Lärmempfindlichkeit

  • Was tun, wenn man unter Lärmempfindlichkeit leidet? Bei ASS ja kein unbekanntes Thema. Ich lebe auf dem Land, da würde man annehmen, dass es da ruhig und beschaulich zu und her geht. Das war einmal, vor über 20 Jahren. Seitdem hat sich der Verkehr, wenn man sich mal auf die Höhe der Nummern der Nummernschildern achtet, gut verdreifacht. An unserem Grundstück, ich bin "glücklicher" Besitzer einer Liegenschaft, führt eine Strasse vorbei. Diesen Sommer war ich, krankheitsbedingt, an Zuhause "gefesselt", das heisst, ich konnte nicht einfach weg. Da ich sehr lärmempfindlich bin, habe ich sehr gelitten, dies wiederum hat zu weiteren Komplikationen geführt, die den Teufelskreis des ASS in meinem Fall noch verstärkt haben. Es herrschte, auch jetzt im Herbst bei schönem Wetter, herrscht immer noch reger Verkehr, vor allem von Motorrädern. Da wir zudem an einer abschüssigen Strasse leben, wird der Lärm durch die das lustvolle Gasgeben noch erheblich gesteigert. Dazu muss ich beifügen dass wir an einer von Motorradfreaks gern frequentierten Voralpenroute leben. Erschwerend kommen die allgegenwärtigen, immer grösser werdenden Traktoren, die ebenfalls auf Grund der Steigung einen enormen Lärm verursachen, hinzu. Vom Gestank der Abgase gar nicht erst zu reden. Da von einerTendenz der Zunahme des Verkehrs in den kommenden Jahren auszugehen ist, frage ich mich, was ich denn, zum Schutz meiner Selbst unternehmen kann. Lärm führt zu Stress, welcher, wie bereits erwähnt, aufgrund des tagsüber wirkenden Dauerzustandes, zu weiteren Komplikationen führt. Im Tragen eines Gehörschutzes, wie man ihn auf Baustellen antrifft, sehe ich nicht wirklich eine Hilfe, da ich zudem unter permantem Tinnitus leide. Ich schliesse damit den äusseren Lärm ein wenig aus und werde durch den "inneren" Lärm terrorisiert.
    Ein weiteres "Hilfsmittel" sind Beruhigungsmedikamente, die wiederum über ihre Nebenwirkungen Schaden ausüben. So stecke ich in einem Szenario, dem ich nicht ausweichen kann.
    Ich brauche sehr viel Ruhe, und die finde ich je länger je weniger. Die Versuche, mich "umzupolen", will heissen, die Geräusche nicht mehr so intensiv und bewusst wahrzunehmen, scheiterten in Therapien. Ich kann die Empfindlichkeit nicht einfach wie mit dem Umlegen eines Schalters ablegen. So wird jedes Geräusch zur Qual wie auch zu einem Kampf, weil ich gegen die Wahrnehmung versuche anzukämpfen, was wiederum Stress pur bedeutet. So dreht sich die Spirale unaufhörlich weiter. Es ist grotesk, aber ich habe mir jedes Wochenende schlechtes Wetter gewünscht, verbunden mit der Hoffnung, dass dadurch weniger Freizeitfahrer unterwegs wären. Beim vergangenen Super - Sommer ein von wenig Erfolg gekröntes Unterfangen.
    Die Frage bleibt, was ich für ein bisschen Ruhe unternehmen kann. Yoga, Meditationen etc, was ich alles schon versucht habe, führen zu keinen Resultaten. Fliehen wird wohl die einzige Alternative bleiben, doch wohin und vor allem, womit? Als IV-Rentner lebe ich am Rande des Existenzminimums, da liegen mehr als ein bis zwei Wochen Ferien nicht drin. Und selbst die sind auch nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Wenn ich Ruhe in den Ferien finde, ist die Rückkehr danach umso schlimmer. Was bleibt, sind letzlich wirklich nur die Medikamente, die mich dermassen müde machen, dass ich die Tage fast nur mit Schlafen verbringe, was mit wiederum auch nur mit mässigem Erfolg gelingt, da ich sogar unter Medikanteneinfluss auf Geräusche reagiere und dementsprechend kaum Schlaf finde. Was also tun?

    Regenbogen ?(

  • Hallo Regenbogen

    Mein Sohn empfindet genau wie Du. Er leidet richtig stark unter Lärm... Wir wohnen auch an einer Strasse und es erfüllt ihn dann jeweils richtig mit Wut, wenn es draussen so laut ist.
    Ruhe hat er gefunden mit einem Gehörschutz mit Musik (also integriertem Radio). Diesen trägt er sehr lange und oft tagsüber. Interessanterweise sucht er mit diesem Gehörschutz sogar in gewissem Masse Lärm: Er geht dann jeweils in seine Holzwerkstatt und arbeitet am Holz. Und das ist weiss Gott nicht leise, aber offenbar fühlt er sich genug geschützt, dass er dann am Holz arbeiten kann. Allerdings braucht er die Gewissheit, dass jemand zu Hause ist und es muss Tageslicht vorhanden sein.

    Wie ist das bei Dir? Suchst Du wirklich nur die totale Ruhe oder kannst Du, unter gewissen Umständen, auch etwas für Dich machen, was Lärm verursacht?

    Gruss
    Patch

  • Hallo Patch

    Ich finde es sehr gut, wenn dein Sohn den Lärm auf diese Weise ausblenden kann. Ich glaube, dass er den "selbstproduzierten" Lärm eher akzeptieren kann, weil er ihn steuern kann. Das ist natürlich eine äusserst wert- und sinnvolle Lösung.
    Das Hören von Musik über Kopfhörer oder Stöpsel über einen längeren Zeitraum geht bei mir nicht, das habe ich bereits ausprobiert. Ich höre gerne Musik, aber über Lautsprecher, da so die Geräuschquelle nicht direkt am Kopf liegt.

    Das mit dem Tageslicht kann ich gut nachvollziehen, auch ich brauche es unbedingt. Ich arbeite als Maler im Heizungsraum unseres Hauses und dort ist es total finster, wodurch ich nicht lange arbeiten kann. Mein Traum wäre ein richtiges Atelier mit grossen Fenstern, durch die ich auch die Landschaft erleben, die Gedanken, die Gefühle schweifen lassen kann, die dann ihrerseits wieder in meine Werke einfliessen würden.

    Ich suche wirklich die absolute - oder wie du es nennst - die totale Ruhe. Es lässt sich beispielsweise beim Staubsaugen - ich bin neben meiner künstlerischen Tätigkeit auch Hausmann - nicht vermeiden, dass Lärm entsteht, doch den muss ich möglichst zeitlich begrenzt halten, da sich dadurch mein Tinnitus verstärkt.

    Eine einzige angenehme "Lärmquelle" gibt jedoch: das Rauschen des Meeres. Durch die Rhythmik der Wellen entsteht, verbunden mit deren Anblick, eine innere Ruhe. Durch die Intensität des Brechens der Wellen wird sogar der Tinnitus übertönt und diese kurzen Momente sind für mich Ausdruck von innerem Frieden. So würde ich gerne an einem Meer leben weil ich denke, dass es mir dort wesentlich besser gehen würde. Nur leider liegt die Schweiz an keinem Meer ...

    Gruss Regenbogen

  • Lieber Regenbogen

    Uiii schwierig. Ja, da hat es mein Sohn offenbar leichter. Die Ruhe, die Du suchst ist schwer zu finden und kaum mit unserem Leben in der Schweiz vereinbar. Staubsaugen ist für meinen Sohn auch ganz schlimm. Er geht auch wegen dem "Lärm" nicht gerne in die Dusche... bei ihm sind solche Sachen mit grossem Stress, aber auch Angst verbunden.
    Das mit dem Meer kann ich sehr gut nachfühlen, das geht mir ebenso. Aber ich habe dieses Gefühl auch, wenn ich in den Bergen, abseits des Trubels bin oder im Wald, wenn es ganz ruhig ist und man nur die Natur hört.

    Da ist guter Rat teuer. Ich denke, dass da wirklich nur Meditation oder ähnliches hilft. So dass Du Dein "inneres Meer" bewusst herbei führen kannst um etwas zur Ruhe zu kommen.

    Liebe Grüsse
    Patch

  • Hallo Regenbogen

    Ich habe eine Bekannte, die in Thun mit Klängen den Tinnitus behandelt. Man lernt da irgendwie hinzuhören und den Tinnitus auszublenden. Das würde ev. auch bei Lärm funktionieren. Wäre sicher ein Versuch wert oder zumindest eine Abklärung bei ihr, wie sie genau arbeitet.
    Leider hat sie mir das nur einmal kurz zwischen Tür und Angel erklärt, darum weiss ich nicht ganz genau, wie es funktioniert. Nachfragen könntest du ja selber mal.

    Grüessli
    Jris

  • Hallo Iris,

    klingt interessant. Ich habe schon verschiedene Therapien bezüglich meines Tinnitus durchlaufen - bei mir scheint nichts zu greifen ...
    Eine Frage: Wo oder bei wem soll ich nachfragen? Aus deinem Beitrag kann ich leider keine Schlüsse auf einen Anhaltspunkt ziehen, sorry :huh:

  • Alle Jahre wieder ...

    Die Freude am Frühling ist bei mir ambivalenter Art. Einerseits freue ich mich an dem Erwachen der Natur, andererseits muss ich mich im Haus - hier möglichst im Keller, da unter der Erde liegend, will heissen schallmindernd - verkriechen, da draussen - in der Natur - der Lärm unerträglich wird. Unzählige Motorräder, Traktoren so gross wie LKW's, Unmengen Autos, Rasenmäher, Motorsägen, Militärjets, Privatflugzeuge - ich halte das nicht mehr aus! Wenn ich die Anzahl aller Störauslöser eines Tages zusammenzähle, dann lande ich irgendwo bei nahe 1500 ... und das ist erst der Anfang. Zu dem Lärm muss ich dazu noch die Abgase erwähnen, die nicht unerheblich sind, da wir an einer aufwärtsführenden, sprich energieaufwändigen, Strasse leben. Dazu kommen die lieben Nachbarn, die was weiss ich wie oft in ihre Autos hetzen um die Kinder - jedes für sich, versteht sich - in die Schule, zum Sport, zum Musikunterricht etc. zu fahren. Nicht zu vergessen das Knallen der Haus- und Autotüren.

    Es vergehen - angefangen Punkt 09.35 Uhr mit den Militärjets, die jeden Werktag über uns hinwegdonnern - keine 5 Minuten ohne Lärm und das bis in den späten Abend.

    In der Zeitung habe ich gelesen, dass das Verkehrsaufkommen in unserem Kanton jedes Jahr um 2 - 5 % steigt. Ich lebe nun seit 25 Jahren an diesem Ort, das macht dann mal ... % - ich mag es gar nicht ausrechnen. Fakt ist, dass die Lebensqualität für mich gegen den Nullpunkt sinkt. Was tun? Mir wurde ein "Noice cancelling"-Gerät empfohlen. Damit hört man so gut wie nichts von aussen - nur: das Teil strahlt aus und das wiederum verursacht bei mir Kopfschmerzen - ich bin sehr strahlungsempfindlich. Ich kann es drehen wie ich will: ich finde keine Ruhe und das verursacht enormen Stress, der seinerseits einiges anderes gesundheitschädigendes auslöst.

    Mir ist bewusst, dass ich die Welt nicht verändern kann. Die Bewohnerzahlen steigen, uns geht es in der Schweiz gut, das heisst, man hat Geld für zum Beispiel Motorräder, mit denen man in der Freizeit in der Gegend herumkurvt und die "Natur und die Freiheit geniesst", oder sogar für Flugzeuge, die in zunehmender Zahl über den Ortschaften am Himmel kreisen.

    Als Autist bin ich - leider - sehr sensibel, nicht nur was die Gefühle anbelangt, was ja, so kann man das nennen, schön ist, sondern auch auf Lärm. Die Reizüberflutung immer umfangreicher werdenden Umfanges ist dermassen intensiv, dass ich manchmal denke, ich drehe durch.

    Die Welt wird immer lauter, der Platz immer weniger, die Lebensqualität ist - fast - nicht mehr vorhanden. Wohin wird uns das alles noch führen??? Ist der Wohlstand wirklich in diesen Ausmassen erstrebenswert? Fragen, die nicht nur mich mit Furcht erfüllen.

  • Hallo Regenbogen,

    ich bin Asperger und zen-buddhist-lerne joriki (Achtsamkeit)-lebe im Hier und Jetzt-wir haben alle eine Verabredung mit dem Moment-wenn wir diese Verabredung einhalten-gelangen wir an die Quelle und die Angst hört auf zu existieren. Übe dies im Wald, an einem Bach, wenn der Regen fällt-lass die Gedanken kommen und gehen-sei abends draussen-lege Dich in die Wiese und betrachte den Sternen himmel-achte auf die Geräusche der Natur-nimm Kontakt mit dem Ewigen auf-dies übe ich stundenlang mit meinen zwei Katzen, wenn wir nachts zusammen unterwegs sind-Katzen haben alle Asperger.

    satori7

  • Das ist gut gemeint - danke für den Beitrag. Es ist so, dass ich vieles versucht habe, sei es Mediation, Yoga etc. Mein - und damit bin ich nicht alleine - Problem ist, dass ich nicht abschalten kann. Gedanken kommen lassen: wirklich tolle Idee, aber: es werden immer mehr, das Eine stösst das Nächste an, und so weiter. Abschalten? Fehlanzeige. Theoretisch wüsste ich es im Grunde, aber umsetzen? Das Nicht-abschalten-können ist leider ein unter Autisten weitverbreitetes Übel. Mein Gedankenkarrussel dreht sich sogar unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln munter weiter - ich scheine gegen jegliche Mittel aus diesem Segment immun zu sein. Und so weiter und so fort.

    Nun denn, ich freue mich, dass du mit den von dir geschilderten Methoden Erfolg hast. Weiterhin gutes Üben mit deinen beiden Katzen. Den Spruch, dass Katzen alle Asperger sind, habe ich noch nie so wirklich begriffen ...

  • Salut Regenbogen

    Bist du noch aktiv hier? Falls ja, würde ich mich gerne zum Thema austauschen. Mir hat diesbezüglich bisher niemand so sehr "aus der Seele" geschrieben wie du. Es ist ein Thema, das auch mich sehr ängstigt. Es geht nicht nur um das momentane Leid; die Reizüberflutung, die Wut, den Stress ... Sondern, wie du sagst, um die Angst um (lebenswerten) Lebensraum. Für mich fühlt es sich geradezu existentiell an. Ich bin aufs Land gezogen, weil ich es in der Stadt kaum aushalte, aber auch hier ist es an gewissen Tagen absolut grenzwertig bzgl. Lärm vom Strassen- und Flugverkehr, Gartenarbeit, Landwirtschaft ... Die Motorräder sind wirklich am Schlimmsten. Naturgeräusche werden mir selten zu intensiv, aber um nur die um sich zu haben, müsste man ja schon irgendwo ganz tief im Wald wohnen.

    Ich mache mir also Sorgen um eine Zukunft, die immer lauter und lauter wird.

    PS: Dein Beitrag ist schon von 2018, seither ist es ja vermutlich noch extremer geworden. Nur Covid brachte etwas mehr Stille mit sich, war dafür sonst eine sehr schwierige Zeit.

    Edited once, last by Nocturnal (June 26, 2024 at 11:37 PM).