• Schattenkinder...


    Bei uns (7jähriger Sohn, atypischer Autismus und 4jährige Tochter, NT) geht die Aufmerksamkeit ganz klar zu Lasten des Haushalts, wir haben sozusagen eine 'Schattenhaushalt'... :D


    Unsere Tochter ist zum Glück sehr selbstbewusst und fordert deutlich ihre Aufmerksamkeit ein. Wir machen auch einmal pro Woche, wenn der Grosse ganztags an der Schule ist, einen Mami-Tag, wo sie aussuchen darf, was sie machen will. Das heisst manchmal zu zweit in den Zoo, ins Hallenbad, oder einfach zu Hause Spiele machen oder einkaufen gehen. Sie darf aber entscheiden, worauf sie Lust hat, und das tut ihr unheimlich gut. Sie freut sich dann aber auch wieder total auf ihren grossen Bruder, den sie wirklich herzlich liebt (und umgekehrt!).


    Ich versuche auch wenn immer möglich beide Bedürfnisse miteinzubeziehen und Kompromisse zu finden, mit den Kindern zusammen, das klappt oft erstaunlich gut und manchmal halt gar nicht!


    Trotzdem ist es gerade in Krisenzeiten manchmal ganz schwierig, allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Dann spreche ich mit ihr darüber, dass wir sie ganz fest lieb haben und sie nicht vergessen haben. Manchmal reicht es ihr schon, wenn sie dadurch merkt, dass sie 'gesehen' wird. :)

  • Beitrag eines Sonnenkindes!




    Meines Wissens wurde der Begriff "Schattenkinder" durch ein gleichnamiges Buch geprägt, das Geschichten von Geschwistern behinderter Kinder erzählt. Ich habe dieses Buch vor vielen Jahren mit grossem Widerstand gelesen. Leider beleuchtet es nur die Schattenseiten des Lebens als Geschwister eines behinderten Menschen. Die Sonnenseiten kommen zu kurz.




    Was mir aber geblieben ist: Viele betroffene Geschwister berichteten davon, sehr stark in die Betreuung und Therapie ihres jeweiligen Geschwisters mit eingebunden gewesen zu sein. Sie mussten immer Rücksicht nehmen auf dessen Bedürfnisse, mussten vieles erdulden und bekamen wenig Zuwendung (unconditional reward) von ihrem Eltern. Wäre mir das in meiner eigenen Lebensgeschichte geschehen, würde ich mich vielleicht auch als Schattenkind fühlen.




    Ich half zwar in der Betreuung meines Bruders mit frühkindlichem Autismus mit-jedoch freiwillig. Ich erinnere mich deutlich an eine Situation, bei der ich mit 15 Jahren bereits meinen Bruder in ein Sommerlager begleitete und meine Mutter mich zur Seite nahm und mir deutlich sagte, dass das nicht von mir erwartet werde und dass ich meine Ferien ohne meinen Bruder doch geniessen solle. Ich jedoch setzte mich durch und betreute meinen Bruder während zwei Wochen im Lager.


    Bereits viel früher noch wurde mir von meinen Eltern vorgelebt, dass die Bedürfnisse meines autistischen Bruders nicht immer vordergründig sind. Insbesondere in der Zeit seiner Pubertät mit all den Aggressionen (da war ich ca. sechs Jahre alt) wurde ich bestärkt darin, mich zur Wehr zu setzen. Bereits als kleines Kind schrie ich meinen Bruder an, wenn er zu mir zu nahe kam und das schien für ihn ein klar verständliches Signal zu sein, mich in Ruhe zu lassen.




    Tja und auf diese Weise wurde aus mir ein Sonnenkind, im vollen Bewusstsein darum, dass es in meiner Familie auch Schattenseiten oder auch Schattenzeiten gab.

  • Ich habe einen Asperger-Sohn, 7 Jahre alt, und einen 10-jährigen NT-Sohn. Die beiden hängen eigentlich sehr aneinander, aber häufig kommt es zu Streit, der dann sehr laut und oft auch aggressiv wird. Häufig gehen die Aggressionen vom Aspie aus. Wenn unser älterer Sohn selber aggressiv darauf reagiert, artet die Situation aus. Wir haben dem älteren Sohn gesagt, er soll sich nicht gegen seinen Bruder wehren, sonst wird alles nur noch schlimmer, er soll ihn in solchen Situationen am besten in Ruhe lassen, damit er sich wieder beruhigt. Aber das ist schwierig und ich habe auch kein gutes Gefühl dabei, denn eigenlich soll er sich ja auch wehren können und nicht nur Rücksicht nehmen und zurückstecken. Gibt es dafür ein "Rezept"?

  • Hallo nischi!


    Da ich selbst die Schwester eines Jungen mit Autismus bin, weiss ich sehr genau, wie schwierig es manchmal sein kann, wenn der Andere einen nervt, und man nicht zurückgeben darf. Ich selber habe eine Weile gebraucht, bis ich nicht mehr auf die Beleidigungen meines Bruders reagiert habe. Manchmal war es sehr schwer zu verstehen, warum einen nun das Geschwister schlagen oder beleidigen darf, und man selber immer einstecken muss. Ich bin sehr eifersüchtig geworden und habe gemeint, meine Eltern hätten meinen Bruder lieber als mich. Es hat mir aber immer sehr geholfen, wenn sie mir einmal allein gesagt haben, dass sie mich genauso gern haben, wie ihn und mir immer wieder erklärt haben, dass ich meinen Bruder durch mein ''Zurückgeben'' nur wütender mache. Schlussendlich aber habe ich mir selbst ein dickes Fell zugelegt, und nehme es nicht mehr ganz so ernst, wenn mein Bruder mal wieder etwas Verletzendes sagt.


    Trotz aller Streitigkeiten, die ich und mein Bruder manchmal haben, stehen wir uns trotzdem sehr nahe und können jeden Tag voneinander lernen!


    Ganz liebe Grüsse,


    N.U. :D

  • Liebe Nischi
    Ich möchte gerne aus der Sicht eines Kinder- und Jugendpsychiaters zu Deinem Beitrag antworten, und vielleicht kann ich einen Tipp geben, der hilfreich ist.
    Ich kenne das beschriebene Problem aus meiner Beratertätigkeit sehr gut. Das Problem ist, dass hier zwei ganz verschiedene Wertsysteme, man könnte gar sagen, zwei Rechtsgüter, einander gegenüberstehen. Auf der einen Seite ist die kindliche Denkweise, die bei Konflikten stark von einem archaischen Wertsystem von Ehre und Rache bestimmt ist. Wenn ein älteres Geschwister von einem jüngeren herausgefordert (neudeutsch: angestresst) wird, dann ist das v.a. auch eine Ehrverletzung. Und eine solche muss geahndet, bzw. gerächt werden. Nur so kann die Ehre wieder hergestellt werden. Und in der Logik der Rache liegt es auch, dass sie deftig sein muss. Dem gegenüber stehen die Wertvorstellungen von uns Erwachsenen, die z.B. Werte wie "Fairness" und "Schutz von Schwächeren" hochhalten. Um das ältere Geschwister nicht zu überfordern, könnte man ihm z.B. vorschlagen, dass es sich eine kleine Belohnung verdienen kann, wenn es sich trotz Rachebedürfnis zurückhalten kann.
    Ich habe jedenfalls in meiner Praxis schon mehrmals gute Erfahrungen damit gemacht, dass dem älteren Geschwister für sein Nicht-zurückschlagen bzw. für die Haltung "De gschider git naa ..." kleine Belohnungen (sogenannte Tokens) angeboten werden, die dann irgendwann eingelöst werden können.
    Liebe Grüsse, Dr.med.Th.Girsberger.