Hat mein Kind Asperger?

  • Mein Partner und ich haben einen kleinen Sohn (4), der viele Verhaltensauffälligkeiten zeigt, die uns Sorgen machen. Sozial und in der Kommunikation hat er grosse Probleme. Er schaut die Leute nicht wirklich an, rennt dann aber unvermittelt zu ihnen hin (manchmal auch zu Fremden) und gibt ihnen etwas oder fasst sie an oder sagt irgendetwas Zusammenhangsloses. An anderen Kindern ist er fast gar nicht interssiert, er spielt am liebsten zuhause, alleine oder mit uns. In die Kita geht er überhaupt nicht gerne. Die Gruppenleiterin sagte uns letztens, dass er bei gemeinsamen Aktivitäten praktisch nie mitmacht (basteln, turnen etc.). Er haut und tritt auch andere Kinder, einmal hat er ein Mädchen sogar gewürgt. Wenn er sich dann entschuldigen soll, weigert er sich standhaft oder bekommt einen Wutanfall, schreit sehr laut, weint... Dies ist auch zuhause ein Problem. Manchmal wissen wir gar nicht, was der Auslöser ist- er ist unberechenbar. Einen Jungen in der Kita mag er gerne, dieser ist fast 3 Jahre älter und ich habe den Eindruck, dass die beiden zusammen, ich sage mal, "schwierig" sind. Sie machen wohl sehr oft Lärm und stören alle anderen.
    Dies ist eine weitere Auffälligkeit von ihm- was ihn fasziniert, ängstigt ihn zugleich. Dazu gehören v.a. Geräusche, Musik, Lärm. Er macht selber sehr gerne und sehr gut Musik, v.a. spielt er auf allen möglichen Dingen Schlagzeug (er ist rhythmisch sehr begabt, kann komplizierte Rhythmen schon mehrere Takte lang durchhalten). Er hörte schon sehr früh aufmerksam anspruchsvolle Musik, Jazz, Klassik, Country etc. Er kann Instrumente am Klang erkennen (bereits mit 2, zum Teil) und am Aussehen sowieso. Fagott, Tuba, Orgel, Posaune, Bratsche, Oboe- erkennt er alles. Aber dem Tiger sagt er heute noch manchmal Biene, wegen der Streifen. Gleichzeitig hat er unheimlich Angst vor Lärm, es ist ihm sehr oft zu laut. Sein Schreien empfinde ich manchmal als Ventil, wenn das Fass voll ist, muss etwas raus. Er ist auch sehr geruchsempfindlich und erkennt Geschmäcker und Gerüche schon ziemlich gut. Motorisch ist er eher ungeschickt, beim Klettern sehr ängstlich. Sprachlich ist er sehr weit, er sprach früh, von Anfang an verständlich und mit grossem Wortschatz. Ausdrücken was er empfindet oder Erlebnisberichte abgeben, macht ihm jedoch grosse Mühe. Diese Dinge deuten für mich auf Asperger hin. Es gibt jedoch einige Dinge bei ihm, die dagegen sprechen. Er hat unheimlich viel Phantasie. Er kann einen ganzen Nachmittag ausschliesslich mit einer Schnur und einem Stecken spielen. Diese sind dann Musikinstrumente, Werkzeuge, Angelrute, Schmuck, Gewehr usw. Auch das Zweckentfremden von Spielzeug oder Dingen ist eine Spezialität von ihm. Er hat ausserdem Humor und macht schon Wortspiele und Reime. Ich bin keine Fachperson, aber ich lese überall, dass Asperger- Betroffene eher wenig Vorstellungskraft und mit Humor eher Mühe hätten. Wie sind da eure Erfahrungen, stimmt das? Oder gibt es da alle Abstufungen? Auch ist er Gefühlen von anderen gegenüber segr feinfühlig, er merkt immer, wenn es mir oder jemand anderem nicht gut geht oder ein abrupter Gefühlswechsel stattgefunden hat, auch wenn diese andere Person dies nicht sagt oder zeigt. Ich bin sehr verunsichert und fühle mich mit ihm manchmal isoliert, weil ich mich oft fast nicht unter Menschen traue, wenn er einen schlechten Tag hat.
    Es gibt übrigens auch Zeiten (meist einen bis mehrere Tage hintereinander), in denen er sich nicht so verhält bzw. in sehr abgeschwächter Form. Dann kann er mit anderen Kindern spielen, geht offen auf Menschen zu. Wovon sein Verhalten abhängt, haben wir noch nicht herausgefunden...
    Noch etwas fällt mir auf: was andere Kinder 200mal hören müssen, bis sie es verinnerlicht haben, muss man ihm 2000mal sagen. Ausser wenn es um seine Interessen geht, da ist er schnell. Manchmal kommt es mir so vor, als hätten unsere verscheidenen "Erziehungsversuche" auf ihn überhaupt keinen Einfluss, genausowenig wie negative Reaktionen anderer Kinder (oder Erwachsener). Er ist manchmal ganz in seiner Welt versunken und hört gar nicht, dass ich etwas sage.
    Sollen wir ein so kleines Kind schon abklären lassen? Ist das überhaupt möglich? Und denkt ihr, dass meine Beschreibungen auf Asperger hindeuten könnten oder liege ich da völlig falsch? Vielen Dank für jeden Hinweis/ jede Antwort.

  • Hallo Atoba


    An vielen Stellen Deines Berichtes habe ich meinen Sohn in frühen Jahren wieder erkannt. Es ist aber sicherlich weder richtig noch möglich, eine Online Diagnose zu stellen. Ich würde Dir aber sehr zu einer Abklärung raten. Unser Sohn war damals (vor dem Kindergarten) in der heilpädagogischen Frühberatung. Gerade bei verhaltensauffälligen Kindern (egal ob nun ASS oder etwas anderes) wird Euer Sohn und auch Ihr als Eltern professionelle Unterstützung brauchen (und die Erzieher sicherlich auch). Und es ist gewiss einfacher, wenn Ihr schon vor Schuleintritt Gewissheit habt, in welche Richtung es geht. So könnt ihr allenfalls Enttäuschungen und Frustrationen im Zusammenhang mit der Schule ein klein wenig auffangen. Und könnt allenfalls in Zusammenarbeit mit dem Schulpsychologischen Dienst den richtigen Kindergarten / die richtige Schule für ihn finden. Das hat den Vorteil, dass es nicht so ein Hin und Her gibt. Oft müssen solche Kinder ein grosses Hin und Her erfahren, mit verschiedenen Schulungsversuchen, Wechseln etc., die sicherlich gerade für solche Kinder besonders schwierig sind (weil keine Konstanz).


    Wo bist Du denn zu Hause? Wir haben die Abklärung im KJPD in Zürich, Abteilung Autismus, gemacht. Nach wie vor werden wir da betreut und ich bin oft froh, wenn ich mich bei Problemen an Fachpersonen richten kann.


    Liebe Grüsse
    Patch

  • Hallo Atoba


    Patch hat recht, online eine Diagnose zu stellen ist weder richtig noch möglich.
    Wir haben zwei Jungs mit Asperger und so ähnlich sich die beiden Brüder sind, so grundverschieden sind sie auch!
    In Deinem Bericht ist mir auch das eine oder andere aus unserer Kleinkinder-Zeit bekannt vorgekommen.
    Wir haben die Diagnosen relativ spät erhalten. Und auch da möchte ich mich Patch anschliessen: Wenn Du früh weisst, was los ist, kannst Du Dir und Deinem Kind hoffentlich einiges an Frust mit der Schule ersparen.
    Und schliesslich: Als wir dann wussten, dass unsere Jungs Asperger sind, konnten wir sie viel besser verstehen und einiges in der Erziehung und im Alltag umstellen. Das hat der ganzen Familie geholfen! Jeder Tag ist eine Herausforderung und zugleich unendlich spannend!


    Ich wünsche Euch alles Gute


    Noa

  • Hallo


    Jeder Tag ist eine Herausforderung und zugleich unendlich spannend!


    Das fand ich ein wunderschöner Satz Noa... genau so empfinde ich auch. Mal ist es anstrengend und ermüdend, mal überwältigend und herausfordernd, dann wieder einfach nur wunderbar und eine riesen Bereicherung... so oder so, ist es aber ein Einlassen auf sich selber und seine Umwelt :)


    Euch allen viel Kraft und Zuversicht
    Liebe Grüsse
    Patch

  • Ich möchte Euch herzlich danken für Eure Antworten. Wir werden ihn beim KJPD abklären lassen. Gerade im Hinblick auf den Kindergarten und die Schule leuchtet es ein, dass es gut ist, früh zu wissen, was (und ob) etwas ist.
    Herzliche Grüsse!

  • Liebe Atoba


    Ich wünsche Dir viel Kraft und Zuversicht auf Eurem Weg.. Beim KJPD seid Ihr aber sicher mal an der richtigen Stelle, egal ob nun ASS diagnostiziert wird oder etwas anderes. Und gerade wenn es ums Thema Kindergarten und Schule geht ist es sehr wertvoll, wenn man Fachleute an seiner Seite hat, welche sich ebenfalls für das Wohl des Kindes einsetzen.


    Alles Gute


    Gruess
    Patch

  • Liebe Atoba
    Es ist auch sinnvoll abzuklären, bevor die Kinder 5 sind. Die IV erkennt das Asperger nur, wenn vor 5 eine Diagnose oder wenigstens eine Notiz von einem Arzt bestehen..
    Wir wurden damals immer vertröstet, man könne vor der Schule nicht abklären und dann waren wir für eine IV-Anmeldung zu spät.
    Wünsche dir viel Kraft für die Zukunft und für den Moment eine schöne und besinnliche Weihnachtszeit.


    Liebe Grüsse
    Jris

  • Liebe Atoba


    Ja, es liest sich wie meine Geschichte.
    Das wichtigste ist auch schon gesagt. Je früher die Abklärung, umso besser.


    Allerdings hängt es sehr vom Arzt ab. Hinterfrage immer und vertraue Deinem Bauchgefühl.


    Mein Sohn ist auffällig seit er 4 Jahre alt ist. Asperger Diagnose mit 17!!!!
    Sehr geholfen hat damals mit 5 der Wechsel im Kindergarten in eine Integrationsgruppe. Hier sind weniger Kinder, heisst weniger Stress und Druck. Unmerklich war mein Sohn mit dem Kindergarten Alltag überfordert. Hat sich nie beteiligt an Spielen, singen etc. Der Trubel war ihm zuviel. In der neuen Gruppe ist er aufgeblüht, die Ruhe tat ihm gut. Sollte es so etwas in der Schweiz geben (wir waren damals in Berlin) kann ich das nur empfehlen. Liebe Grüsse