Autismus-Spektrum-Störungen und Schule in Australien (Queensland)

  • In meinem zweiten Beitrag über den 10. Europäischen Autismus-Kongress (Budapest 2013) möchte ich das Referat von Dr. Amanda Webster von der Griffith-Universität (Australien) zum Thema nehmen. Es ging darin um die Frage, wie man die schulische Inklusion von Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) verbessern kann. Zitat aus der Zusammenfassung des Referates:
    "Lehrpersonen in öffentlichen Schulen stehen wachsenden Herausforderungen gegenüber. Dies insbesondere auch deshalb, weil es einem internationalen Trend entspricht, Kinder mit speziellen Bedürfnissen in Regelklassen zu integrieren. Die Lehrer berichten, dass sie sich auf diese Entwicklung schlecht vorbereitet fühlen und dass ihnen dabei Kinder mit ASS am meisten Probleme bereiten."
    Die Situation ist umso bedeutsamer, als in der Region, in welcher A.Webster tätig ist (Queensland), mittlerweile 2,3% der Schüler mit einer Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert sind. Dem ist allerdings anzufügen, dass in dieser Zahl auch mildere Ausprägungen der Störung erfasst sind, was aber im Zusammenhang mit schulischer Integration/Inklusion absolut Sinn macht. Kinder mit einer milderen Form von ASS stellen keine geringere Herausforderung an das Schulsystem dar, weil bei ihnen die Ansprüche an schulischen Erfolg automatisch höher angesetzt werden, insbesondere auch von ihnen selbst.
    Die Griffith-Universität in Brisbane bietet deshalb in einem Pilotprojekt allen Lehrpersonen, welche ein Kind mit ASS in ihrer Klasse haben, eine Weiterbildung an. Diese vermittelt ihnen Kenntnisse über die speziellen Bedürfnisse von Kindern mit ASS, und zwar in den drei Bereichen Fächerangebot (curriculum), Lerninhalte (content), und Pädagogik (pedagogy).
    Was mich am meisten beeindruckt hat waren folgende Hinweise über das praktische Vorgehen an den drei berücksichtigten Schulhäusern (mit jeweils zwischen 1000 und 1500 Schülern): an jeder Schule wurde für die Umsetzung der in der Weiterbildung erworbenen Kenntnisse und insbesondere für die Erarbeitung von Standards für das ganze Schulhaus (school-wide action plan) ein sogenanntes "ASD-leadership-team" (ASS-Kompetenz-Team) gebildet. Dieses besteht jeweils aus einer Klassenlehrperson, einer Förder-Lehrperson, einem Mitglied der Schulleitung sowie einer Elternvertretung.
    Am Ende des Referats wurde mir einmal mehr bewusst, wie sehr bei uns in der Schweiz die schulische Inklusion von ASS-Betroffenen noch in den Kinderschuhen steckt. Dies gibt uns aber auf der anderen Seite die Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer Länder zu profitieren. Aus dem Referat können schliesslich folgende wichtigen Erkenntnisse formuliert werden:

    • Die Komplexität des Themas Autismus-Spektrum und die relative Häufigkeit desselben werden für die integrative Schule der Zukunft eine grosse Herausforderung darstellen.
    • Es ist gerechtfertigt, dass grosse Anstrengungen von Seiten der Behörden und Kantone unternommen werden, um die mit der Inklusion eines ASS-Kindes betrauten Schulhäuser und Lehrpersonen weiterzubilden und anzuleiten. Jedes grössere Schulhaus braucht dazu ein eigenes Kompetenz-Team.
    • Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von ASS-spezifischen Lernangeboten und Lernsettings sollen auf allen Ebenen auch Vertreter der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten verbindlich mit einbezogen werden.