Neuer Radiospot «Casablanca»

  • Vor kurzem sind wir mit einem neuen Radiospot «Casablanca» an die Öffentlichkeit gelangt. Dem Zuhörer wird ein Perspektivenwechsel von der neurotypischen in eine mögliche autistische Wahrnehmungsweise gezeigt. Der Spot ist die Fortsetzung unserer 2012 eröffneten Sensibilisierung «Mehr Verständnis für Menschen mit Autismus», die letztes Jahr eine der meist ausgezeichneten Kampagnen der Schweiz wurde.

    Bereits veröffentlicht sind die Plakate/Inserate «Diplome», die Radiospots «Fokussiert auf Details» sowie der Kino-/Fernseh-Spot «Titanic». Kreiert und realisiert wurde unsere ganze Kampagne von der Zürcher Werbeagentur Ruf Lanz.

    Mit unserem neuen Radiospot versuchen wir weiter auf die Bedürfnisse von Menschen mit Autismus aufmerksam zu machen.



    Zum Artikel in der Werbewoche

    Ganze Sensibilisierungskampagne anschauen


  • Es tut mir leid, aber als jemand der selbst mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde (mit 38 Jahren), muss ich leider sagen, dass ich sowohl den Casablanca-Radiospot als auch Ihre Diplom-Inserate, die ich heute zum ersten Mal gesehen habe, unglaublich gönnerhaft und herablassend finde.


    Es werden hier Vorurteile zementiert, die so für die grosse Mehrheit der Personen im Autismusspektrum nicht stimmen. Ich selbst hatte und habe viele Schwierigkeiten, aber ich habe auch mehrere Universitätsabschlüsse - dafür (und für meinen kaufmännischen Lehrabschluss) habe ich Diplome erhalten ... wie jeder Nichtautist auch.


    Wie wäre es stattdessen mit einer Kampagne die auf die grossen Fähigkeiten vieler Betroffener hinweist? Aber das würde, nehme ich an, keine Spendengelder bringen. Allerdings scheint es mir auch fragwürdig, eine Werbekampagne zu starten, um Spendengelder einzuwerben, die dann scheinbar wieder in dieselbe Werbekampagne gesteckt werden, die nur die alten Vorurteile zementiert. Ich halte das für verschwendetes Geld und schädlich.


    Dass die Anzeigen und Radiospots von Nichtautisten, die mit dem Autismusspektrum nicht vertraut sind, ausgezeichnet werden, widerlegt das nicht, sondern scheint es eher zu bestätigen.


    Leider musste ich auch feststellen, dass in Ihrem Vorstand keine Selbstbetroffenen vertreten sind. Ich finde es extrem fragwürdig, wenn die öffentliche Sichtweise auf Autismus von Nichtautisten in dieser Weise manipuliert wird, auch wenn sie es gut meinen.

  • Ich finde die Kampagne mit den Diplomen gut. Sie zeigt, dass es für Menschen mit Autismus selbst einfache und alltägliche Tätigkeiten, die für andere ohne Überlegen funktionieren, unendlich schwierig sein können. Wie oft habe ich schon Termine beim Coiffeur, beim Zahnarzt oder bei einem Arzt abgesagt oder verschoben weil es nicht ging? Selbst heute als erwachsener Mann im Berufsleben und mit Familie muss ich mich oft überwinden oder bewusst daran denken "Danke!" zu sagen. Oder meiner Frau ein Kompliment zu machen. Ganz schlimm es es für mich zu telefonieren. Für jedes erledigte Telefon spreche ich mir einen Orden zu! Schul- und Ausbildungsabschlüsse sind mir leichter gefallen.


    Nein, eine Kampagne die auf die grossen Fähigkeiten von Menschen mit Autismus hinweist möchte ich nicht, das ödet mich an: "X ist Autist und kann das Telefonbuch auswendig aufsagen während er den Kopfstand macht..". Genau das würde das Vorurteil in der Bevölkerung stärken, dass alle Menschen mit Autismus extreme oder überragende Fähigkeiten haben. Das ist aber eine Minderheit. Die Mehrheit kämpft (und ich auch) täglich mit den oben beschriebenen einfachsten Tätigkeiten. Darum ist es wichtig, genau diese Leistung hervorzuheben.


    HinterGlas

  • Ich finde die Kampagne mit den Diplomen gut. Sie zeigt, dass es für Menschen mit Autismus selbst einfache und alltägliche Tätigkeiten, die für andere ohne Überlegen funktionieren, unendlich schwierig sein können. Wie oft habe ich schon Termine beim Coiffeur, beim Zahnarzt oder bei einem Arzt abgesagt oder verschoben weil es nicht ging? Selbst heute als erwachsener Mann im Berufsleben und mit Familie muss ich mich oft überwinden oder bewusst daran denken "Danke!" zu sagen. Oder meiner Frau ein Kompliment zu machen. Ganz schlimm es es für mich zu telefonieren. Für jedes erledigte Telefon spreche ich mir einen Orden zu! Schul- und Ausbildungsabschlüsse sind mir leichter gefallen.


    Aber muss man denn das betonen? Ich verstehe die Logik von Elternverbänden nicht, die heute behaupten, dass Personen mit Autismus Probleme hätten einen Apfel zu kaufen(!) und sich morgen wundern, warum niemand ihren Kindern eine Lehrstelle gibt. Ich musste auch vierzig Bewerbungen schreiben, bevor ich eine Lehrstelle fand, obwohl ich mit acht Jahren alle Einkäufe für meine Grossmutter erledigte und mit zehn Jahren bei uns im Ort Zeitungen austrug. Ich möchte nicht wissen, wieviele Bewerbungen es gebraucht hätte, wenn ich damals eine Diagnose gehabt hätte und die öffentliche Meinung gewesen wäre, dass jemand aus dem Autismusspektrum keinen Apfel kaufen kann. Kaufmännische Lehre? Wohl eher nicht.


    Nein, eine Kampagne die auf die grossen Fähigkeiten von Menschen mit Autismus hinweist möchte ich nicht, das ödet mich an: "X ist Autist und kann das Telefonbuch auswendig aufsagen während er den Kopfstand macht..". Genau das würde das Vorurteil in der Bevölkerung stärken, dass alle Menschen mit Autismus extreme oder überragende Fähigkeiten haben. Das ist aber eine Minderheit. Die Mehrheit kämpft (und ich auch) täglich mit den oben beschriebenen einfachsten Tätigkeiten. Darum ist es wichtig, genau diese Leistung hervorzuheben.


    Ich meine auch nicht das Telefonbuch aufsagen oder dergleichen, aber wie Sie selber sagen, trotz Ihrer Schwierigkeiten haben auch Sie Schul- und Ausbildungsabschlüsse und sind sogar verheiratet! Die nächste Generation von Autisten wird diese Möglichkeiten trotz aller Fördermassnahmen, die wir nie hatten, vielleicht nicht erhalten, wenn alte Vorurteile zementiert werden, statt darauf hinzuweisen, dass viele Autisten sehr wohl in der Lage sind in der Gesellschaft vollwertig mitzuwirken, wenn man nur damit aufhört ihnen das Gegenteil einzureden und sie am Massstab der Nichtautisten zu messen. Wir sind keine Nichtautisten, aber wir sind - auf unsere Weise - genauso fähig.


    In einem deutschen Forum habe ich viele andere Autisten gefunden, die diese Kampagne für fragwürdig halten:


    http://autismus.ra.unen.de/archiv/topic_5596.html


    Leider ist das Bewusstsein dafür in der Schweiz noch wenig verbreitet. Wollen diese Elternverbände denn wirklich, dass sich ihre Kinder später verstecken müssen wie wir es mussten? Warum nicht stattdessen die öffentliche Meinung ändern, so dass die Kinder später einmal offen als autistische Mitmenschen leben können ohne Vorurteile und Benachteiligung durch Nichtautisten fürchten zu müssen.

  • Es handelt sich hier um eine Sensibilisierungskampagne. Es geht in erster Linie darum aufzuzeigen, wie Menschen mit Autismus die Umwelt wahrnehmen und was ihnen Schwierigkeiten bereitet. Das ist ein wichtiger Unterschied: Es geht nicht darum zu zeigen, was wir nicht können sondern was uns schwer fällt. Darum "bekommen" wenn wir ein Diplom wenn wir es trotzdem schaffen. So ist auch mit den realen Diplomen und Zeugnissen: Es ist nicht einfach sie zu erreichen aber es ist möglich mit einem Effort. Ich kann zum Coiffeur gehen, aber es kostet mich mehr Überwindung und Energie als für eine Person ohne Autismus. Ich kann einen Apfel kaufen aber es bedeutet mehr Aufwand für mich.


    Diese Kampagne zementiert für mich keine Vorurteile über Autismus. Im Gegenteil, sie zeigt Autismus in einer Form, die vielen Menschen nicht bewusst oder bekannt ist. Viele haben den Rain Man im Kopf und glauben, das sei Autismus. So ist es aber nicht. Autismus ist so vielfältig wie es Menschen gibt. Darum ist es sehr schwierig, eine Sensibilisierungskampagne darüber zu machen. Wo fanngen wir an? Wie vermitteln wir unsere Botschaft? Das war sicher nicht einfach. Nun hat man sich am Anfang für die Detailorientierung (Radiospots), das intuitive Wahrnehmen und Verstehen von Gefühlen und Gesichtsausdrücken (TV-Spots) sowie die schwierigen Alltagssiutationen (Karten) entschieden. Ich gehe davon aus, dass dies erst der Anfang ist. Laufend werden wohl weitere Aspekte aus dem Autismusspektrum angesprochen.


    Eine kritische Auseinandersetzung ist wichtig, ich werde die Beiträge auf http://autismus.ra.unen.de/ lesen.


    HinterGlas

  • Lieber Aspendos


    Vielen Dank für Deinen wichtigen Beitrag und die bedeutsamen Fragen, die Du darin aufwirfst.


    Autismus Forum Schweiz ist eine, als Verein organisierte, rein private Initiative. Sämtliche Aktivitäten beruhen auf ehrenamtlicher Arbeit. Unser Vorstand ist interdisziplinär zusammengesetzt. Drei Vorstandsmitglieder begleiten Menschen mit Autismus im familiären Umfeld.


    Unsere Statuten signalisieren klar die Wichtigkeit der Mitarbeit von Menschen mit Autismus, auch in unserem Vorstand. Leider hat sich dies bis jetzt, trotz diesbezüglichen Gesprächen mit Betroffenen, noch nicht ergeben. Unsere Organisation ist erst 2 Jahre alt.


    Die Sensibilisierungskampagne «Mehr Verständnis für Menschen mit Autismus» wurde jedoch in enger und direkter Zusammenarbeit mit Menschen mit Autismus entwickelt. Grosse Teile davon stammen aus deren Aussagen beim Besuch der Werbeagentur. Vor der Veröffentlichung wurde die Kampagne sowohl von neurotypischen wie auch autistischen Beteiligten freigegeben.


    Autismus bedeutet ein Spektrum. Während einige Betroffene sehr selbständig leben und auf dem ersten Arbeitsmarkt Geld verdienen können, brauchen andere eine 1:1 Betreuung bei allen Lebensverrichtungen und demnach auch eine persönliche Assistenz, um einen Apfel zu kaufen.


    Die Diplome drücken den enormen Effort, den viele Menschen mit Autismus für alltägliche Lebensverrichtungen aufwenden müssen, aus. Deshalb verdienen sie unseren grossen Respekt, auch wenn wir ihre Leistung nicht immer direkt sehen können.


    Das Ziel der Kampagne ist nicht das Sammeln von Spenden, sondern die Bekanntmachung des Autismus. Unsere Radiospots enthalten keinen Spendenaufruf. Wir erhoffen uns davon mehr Diskussion zu diesem wichtigen Thema und daraus mehr Verständnis für Menschen mit Autismus und ihre Angehörigen.


    Bereits durften wir für unsere Kampagne viel Anerkennung von allen Seiten entgegennehmen. Aber auch konstruktive kritische Stimmen freuen und motivieren uns.


    Nochmals vielen Dank für Deine Meinung. Dafür ist unser Forum da!


    Herzliche Grüsse,


    Nicole Ulrich-Neidhardt
    Präsidentin Autismus Forum Schweiz