Ungewissheit über die Zukunft

  • Nahezu alle Eltern machen sich Gedanken über die Zukunft ihres Kindes, die nicht selten durch Ungewissheit und Sorgen geprägt sind. Ein Vater meinte dazu:


    „Was ist mit meiner Tochter, wenn wir mal nicht mehr da sind, was passiert dann mit ihr. Klar, bis dann passiert noch viel, aber das sind so die Hauptsorgen.“


    Die Eltern berichten von der Herausforderung ihrem Kind ein Leben zu ermöglichen, für den Fall, dass sie als Eltern ihr Kind aus irgendwelchen Gründen nicht mehr unterstützen können. Die Eltern haben Ängste und Sorgen bezüglich der ungewissen Zukunft ihrer Kinder und stehen demgemäss unter einer erhöhten Belastung, die durch die folgenden Zitate noch weiter verdeutlicht wird:


    Eine Mutter beschrieb ihre Befürchtung: „Wenn wir mal nicht mehr sind, kommt sie in eine Psychiatrie, wird sediert und bekommt einen Hammer auf den Kopf damit sie ruhig ist. Und _das_ will ich verhindern.“


    Um diesen Befürchtungen entgegen zu wirken, hat die Mutter bereits Vorkehrungen getroffen. Sie meinte:


    „Wir haben dieses Haus hier, das ist „niegel nagel“ neu, so gebaut damit wir für sie vorsorgen können. Es hat noch eine Wohnung da drin. Entweder wird sie so gut, dass sie dieses Haus übernehmen kann oder sie wird so gut, dass sie ununterstützt leben kann. Oder sie kann in der Wohnung mit Unterstützung leben oder das Haus wird einer Stiftung überschrieben, mit dem Ziel, das sie meiner Tochter betreut lebenslang schauen und dafür hier eine Gruppe von Menschen, mit Kontakt zur Normalwelt, weil das brauchen Autisten, leben können und nicht vegetiert und zu sediert wird. Das ist die Idee von diesem Haus.“


    Eine andere Mutter spricht von der grossen Herausforderung und der Verantwortung ihrem Sohn ein Leben auch ohne sie ermöglichen zu können:


    Ja und jetzt ist man auch am Planen wie man ihn versorgt. Wenn ich sterbe, dann muss man auch finanziell Vorbereitungen für ihn machen. Das muss man jetzt schon. Weil es kann immer etwas passieren, ein Unfall, ja. Wir sind auch nicht mehr so jung. Es kann immer etwas passieren. Eine schlimme Krankheit oder so. Man muss nicht unbedingt achtzig sein um zu sterben. Sondern, eben mit solchen Kindern zu leben heisst, man hat mehr Verantwortung, weil höchstwahrscheinlich braucht er vielleicht auch bis ins Erwachsenenalter unsere Hilfe und da müssen wir schon jetzt vorsorgen.“


    Es gibt Faktoren (Ressourcen), die solchen Ängsten entgegen wirken können. Geschwister oder andere enge Verwandte, die im Wissen der Eltern für ihr Kind mit Autismus sorgen würden, falls den Eltern dies nicht mehr möglich ist, können eine Entlastung bieten. Eine Mutter, die keine anderen Kinder hat, und nicht auf die Ressource der Geschwister zurückgreifen kann, beschrieb dies als Belastung: „Also für mich ist das ein grosses Problem, dass nicht noch ein Geschwister herum ist, weil dann wäre sie nicht alleine.“


    Eltern machen sich aber nicht nur Gedanken über eine Zukunft in der sie möglicherweise nicht mehr da sind oder für ihr Kind nicht mehr sorgen können, sondern sie berichteten generell von Sorgen über den weiteren Entwicklungsverlauf ihrer Kinder, sei dies in Bezug auf die Selbstständigkeit oder auch hinsichtlich der Schulung und später der beruflichen Ausbildung.


    Welche Gedanken machen sie sich über die Zukunft ihres/ihrer Kindes/r, welche Vorkehrungen und Vorbereitungen treffen sie bereits jetzt?

  • Die Sorgen über die Zukunft unserer Kinder begleiten uns im Alltag. Die Wünsche für ihre Zukunft sind momentan von der Hoffnung geprägt, dass sie es schaffen, ihr Leben als Erwachsene selbstbestimmt, ohne Unterstützung von Drittpersonen, zu lenken und zu leben. Wir hoffen, dass sie junge Erwachsene werden, die sich in ihrem Umfeld (schön wäre, wenn sie einen Lebenspartner finden können) wohlfühlen und die, in ihrem zukünftigen Beruf, ihre Erfüllung finden. Wir hoffen fest, dass sie glückliche und zufriedene Erwachsene werden.
    Für dieses, im Moment noch unser Ziel, investierten wir viel in ihre Kindheit. Wie andere Eltern auch, haben wir viele Therapien und Schulen ausprobiert. Ein für uns ganz wichtiges Ziel war, mit ihnen in Kommunikation zu kommen (bei einem Autisten relativ schwer und nicht immer möglich!) und ihre Lernfreude, vorallem am Schulstoff zu wecken. Dieses Etappenziel haben wir bei ihnen erreicht, beide Jungen lernen heute gerne. Trotzdem können wir uns noch nicht sicher sein, dass sie als Erwachsene ohne Unterstützung leben können.


    Da ich keine Lust habe, mir über ihre Zukunft zuviele graue Haare wachsen zu lassen, setze ich meine gesamte Energie in ihre jetzige Entwicklung. Ich bin der Ansicht, dass sie ihre Zukunft zu einem grossen Teil selbst in den Händen halten und diese auch beeinflussen können, wenn sie von sich, im Laufe ihres Erwachsenwerdens, ein gutes Selbstbild entwickeln konnten. Zudem habe festgestellt, dass viele Fachleute das wahre Potential unserer Kinder nicht erkennen können. Also dürfen wir Eltern, auf keinen Fall den Glauben an unsere Kinder verlieren und müssen die Aufgabe wahrnehmen, sie zu soviel Selbständigkeit zu führen, wie es für sie möglich ist. Sollten sie als Erwachsene mehr Unterstützung benötigen, als ich jetzt hoffe, wird dies der Zeitpunkt sein, wo ich mich damit intensiv auseinandersetzen werde. Ich kann noch nicht absehen, wer diese Aufgabe in Zukunft wahrnehmen könnte.


    So, wie sich unsere Söhne entwickeln, könnte es sein, dass sie vielleicht Maximum (hoffentlich) ein Couching als Erwachsene benötigen. In der Gegenwart macht es für uns noch nicht viel Sinn, uns auf verschiedene Eventualitäten vorzubereiten. Wir benötigen unsere ganze Kraft und Energie für ihre aktuelle Entwicklung. Unser älterer Sohn überraschte uns in den letzten Monaten mit einem enormen Entwicklungsschub, er ist viel selbständiger und reifer geworden. Er entdeckt für sich, vorallem die Vorteile von seinem Autismus, so seine Zielstrebigkeit bei der Wissensaneignung über seine Spezialgebiete. Weder ihm noch uns ist zwar im Moment klar, ob und wie er dieses Spezialwissen im beruflichen Alltag einsetzen kann. Wir freuen uns aber mit ihm, dass er im Monat August mit seiner Lehre im IT-Bereich beginnen kann.


    Der Jüngere braucht momentan noch unsere ganze Unterstützung. Er hat ein schweres Sprachgebrechen, die für ihn sehr wichtigen Übungen im Deutsch, findet er nicht immer toll. Aber er freut sich, dass er im letzten Jahr gelernt hat, über seine Erlebnisse zu berichten. Er und auch uns stresst es, dass es für ihn immer noch schwierig ist, seine Gefühle zu erklären. Nicht immer gelingt es uns seine Reaktionen zu entschlüsseln und so für ihn schwierige Situationen zu entschärfen. Ein ganzes Netz von Leuten (motivierte und engagierte Lehrer, Heilpädagogen und Therapeuten) stehen hinter uns und helfen mit, damit unser Sohn seine Potentiale entwickeln kann. Bei ihm sind noch alle Möglichkeiten offen, niemand kann absehen wie seine Entwicklung weiter verlaufen wird. Diese Ungewissheit müssen wir, und müssen auch andere Eltern mit ihren autistischen aber auch "sogenannt normalen" Kindern, aushalten lernen.


    Ich wünsche uns allen viel Kraft, aber auch viel Freude an den grossen und kleinen Schritten unserer Kinder.


    Liebe Grüsse Monica

  • Zitat einer Mutter
    Eine Mutter beschrieb ihre Befürchtung: „Wenn wir mal nicht mehr sind,
    kommt sie in eine Psychiatrie, wird sediert und bekommt einen Hammer
    auf den Kopf damit sie ruhig ist. Und _das_ will ich verhindern.“


    Da ich in meinem Leben viele Psychiater kennengelernt habe,
    kann ich diese Angst verstehen.


    Auch ich hatte Glück, dass mich eine Sozialarbeiterin vor diesem
    Schicksal bewahrt hat. Siehe auch
    Kindheit, Jugendzeit, Lebensweg


    Heute habe ich freie Therapie u. die Situation des Unverständnisses hat
    sich im Erwachsenenbereich der Psychiatrie in keiner Weise verändert.
    Siehe auch
    Psychiater-Sprache


    Durch die Unterstützung eines Professors aus der Psychiatrie, konnte
    ich 2009 verhindern, dass man mich unfreiwillig mit Psychopharmaka
    eindecken und in eine Klinik einliefern wollte, da er erkannte, dass ich
    auf meine Weise durchaus lebensfähig bin u. eine Fehldiagnose vorlag.
    Wäre er nicht gewesen, wäre ein furchtbares Schicksal für meine ganze
    Familie (insb. meine Söhne) eingetroffen, ich darf nicht daran denken.


    Hier muss ich ergänzen, dass die Diagnose Autismus bei mir von den
    Psychiatern aus dem Erwachsenenbereich nicht anerkannt wurde/wird,
    weil die Autismus-Fachleute aus dem Bereich Kinder-Psychiatrie sind.
    Der Professor erkannte das Problem und versuchte es mir zu erklären.


    Daher verliere ich auch nie den Mut, dass es auch in der
    Psychiatrie noch Fachleute mit Verstand gibt, leider aber so rar,
    dass ich die Angst als ernsthafte Realität nachvollziehen kann.


    Gruss Nic


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