Taktile Stimulation

  • Guten Tag

    Wir stehen schon seit langer Zeit immer wieder vor dem gleichen Problem und kommen nicht weiter.
    Lange ging es mir einfach nur darum das Problem zu beseitigen. Mittlerweile möchte ich nicht mehr „nur“ dass es verschwindet sondern das ich begreifen kann weshalb und/oder wozu das Verhalten dient. So könnte ich vielleicht zu einer etwas ungewöhnlich aber dafür anhaltenden Problem Lösung kommen.

    Problemstellung:
    Unser 10 Jährige Junge (Asperger) hat die mühsame Angewohnheit sich Stimulation bei mir und zum Teil bei seinem älteren Bruder (Asperger) ungefragt zu holen.
    Er greift ohne Vorwarnung mit seinen Händen an unsere Wangen, kneift hinein und tätschelt oder Klopft dagegen. Was mindesten ebenso verlockt ist nackten Bauch berühren. Das kann eine kleine Berührung beim vorbei gehen sein (intensivere, längere Berührungen wagt er sich zur Zeit nicht mehr zu holen). Oder er setzt sich einem auf den Schoss (mit Vorliebe rittlings) und lehnt mit solchem Druck an, bis auch durch sämtliche Kleiderschichten der Bauch des Gegenübers spürbar wird.
    Wenn einer von uns in der Dusche oder Bad kleiderfrei gesichtet wird, beginnen seine Augen zu leuchten und ein sichtbarer Drang/Wunsch der Berührung (Bauches) kommt in ihm hoch.
    Ich selber mag es nicht im Gesicht und an Bauch einfach angefasst zu werden, auch sein Bruder mag die unvorbereiteten Übergriffe nicht, er reagiert mit heftiger Wut und zum Teil mit Beissattacken. Das Ganze ist oft sehr belastend für die ganze Familie.
    Vieles haben wir versucht um das Problem zu lösen (logische Konsequenzen, visuelle Erklärungen, STOPP, Belohnung, Strafe….). Leider hatte es immer nur den Effekt von kurzzeitigen Pausen.

    Fragen:
    Wer kennt das auch? Wer weiss eine Lösung? Wozu, weshalb dies Verhalten?.. .

    Gruss bronti

    KENNTNIS IST KEINE BÜRDE, TOLERANZ KOSTET NICHTS; VIELFALT IST NICHT GEFÄHRLICH.

    Susanne Schäfer

  • Hallo Bronti!

    Ich kenne Kinder, die immer wieder taktile Stimulation brauchen um sich selber zu spüren. Was Du beschreibst, geht es eher darum den Anderen zu spüren, anzufassen oder so. Die Haut intressiert ihn.

    Warum dieses Verhalten? Schwer zu beurteilen aus der Ferne. Verhalten dient ja eigentlich immer einem bestimmten Zweck. Die Berührung löst ein angenehmes Gefühl aus. Dieses Gefühl wird wieder und wieder gesucht.
    Es könnte eine eher zwanghafte Handlung sein. Die handlung an sich macht keinen Sinn. Es sind die Vorstellungen oder die Gefühle welche der Ausführende dabei erlebt, die sie notwendig machen.
    Gibt es noch Sachen, also Gegenstände die er auch berührt oder antippt?

    Ihr habt schon vieles versucht um dieser für die Familie lästigen Angewohnheit Herr zu werden. Darf ich fragen, seit wann diese Bauch-Faszination besteht?

    Ich kenne einen jungen Mann, der den Leuten immer auf den Reissverschluss gucken muss und dazu (auch Wildfremden) den Pulli hochhebt. Das wurde erst nach viel Zeit besser, als es für ihn irgendwie nicht mehr notwendig war. (ich weiss das ist jetzt kein Trost, sorry) und ist fast verschwunden, seit er in der Hausinternen Wäscherei arbeitet...

    Was sagt Dein Sohn denn selber über dieses Verhalten? Kann er sich dazu äussern?

  • Mein Sohn wird im September 2 Jahre alt. Seit gut einem halben Jahr hat er heilpädagogische Früherziehung. Ich habe schon zwei Kinder mit Autismus Spektrum. Bei kleiner Sohn liebt es in die Nase zu klemmen oder mit der Hand auf die Brust zu schlagen oder einfach zu klatschen oder zu stampfen. Dann leuchten seine Augen. Ich muss gewisse Uebungen machen bevor er zu spielen beginnt, nur dann ist er körperlich ruhig und kann sich konzentrieren. Ansonsten ist er dauernd in Bewegung, da ist er am Glücklichsten.
    In der Nacht wacht er ab zu auf aber seit wir die Kugeldecke haben schläft er mehr durch.
    Liebe Grüsse
    Monique Ryan

  • @ highflyer

    Danke zu Deinen Ausführungen.
    Zu der Aussage er wolle keine taktile Stimulation sondern nur Haut spüren bin ich mir nicht ganz sicher ob das so stimmt.
    Vielfach wenn es um Situationswechsel geht, zB. nach einem Spiel die Zähne putzen gehen, oder nach dem Zvieri an die Hausaufgaben, nach dem Fernsehen zum Abendbrot…, fasst er nach mir. Ich könnte mir vorstellen, dass er Mühe mit dem Wechsel hat und sich so mit der taktilen Stimulation bei mir Ruhe holt und sich etwas „erdet“. Dies sind jedoch meine Interpretationen und nicht seine.
    Die Frage wann das ganze begann ist etwas verschwommen. So um seinen vierten Geburtstag rum? Das war eine Zeit in der er einen längeren Spitalaufenthalt und sehr viel Stress hatte. So richtig heftig lebt er es aber erst wieder seit der Schule aus und dies nicht immer gleich stark.

    Seit meinem Beitrag im Forum sind wir etwas weiter gekommen durch ein Ehepaar das uns begleitet (allerdings nicht Autismus spezialisiert).
    Wir haben Ihnen davon erzählt und sie haben uns motiviert und uns einen Weg aufgezeigt. Eine Möglichkeit wie wir vielleicht herausfinden was es für unseren Sohn bedeutet mich zu berühren, und was es für ihn für Alternativen gäbe nebst dem berühren der Mutter.
    Eigentlich ist der Weg völlig einfach und für viele auch selber find bar. Für mich und mein Mann war dies nicht klar. Mit wenig und klarer Kommunikation und nur den Worten die er selber wählt habe ich mich mit ihm unterhalten.
    Obwohl ich wusste dass unsere Söhne eine sehr differenzierte Sprache besitzen, glaubte ich nicht wirklich dass er fähig wäre sich selber so zu erkennen.
    Doch es hat geklappt!
    Es kam auf eine sehr klare Antwort die ich nie erwartet und nie erahnt hätte.
    Ein Putty! (Putty = Knetmasse auf Silikonbasis)
    Dies so sagte er wäre für ihn eine Alternative zu meinem Bauch.
    Ich bin sehr glücklich nun etwas in der Hand zu haben was für ihn eine gute Alternative ist.
    Nun gilt es zu üben das er in diesen Momenten wo er dieses Gefühl benötigt zum Putty greift und nicht zu mir oder anderen Menschen (ob das so leicht wird?).

    Danke für Eure Antworten
    Gruss bronti

    KENNTNIS IST KEINE BÜRDE, TOLERANZ KOSTET NICHTS; VIELFALT IST NICHT GEFÄHRLICH.

    Susanne Schäfer

  • Hallo Bronti
    Es freut mich, dass ihr einen Lösungsansatz gefunden habt! Gerade bei Kindern mit ASS, die sich verbal ausdrücken können, lohnt es sich immer, sie selbst nach einem Lösungsvorschlag zu fragen.

    Beim Lesen deiner Schilderung ging mir durch den Kopf, dass sich dein Sohn in Situationen erhöhter Unsicherheit (Übergänge, Spitalaufenthalt, Herausforderung in der Schule) durch Berühren eures Gesichts/Bauches wieder Sicherheit verschafft. Dabei ist es auf Distanz schwer zu beurteilen, ob ihn wirklich die taktile Information Sicherheit gibt oder eure voraussehbare Reaktion auf dieses unerwünschte Verhalten, die ihr wahrscheinlich mit einer hohen Zuverlässigkeit zeigt.

    Menschen reagieren auf unerwünschtes Verhalten i.d.R. konsequenter (d.h. immer) und voraussehbarer (d.h. in immer ähnlicher Weise) als auf unerwünschtes Verhalten. Erwünschtes Verhalten wird hingegen nur manchmal beachtet und in recht unterschiedlicher Weise gelobt (verbal direkt zum Kind, verbal im Gespräch mit Anderen, mit Lächeln, Umarmung etc.).

    Liebe Grüsse
    Edith

  • Hallo Bronti

    Hast Du schon Erfolge mit der Putty Masse?
    Ich hatte dazu eine Spontan-Idee.
    Meine Ärztin hat im Wartezimmer zum Verkauf Häschen aus Kaninchenfell. Sie liegen prima in der Hand, können mit allen Fingern oder der ganzen Hand gestreichelt werden. Sie empfiehlt das bei Unruhe, Schlafstörungen, Ängsten... es beruhigt das vegetative Nervensystem spürbar! Ich habe selber Erfahrungen gesammelt und bin begeistert! Eine Abwechslung an natürlicher Stimulation?

    Mit lieben Grüssen

    Monika

  • Monika
    Du hast gefragt ob wir schon Erfolge mit dem Putty haben. Ja und Nein. Zum einen hat er gesagt: "Wirklich das gleiche ist der Putty und deine Haut nicht"! Zum anderen kann er am Abend nun so etwas runter fahren.
    Alleine in der Situation vom Stress zum Putty greifen – nein, das kann er nicht.

    edith
    Danke für Deine Ausführung. Ich hatte recht mühe es zu verstehen bzw. heraus zu filtern was ich nun daraus umsetzen könnte.
    Nun glaube ich verstanden zu haben und versuche in Situationen in denen unser Sohn gestresst ist und vielfach eben auch nach uns greift, immer GLEICH und KLAR zu loben wenn er es schafft nicht nach uns zu greifen. Ich hoffe so stärkere Impulse setzen zu können als unser konsequentes, zuverlässiges Verhalten auf seine negativen Berührungen.

    Danke Euch
    Gruss bronti

    KENNTNIS IST KEINE BÜRDE, TOLERANZ KOSTET NICHTS; VIELFALT IST NICHT GEFÄHRLICH.

    Susanne Schäfer