Schlachtkörper oder doch ein Mensch?

  • Viele autistische Menschen im meinem Bekanntenkreis sowie auch ich selber mussten zu oftmals die Erfahrung machen, dass es viele Zeitgenossen gibt, die aus uns gerne die besten Stücke aus uns herausschneiden möchten, eben wie das Filet aus einem Schlachtkörper. Man möchte noch so gerne unser Gedächtnis, unsere Inselbegabungen, unsere Zuverlässigkeit, unsere Ehrlichkeit, womöglich sogar wirtschaftlich, aber zwingend einzeln nutzen. Unsere Manierismen, unsere Tics und unsere geringe Stresstoleranz etwa stellen da im besten Falle die Schlachtabfälle da.
    Unsere Fähigkeiten sind sehr gefragt alles andere, was Autismus auch mit sich bringen kann wird stigmatisiert, man stösst sich eben daran.
    Mir kommt es so vor, wie wenn man einen Menschen in gute und schlechte Stücke zerwirkt, ohne eigentlich bewusst zu sein, dass ein Mensch als solches unteilbar ist.
    Man kann bei einem Menschen logischerweise nicht ein Filet-Stück einzeln haben.
    Nur der ganze Mensch macht ihn so einzigartig. dies gilt selbstverständlich auch für autistische Menschen.
    Nur die positiven Seiten an uns sind gefragt aber als Mensch wird man nicht akzeptiert geschweige denn estimiert.
    Habt ihr auch ähnliche Erfahrungen machen müssen?

  • Hallo Fritz,


    ich muss - leider - eingestehen, dass mir genau das, was du beschreibst, widerfahren ist, und zwar nicht nur einmal.
    Eine besonders schlimme Erfahrung, die mich bis heute prägt, musste ich in einem Moment meines Lebens hierbei machen, als ich viel -zu viel - Hoffnung in ein zukunftsorientiertes Leben nach der Diagnose-Stellung Asperger-Syndrom gelegt hatte. Ich möchte an dieser Stelle keine Namen nennen. Nur so viel: es ging darum, mich wieder "einzugliedern". Fazit dieser ganzen Geschichte ist bis heute die, dass sich das Sprichwort "Die Hoffnung stirbt zuletzt" in meinem Fall mehr als zutreffend erwiesen hat.


    Auch bei mir wollte man die sogenannten Filets, wie du die "guten" Stücke nennst, herausschneiden und ausnutzen. Die Frage, ob ich denn als Mensch ingesamt gesehen werde, interessierte nicht. Meine Hinweise, dass ich dies gern hätte, wurden jeweils mit der Farce, dass wir nun mal nicht in einer Kuschelgesellschaft leben würden, abgetan. Und dies von sogenannten Fachleuten ... Was hat der Begriff "Kuschelgesellschaft" mit dem Wunsch nach einem menschenwürdigen Umgang mit mir zu tun? Darauf weiss ich bis heute keine Antwort.


    Ich hatte den Eindruck wie bei einer Operation, bei der man die Narkose vergessen hat. Man wollte rausschneiden, was verwendbar erschien und den Rest wegwerfen und dies bei vollem Bewusstsein. Welche Auswirkungen solch eine Behandlung bei einem hochsensiblen Menschen hat, weiss ich heute. Das kommt in meinen Augen einer nicht ausdrückbaren Grausamkeit gleich.


    Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als die in meinen Augen kleine Geste des Angenommen-werdens als Mitglied dieser unserer Gesellschaft. Mein Dasein ist einzigartig wie jenes ALLER Menschen, egal welcher Spielart der Natur sie entstammen.


    Das Ausschlachten eines Menschen aus dem autistischen Spektrums - generell aller "Andersartiger" gehört verboten. Aber wer nimmt sich dessen an? Meine Erkenntnis aus all dem ist, dass man niemanden zu einer anderen Sichtweise zwingen kann, weder per Gesetz noch sonst wie. So bleibt nur die Option, an das Gewissen anderer zu appelieren.

  • Hallo Fritz


    Es tut mir sehr leid, dass Du das so erlebst. Meinem Sohn geht es leider auch so: Eiversucht für das, was er gut kann - Mathe, Sprachen, Computer.... Mobbing für das was er sonst zeigt: Tics, alles wort- wörtlich nehmen Ignoranz seiner Bedürfnisse nach klaren Strukturen, verständlichen Prüfungsaufgaben, angemessener Ruhe in den Schulstunden und Förderung seiner Fähigkeiten entsprechend.
    Es ist ein Kampf und für mich als Mami so schwierig ihn zu unterstützen.
    Von einem kleinen schlauen selbstbewussten Kind ist er durch die Schule in ein unsicheren, von Ängsten und Alpträumen geplagter Jungen geworden, welcher tagtäglich über seine Grenzen und Energie vom "normalen Leben" überrumpelt wird.

  • Ein Beispiel aus meinem, für mich sehr anstrengenden, gewerblichen Erwerbsleben, bei der Arbeitsverteilung (Briefing) läuft nach wie vor das Radio, obwohl ich unzählige Male darauf hingewiesen habe, ich könne mit der Hintergrundsberieselung unmöglich dann gut zuhören.
    Weil es 08/15-Menschen das anscheinend so können, bleibt der Radio dann, bis auf weiteres, im Betrieb. Punkt.