereits wissenschaftlich belegt und bei Wissenden auch angekommen.


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    Mebia
    Ich bin immer noch bei der Prosopagnosie ...
    Das ist dann schon eine ziemliche Einschränkung.


    @ Mebia
    Dass eine Prosopagnosie das Leben einschränken kann, ist unumstritten.
    Ebenso unumstritten: Auch Autismus kann das Leben einschränken.


    Dieser Aussage stimme ich absolut zu, auch wenn ich
    es hier pauschal und nicht detailliert äussern möchte.


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    Prosopagnosie
    - kongenitale
    - apperzeptive
    - assoziative (oder amnestische)


    Es gibt Menschen, die unter Prosopagnosie leiden, dennoch Gesichter so sehen,
    wie dies jeder Durchschnittsmensch kann. Der Unterschied liegt darin, dass sie
    sich Gesichter nicht merken können. Das hat nichts mit dem Gedächtnis zu tun,
    in Tests können sie sich Bilder von z.B. Häusern problemlos merken. (Daher war
    meine pauschale Aussage und Schlussfolgerung im ersten Beitrag nicht korrekt.)


    Es gibt Menschen, die unter Prosopagnosie leiden und Gesichter kaum erkennen
    können, also auch nur reduziert Mimik wahrnehmen können. Die Förderung und
    Entwicklungsmöglichkeiten in solchen Situationen unterscheidet sich dennoch
    von der Förderung und Entwicklungsmöglichkeiten bei Autismus, selbst wenn sich
    die Prosopagnosie bereits manifestiert hat und eine ähnliche Symptomatik wie bei
    Autismus auftreten kann. Eine korrekte Diagnose ist daher sehr wichtig.


    Hier habe ich angesetzt für eine Diskussion und suche nach möglichen Kanälen
    wie Empathie umgesetzt werden kann und wo spezifische Probleme bei Autismus
    vorliegen, da für die Fähigkeit zur Empathie (ToM-Fähigkeit) ganz offensichtlich
    nicht nur die Gesichtserkennung eine Rolle spielt und man sich entsprechend nicht
    so auf diesen Umstand fixieren sollte, sondern sich auch andere Strategien überlegt.


    Mebia
    Bei der Empathie kann ich nicht gut erkennen,
    was der andere denkt oder warum er etwas sagt.


    Exakt hier setze ich an, die ToM-Fähigkeit. Du hast es kurz u. bündig formuliert.
    Dieses Phänomen ist umfassend in seiner Auswirkung, denn selbst, wenn der
    andere mir erklärt, was er bezweckt, komme ich oft ins Staunen, wie solch eine
    Denkweise möglich ist und weiss oft nicht wirklich, wie ich darauf reagieren soll.


    Bisher habe ich zwei Strategien angewendet, beide nicht wirklich erfolgreich:
    Ich argumentiere und das kann ein regelrechter Erguss von Erklärungen sein
    oder ich schweige und das konsequent, denn ich habe nichts mehr zu sagen.


    Hier suche ich den Austausch, Ideen und Gedanken wie man die Fähigkeiten
    verbessern kann. Welche Strategien möglich sind, gerade im realen Umgang.


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  • Danke Nic für deine Überlegungen, ich merke dass es wichtig ist, darüber nachzudenken, es ist aber nicht so einfach zu verstehen.


    Ich habe noch folgendes gefunden:

    "22] z.B. unterscheidet drei Empathieformen: (1.) kognitive


    Empathie – die Fähigkeit, sich innere mentale Zustände


    anderer vorzustellen, (2.) motorische Empathie – die Tendenz,


    sich automatisch dem Gesichtsausdruck, der Intonation,


    der Haltung und Bewegungen eines andern anzupassen,


    und (3.) emotionale Empathie – die Verarbeitung von


    Gefühlen wie Angst, Traurigkeit und Glücklichsein, die bei


    andern wahrgenommen werden. Die kognitive Empathie


    würde etwa der Theory of Mind entsprechen, wenn Theory


    of Mind als die Fähigkeit, sich Gedanken, Wünsche und


    Intentionen anderer vorzustellen, definiert ist. Oft wird die


    Theory of Mind jedoch auch auf die Fähigkeit bezogen,


    sich Gefühle, Emotionen und Affekte anderer vorzustellen"


    Theory of Mind und Empathie wird hier unterschieden und eingeteilt.


  • Mebia
    "z.B. unterscheidet drei Empathieformen:


    (1.) kognitive Empathie
    die Fähigkeit, sich innere mentale Zustände anderer vorzustellen,
    (2.)
    motorische Empathie
    die Tendenz, sich automatisch dem Gesichtsausdruck, der Intonation,
    der Haltung und Bewegungen eines andern anzupassen,
    (3.)
    emotionale Empathie
    die Verarbeitung von Gefühlen wie Angst, Traurigkeit und Glücklichsein,
    die bei andern wahrgenommen werden.


    Die kognitive Empathie würde etwa der Theory of Mind entsprechen, wenn
    Theory of Mind als die Fähigkeit, sich Gedanken, Wünsche und Intentionen
    anderer vorzustellen, definiert ist. Oft wird die Theory of Mind jedoch auch auf
    die Fähigkeit bezogen, sich Gefühle, Emotionen und Affekte anderer vorzustellen"


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    Was in dieser Liste auch noch fehlt, ist die
    narrative Empathie
    die gesellschaftliche Empathie.


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    Wie Du richtig einbringst, das Thema Empathie ist wahrlich sehr komplex und ich
    habe mich zu stark reduziert auf die zwei bekanntesten Kategorien der Empathie.


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  • Zitat

    Dieses Phänomen ist umfassend in seiner Auswirkung, denn selbst, wenn der
    andere mir erklärt, was er bezweckt, komme ich oft ins Staunen, wie solch eine
    Denkweise möglich ist und weiss oft nicht wirklich, wie ich darauf reagieren soll.


    Ich verstehe diesen Satz nicht wirklich. Es geht darum, dass du wissen willst warum der andere so denkt, wie er denkt, und du hältst seine Denkweise für unmöglich, oder unrichtig, weil unlogisch.


  • wie solch eine Denkweise möglich ist

    du hältst seine Denkweise für unmöglich, oder unrichtig


    Ich werte die Denkweise nicht in diesem Sinne.
    Ich frage mich, WIE eine solche Denkweise möglich ist.


    Etwa so:
    Die Denkweise ist mir fremd oder nicht erklärbar.
    Ich kann es nicht einordnen und weiss
    entsprechend auch oft nicht, wie ich reagieren soll.


    Das beruht vielleicht sogar auf Gegenseitigkeit,
    denn meiner Erfahrung nach, wissen auch viele
    Menschen nicht, wie sie auf mich reagieren sollen.


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    Danke, dass Du die Schrift grösser gemacht hast.


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  • Ich denke man muss und kann nicht jede Denkweise oder Meinung verstehen oder erklären können. Man versteht glaube ich immer nur einenTeil. Es ist doch auch einfach interessant zu hören, was andere so denken. Und oft ist auch nicht alles perfekt durchdacht, was die Leute so sagen. Da kann man es ja auch gar nicht alles verstehen.


    Wie man darauf reagiert ist wahrscheinlich unterschiedlich, man könnte dazu sagen: 'das ist interessant, dass habe ich noch gar nie so gesehen'. Dann weiss der andere, woran er ist.


    Aber ich habe das Gefühl, ich erzähle da etwas was du eigentlich schon weisst.

  • Um die Situation wirklich zu erklären, muss ich konkrete Beispiele bringen. Das
    beginnt schon mit der Vorgehensweise der Administration dieses Forums. Die
    Entmündigung der Mitglieder, dass man Beiträge nicht mehr längerfristig selber
    bearbeiten darf. Ein Gedankengut, das mir fremd ist. Denn eigentlich gehört das
    Forum nicht der Administration, sondern den Mitgliedern, die sich aktiv beteiligen
    und auch frei entscheiden dürfen sollten, wenn sie Beiträge verändern od. gelöscht
    haben wollen, denn grundlos entstehen solche Bedürfnisse nicht, gerade da es nur
    einen öffentlichen Bereich in diesem Forum gibt und auch kein Verstoss gegen die
    Forenregeln vorliegt.


    Deine Idee mit der Antwort:
    "das ist interessant, das habe ich noch gar nie so gesehen"
    ist lediglich dort möglich, wo alle sich passiv verhalten oder
    gelernt haben, auf gleicher Ebene miteinander zu reden.


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  • Aber dann geht es da meiner Meinung nach nicht um ToM-Fähigkeiten.


    Du bist einfach nicht der gleichen Meinung und es stört dich, dass du eingeschränkt wirst. Dann bleibt dir auch nichts anderes übrig, als nichts mehr zu sagen.


    Ich finde auch dass es stressig ist, wenn man nicht mehr bearbeiten kann. Ich denke Autisten sind schneller gestresst als andere, auch durch solche Einschränkungen.


  • Meiner Meinung nach ist das bereits eine Form von Empathie-Fähigkeit.
    Vielleicht die narrative Empathie (gesellschaftliche, soziale Empathie) ?
    Ich bin mir nicht sicher, ich bin kein Fachmann in dieser Frage.

    Vielleicht ist das tatsächlich kein gutes Beispiel,
    ich könnte auch andere Situationen
    aus dem realen Leben beschreiben,
    aber das wird mir hier dann doch zu privat.


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    oder ich schweige und das konsequent, denn ich habe nichts mehr zu sagen.

    Dann bleibt dir auch nichts anderes übrig, als nichts mehr zu sagen.


    Ich stimme Dir zu, auch mir eine bekannte Reaktion
    und hier wahrscheinlich ebenso angebracht. Für die
    Diskussion danke ich und beende sie hier für mich.


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