Das unsichtbare Asperger-Syndrom

  • Es kam in letzter Zeit ein paar Mal vor, dass Leute, denen ich erzählte - oder erzählen musste, dass ich am Asperger-Syndrom leide, mich ganz erstaunt anschauten und erwiderten wenn die sich wieder gefangen hatten, dass man mir das Asperger-Syndrom nicht ansehe. Also mich als Betroffener machen solche Bemerkungen immer völlig baff. Wie sieht den ein Asperger oder ein Autist aus? Wie ein grünes Marsmännchen oder -frauchen? ?( <X


    Ich sehe - soweit ich in der Lage bin mich selbst zu beurteilen - nicht anders aus als Otto Normalverbraucher. Aber vielleicht will ich das grüne Männchen ja im Spiegel nicht sehen? Wer weiss?


    Mir scheint, als ob die Welt Behinderungen nur als solche anerkennt, wenn sie sichtbar sind, wie zum Beispiel bei einem Querschnittgelähmten oder körperlicher Natur. Ein Rollstuhl signalisiert automatisch Achtung Behinderung! Aber der Autismus? Gute Frage und keine Antwort.


    Das "Unsichtbare" ängstigt offenbar viele Leute, verunsichert sie. Der nächste Schritt ist dann die Ablehnung nach dem Motto: was man nicht kennt, lehnt man sicherheitshalber mal ab. Man verstösst es, will damit nichts zu tun haben. Wieso? Weil man sich mit dem Unbekannten nicht auseinandersetzen will. Die Auseinandersetzung bedeutet Arbeit - sein Weltbild hinterfragen etc. Das ist natürlich unbequem, also lässt man es besser bleiben. Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss. Das ist wie bei Kaninchen. Die drehen sich um und signalisieren dir damit, dass du für sie nicht mehr da bist. Nur: sind Menschen Kaninchen?


    Müssen wir Autisten in Zukunft vielleicht zwecks besserer Erkennung eine Plakette tragen? Also ich finde solche Aussagen fragwürdig und mich verletzen diese ehrlich auch. Mag sein, dass ich empfindlich bin, aber das bin nun mal ich und ich bin vor allem Asperger. Ich habe es aufgegeben, allen gegenüber immer Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich überlege mir wirklich, ob es nicht einfacher wäre, jedem einen Flyer über Autismus in die Hand zudrücken - nach mir die Sintflut.


    Existieren Dinge, Zustände nur, wenn man sie sehen kann? Sind wir vielleicht gar Ausserirdische? Viele Menschen glauben an Gott, doch hat ihn schon je mal ein Mensch gesehen? Ich will Gott jetzt nicht mit Autismus auf die gleiche Stufe stellen. Sorry, falls dieser Vergleich jemanden beleidigen sollte. <3


    Regenbogen

  • Wieso muss man sich eigentlich stets rechtfertigen, wenn man /frau ein wenig anders tickt, als die meisten anderen?
    Vielleicht wäre es heilsam, wenn "Otto Normalverbraucher" einen Flyer herumgeben würde, weshalb er oder sie meint, dass sie normal seien und weshalb sie dabei bleiben wollen oder müssen...
    Ich wäre gespannt auf die ihre Beweggründe ;-)!

  • Ja, das wäre bestimmt eine Alternative. Wer entscheidet eigentlich, was "normal" ist und was nicht? Ich aus meiner Warte sehe mich als für mich völlig stimmig, will heissen normal. Ich habe mich nie anders erlebt, es war eher so, dass mir das Gefühl vermittelt wurde, nicht dazu zugehören. Doch wozu? Zu den "Normalen"???


    Die Diagnose ASS hat mir doch nur gezeigt, dass die sogenannt "Normalen" mich nicht als solchen betrachten. Doch wessen Problem ist das eigentlich? Im Grunde doch nicht meines, finde ich. Daher ist es diskriminierend, sich für etwas rechtfertigen zu müssen, das letztlich nur auf der Unkenntnis der vermeintlichen Mehrheit beruht.


    Was wäre, wenn es plötzlich mehr von uns als den "Normalen gäbe? Müssten sich diese, da in der Minderheit, sich dann auch rechtfertigen? Interessantes Gedankenspiel, nicht?


    Wann sieht die Gesellschaft denn endlich ein, dass es nicht nur Schwarz und Weiss unter der Sonne gibt? Sind wir denn nicht alles Menschen? Egal ob Autist oder sonst eine andere Eigenheit? Sind es nicht gerade die vielen Farben der Diversität der Spezies Mensch, die wie die des Regenbogens leuchten und Freude in unser aller Leben bringen?


    Die Vorstellung, wie die Welt aussähe, wenn es nur eine Farbe gäbe, finde ich traurig und bin der Natur dankbar, dass sie all die wunderbaren menschlichen Farben geschaffen hat.


    Daher auch mein Name Regenbogen, der für die Schönheit der Farben steht :-))

  • Hallo Regenbogen


    Ich glaube, die Gesellschaft hat Angst vor allem was einem nicht bekannt ist. ASS ist auf den ersten Blick oft nicht zu sehen. Genau da müssen wir jetzt ansetzen und den Autismus unter die Leute bringen. Man muss aufklären. Ich sehe es bei unserem Sohn, wie wenig die Leute wissen. Es gibt dann solche, die sich bemühen etwas darüber zu erfahren und die anderen, die so engstirnig bleiben wollen, wie sie sind. Wenn wir es nicht versuchen, wird die Welt wohl schwarz - weiss bleiben und keiner wird merken, wie schön es eigentlich farbig wäre.


    Sind wir einmal ehrlich. Keiner gibt gerne zu, dass er Fehler macht oder falsch liegt. Wir wollen alle in unserem alltäglichen Trott bleiben und ja nichts ändern. Genau da muss sich was ändern und da haben wir alle Mühe und es braucht Zeit und Verständnis.


    Es ist noch ein langer Weg aber ich glaube, der Einsatz unserer Energie in diese Arbeit lohnt sich.


    Freundliche Grüsse


    Jris

  • ich glaube nicht an diese Überzeugungsarbeit. Wir alle leben von und mit Vorurteilen, weil wir nicht alles aus eigener Erfahrung einsehen können. Vorurteile kann man in den wenigsten Fällen mit verbalen Argumenten aushebeln.


    Ein gutes Beispiel ist der Rassismus in den USA, die Ansicht, dass schwarze Menschen minderwertig sind. Wie lange ist Obama schon Präsident? Und der ist ein echt smarter Typ, weit über dem Durchschnitt der sog. Weissen, welche nichts dazu bringt, ihre Vorurteile gegen Schwarze fallen zu lassen.


    Autismus? Allein dieses -Ismuswort löst Schrecken aus. Autisten haben wie Temple Grandin keine Gefühle - so dachte ich selbst noch vor kurzem.


    Als Anderslebender, als Intellektueller, mag ich stirnrunzelnd toleriert werden, weil ich ein Image des Unverständlichen, Abgehobenen ausstrahle; würde ich mich aber als Autist outen, würde ich gefürchtet als Kranker, Behinderter, dem man alles zumuten kann und vorsorglich auch besser zumuten muss.

  • Meine Erfahrung hat mittlerweile, das heisst seit ich die ASS-Diagnose vor bald mal 5 Jahren erhalten habe, auch zu der Einsicht geführt, dass Aufklärungsarbeit nicht sehr erfolgsversprechend ist. Die Leute denken was sie denken wollen, halten an ihrem mal geschaffenen Weltbild fest und sind selten willens, dieses auch nur ein Stück weit zu korrigieren. Dieses sture Verhalten scheint angeboren zu sein, entweder man verfügt über die Fähigkeit, mal über den Tellerrand zu schauen oder eben nicht.


    Es gibt noch so viele Andersartigkeiten, ich glaube, die Gesellschaft ist damit grundsätzlich einfach überfordert. Man nehme zum Beispiel die ganze Geschlechtsthematik. Wie sehr leiden 100'000e von Menschen unter denselben Symptomen wie gegen uns ASS? Da wird im Namen von was weiss ich nicht was oder wem gemordet und nur wenige schauen hin. Ich denke, der Zivilisationsdschungel ist einfach zu gross um einen Schrei überhaupt noch zu hören. Mir wird übel bei dem Gedanken.


    Cellos Beispiel Rassismus ist ein gutes. Man schaue da mal genauer hin. Es ist nicht zum Aushalten, nicht für mich.


    Ich stimme Iris zu, es muss sich was ändern, doch wer macht den Anfang? Solange niemand dazu gezwungen wird, seine Standpunkte zu ändern - die Frage hierzu folgt auf dem Fuss, nämlich die nach denjenigen, welche die neuen Richtlinien bestimmen - wird wenig geschehen. Es ist bequemer, ein Mitläufer als ein Mitstreiter zu sein.


    Ich hätte mich NIE als ASS geoutet, wenn ich nicht gemusst hätte. Aufgrund alleine schon wegen des Verdachts auf ASS wurde mir mein Job gekündigt, mit der Begründung, mit Behinderten (!) wolle man nichts zu tun haben. Dieser Arbeitgeber war eine Gemeinde, also die öffentliche Hand. Ich weiss bis heute nicht, weshalb man mir gekündigt hat, wahrscheinlich eben aus Angst vor dem Unbekannten. So viel zum Verhalten Andersdenkenden gegenüber. Dieses dauernde Hervorheben der sogenannten positiven Seiten des ASS hat mir keinen Millimeter geholfen, aus der Krise herauszufinden. Man hat mit dem Finger auf mich gezeigt und mich ausgeschlossen - Punkt - Aus - das wars. Also, wo bleibt da das Verständnis???


    Es mag sein, dass vielleicht in vielen Jahren ein Quäntchen Verständnis aufkommen wird, doch leider geschieht dies hauptsächlich bei Leuten die in der einen oder anderen Form mit ASS zu tun haben. Oft sind es ja Eltern von Kindern, aber sind die auch Arbeitgeber???

  • Also ich habe es mittlerweile aufgegeben anderen zu erzählen dass ich ASS habe. Es bringt nichts.


    Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass sehr viele (zu viele) Menschen das nicht verstehen können. Sie wissen nicht was das ist oder was das heissen soll. Sie kennen "Autismus", aber "Asperger" nicht und würden mir das ohnehin nie abkaufen. Ich kann mich auch daran erinnern, dass ich es vor ein paar Jahren schon mal Freunden erzählt habe als es mir sehr schlecht ging.. darauf sagten sie nur "ach du hast doch gar nichts..". und das war genauso schlimm, wie wenn mich jemand deswegen fertig machen würde, weil sie mir entweder nichts geglaubt haben oder mich nicht ernst genommen haben.
    Ich habe auch bestimmten Personen bestimmte Probleme genau erklärt, da es bezüglich bestimmten Situationen sehr wichtig war.. aber sie schienen es nicht ernst genommen zu haben oder vergassen es. Das verursachte natürlich Probleme... Obwohl sie einfach nur meine Probleme hätten ernst nehmen können.


    Und Jemandem der Job zu kündigen augfrund einer Behinderung oder gar dem Asperger-Syndrom welcher aber normal arbeiten konnte... finde ich dermassen lächerlich 8| .. solche Menschen sollte man einsperren :D


    Aber ein Tipp von mir ist: Vielleicht könnte man versuchen die Bezeichnung AS oder Autismus wegzulassen. Oder auch gar nicht erst erwähnen dass man ein Syndrom mit einem Namen hat. Sondern einfach sagen was einem Probleme bereitet. Immerhin gehört es zur eigener Person und so ist man nun mal. Denn wenn es wirklich wichtig ist es mitzuteilen, geht es doch meist nur um bestimmte Schwierikeiten mit bestimmten Menschen... da muss man nicht gleich alles offenbaren. Dieses Syndrom begreifen die meisten sowieso nicht. Da hilft auch die Bezeichnung nichts.