Autismus-Spektrum-Störungen: Auswirkungen auf die Familie

  • Mein dritter Beitrag zum Autismus-Kongress 2013 in Budapest fasst eine Studie zusammen, welche von Dr. David Preece (Universität von Northampton) in England durchgeführt wurde.


    In dieser Studie wurden die verschiedenen Ansichten und Erfahrungen untersucht, welche in 14 Familien mit einem Kind mit Autismus (mit hohem Unterstützungsbedarf) vorkamen. Es wird betont, dass die meisten bisherigen Erkenntnisse über Familien durch die Befragung von Müttern gesammelt wurden und die Ansichten von Vätern und Geschwistern weit weniger bekannt sind. In dieser Studie wurde klar, dass die Einstellungen von Vätern von denen der Mütter ganz erheblich abweichen. Als Schlussfolgerung wird festgehalten, dass Beratungsstellen unbedingt auch die Väter und Geschwister mit einbeziehen sollten. Daraus ergibt sich erst ein vollständiges Bild der Bedürfnisse des Kindes mit Autismus und der Familie als Ganzes.


    Die Sicht der Mütter


    Grundsätzlich akzeptierten alle Mütter die Folgen für die Familie, die ein Kind mit Autismus mit sich bringt. Damit einher ging oft auch eine gewisse Resignation, angesichts der Tatsache, dass eigene Karriere- und Zukunftspläne eingeschränkt werden mussten.
    Wichtige Themen bei vielen Müttern sind auch Isolation und Stigmatisierung. Die Isolation begann oft schon innerhalb der Ehe, waren doch die Hälfte der befragten Mütter alleinerziehend ohne jegliche Unterstützung durch den Kindsvater. Wenn der Vater oder ein Partner anwesend waren, so beteiligten sie sich kaum an der täglichen Betreuung. Viele Mütter berichteten auch, dass sie sich von der erweiterten Familie isoliert fühlten und dass Freundschaften und Beziehungen, die vor der Geburt des Kindes bestanden, verloren gingen. Auf der anderen Seite ergaben sich neue Freundschaften mit Eltern von autistischen Kindern, die sie via Schule oder Selbsthilfegruppe kennenlernten.
    Stigmatisierung wurde oft erlebt: durch verletzende und kritische Kommentare von völlig fremden Personen, die sich über das Verhalten des Kindes oder den vermeintlich schlechten Erziehungsstil der Mutter beklagten. Als noch schlimmer wurden Reaktionen von Nachbarn erlebt, welche ihre eigenen Kinder vom Kind mit Autismus fernhielten oder sich darüber beklagten, dass da regelmässig ein Schulbus vorfährt.


    Die Sicht der Väter


    Typische Themen in den Interviews mit Vätern waren: Rückzug, Herunterspielen der Schwierigkeiten und Sorgen in Bezug auf die Zukunft. Wie bereits erwähnt waren in der Mehrzahl der interviewten Familien die Väter nicht mehr präsent oder beteiligten sich nur am Rande an der täglichen Erziehung. Auch hatten die anwesenden Väter kaum Kontakt mit jenen Helfern, die von Berufs wegen sich um das Kind mit Autismus kümmerten. Niemand von den Vätern beteiligte sich an einer Selbsthilfegruppe oder suchte Kontakt zu anderen Familien in ähnlichen Situationen. Am ehesten noch suchten sie Informationen über ihr Kind im Internet.
    Im Gegensatz zu den Müttern, welche betonten, wie sehr sich Autismus negativ auf das Familienleben auswirkte, tendierten Väter dazu, die Folgen für die Familie eher zu bagatellisieren.


    Die Geschwister


    Es wurden insgesamt 10 Geschwister interviewt. Es tauchten fünf typische Themen auf: 1) Sie empfanden das Leben mit einem autistischen Bruder (oder Schwester) als ziemlich normal, 2) sie betonten die starke Bindung, 3) sie selber mussten sich mehr einschränken als andere, 4) sie erlebten peinliche Situationen und 5) immer wieder auch Stress.
    Die Geschwister übernahmen oft viel Verantwortung durch direkte Betreuung, Mahlzeiten vorbereiten, Begleitung unterwegs, usw. Sie wussten auch alle über Eigenschaften ihres autistischen Geschwisters zu berichten, die ihnen gefielen und es wurde klar, dass sie eine starke Bindung empfinden. Einige waren auch der Meinung, das Zusammenleben mit einem autistischen Geschwister habe auf sie einen positiven Einfluss gehabt.
    Auf der anderen Seite wurde natürlich auch erwähnt, dass unter dem Einfluss des Autismus Einschränkungen in Kauf genommen werden mussten, sozial und in der Familie. Oft konnten Geschwister nicht in dem Masse mit anderen abmachen oder Kollegen zu sich nach Hause nehmen, wie sie das gerne getan hätten. Was immer wieder erheblichen Stress mit sich brachte war das aggressive Verhalten des Kindes mit Autismus, sowohl gegen die Geschwister selbst wie auch gegen deren Eigentum.


    Fazit


    Es ist sowohl für Forscher wie für helfende Berufe wichtig zu wissen, dass innerhalb einer Familie mit Autismus sehr unterschiedliche Perspektiven vorkommen und dass alle gebührend berücksichtigt werden sollten.


    Kommentar


    Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass ich insbesondere die Kommentare zu den Vätern in dieser Studie aus der eigenen Praxis bestätigen kann. Oft ist es schwierig, sie gebührend in den Beratungsprozess einzubeziehen, einerseits aus praktischen Gründen (Arbeitszeit), aber auch, weil klassische Beratungsangebote nicht unbedingt ihren Bedürfnissen entsprechen.
    Innerhalb des Vereins Aspergerhilfe Nordwestschweiz ist in diesem Zusammenhang eine Initiative für einen Väter-Treff entstanden. Ziel ist es, Väter spezifisch bei ihren Schwierigkeiten zu unterstützen, zum Kind eine gute Beziehung aufzubauen. Dazu dienen auch Vater-Kind-Nachmittage mit konkreten kindsgerechten Aktivitäten, welche vom Väter-Treff organisiert und angeregt werden. Erste Erfahrungen haben bereits stattgefunden, mit vorwiegend positiven Rückmeldungen.