Beiträge von Querdenkender

    Executive Funktionen:


    „Bei den exekutiven Funktionen geht es um die Fähigkeit zu planen und zielgerichtet zu handeln. Bei Menschen mit ASS sind diese Funktion beeinträchtigt“
    Dem muss ich klar widersprechen. Gerade Autisten neigen dazu, auch um die Sicherheit ihrer Umgebung zu gewährleisten, alles und auch Details zu planen und sehr zielgerichtet zu handeln. Kleines Beispiel „Einkaufen gehen“.


    Als Autist schreibe ich meinen Einkaufszettel nach dem Durchlauf im Markt. Ich gehe sehr zielgerichtet, umweglos und schnell zu den einzelnen Posten und kaufe so sehr direkt ein. So mancher Nichtautist schlendert eher durch den Markt, bleibt stehen, greift hier und dort zu, plaudert noch mich anderen Menschen und verbringt (mal hart gerechnet) wesentlich mehr Zeit beim Einkaufen als ich.


    „Diesen Störungen gemeinsam ist eine mangelnde Hemmung von Reaktionen, die einer zielgerichteten Handlung abträglich sind.“


    Ich kann nun nicht für alle genannten Fälle sprechen. Aber bei Autismus und Tourette sehe ich das anders. Gerade beim Tourettesyndrom ist es in meinen Augen keine mangelnde Hemmung von Reaktionen. Der Druck der sich hier aufbaut wird durch ein bewusstes unterdrücken und hemmen noch schwerer. Je mehr man dagegen angeht umso schlimmer wird es. Auch gehe ich eigentlich davon aus, dass man nur die Handlungen bewusst hemmen kann die der eigenen Entscheidungsgewalt unterliegen. Dies ist, auch wenn die Außenwelt das gerne so sieht, nicht immer der Fall. Als Beispiel bei Autismus kann ich hier den Drang zum Selbstverletzung nennen. Natürlich ist man sich in so einer Situation sehr bewusst dass man sich hier schadet. Aber genau dieses Bewusstsein und das Gefühl das der Körper einen zu Handlungen zwingen kann die man kaum unter Kontrolle hat machen es einen in so einer Situation noch viel schwerer. Das mag unter Umständen aber nur jemand nachvollziehen können der selbst schon in einer solchen Situation war. Auch wenn die „Theory of Mind“ das eigentlich von jedem Menschen verlangt, oder? ;)


    „Menschen mit einer ASS reagieren bei Wut beispielsweise oft in der Tendenz impulsiv und aggressiv. Sie scheinen nicht in der Lage zu sein, alternative Verhaltensweisen in Betracht zu ziehen.“


    Das stimmt definitiv nicht. Über das Thema „unvermittelte Wutausbrüche“ habe ich schon einiges in meinem Blog geschrieben. Kurz gefasst:
    Die Handlungen sind in der Mehrheit nicht impulsiv und damit unvorhergesehen. Sie sind vorhersehbar und kündigen sich oftmals deutlich an. Als unvermittelt und impulsiv werden sie nur deshalb empfunden weil die Außenstehenden die Anzeichen und „Hilferufe“ des Autisten nicht oder nicht richtig deuten. Auch hier meine, vielleicht provokante, Frage: Wo ist da die Theory of Mind bei den Nichtautisten? Sie wird solange nicht funktionieren wie man die Innensicht der Autisten nicht verinnerlicht hat. Im Umkehrschluss aber verlangt man von Autisten dass sie die Innensicht der Nichtautisten beherrschen. Eine Schieflage die man dringend hinterfragen muss würde ich sagen.
    Aggressiv sind die Ausbrüche zumeist auch nicht. Vielmehr sind es oftmals die einzige Wahl die einem Autisten noch übrig bleibt aus einer, für ihn extrem bedrängenden und unangenehmen Situation, zu flüchten. Daher sehe ich die von anderen empfundene Gewalt eher als passiv da sie nicht das Ziel hat andere Menschen zu verletzen sondern nur sich einer Notsituation zu entziehen. Es ist eine Flucht.


    „Unerwartete Veränderungen von Personen oder Abfolgen in der Schule führen bei Menschen mit ASS zu starker Verunsicherung und in der Folge nicht selten zu aggressivem Verhalten.“


    Wobei dieses als aggressiv empfundene Verhalten weniger ein Protest gegen Veränderungen ansich ist sondern vielmehr ein Ergebnis selbiger. Veränderungen verursachen Verunsicherung. Verunsicherung verursacht Stress weil jeder Sinnesreiz eine „Bedrohung“ darstellen kann. Stress wiederum führt zu einer langsameren Verarbeitung der Sinnesreize und damit zu einer sich steigernden Reizüberflutung. Diese verursacht noch mehr Stress, dieser verlangsamt die Reizverarbeitung noch mehr. Das schaukelt sich dann zu einem Overload hoch der sich auch in einem, von der Außensicht so gedeuteten, aggressivem Verhalten widerspiegeln kann.


    Ich hoffe meine Gedanken zu den drei Theorien sind eine verständliche weitere Sichtweise und Facette zu diesem Thema.


    Aleksander


    P.S.: Wenn das ok ist würde ich das Ausgangsposting und meine Sichtweise dazu gerne als "Im Dialog" in meinem Blog veröffentlichen.

    Hallo,
    ich möchte die Theorien mal aus der Sicht eines Autisten beleuchten und einfach mal den Versuch starten die „andere Seite“ aufzuzeigen.
    Zur Theory of Mind:


    Ich gebe offen zu: Sie ist und war mir immer ein Rätsel. Einfach ausgedrückt: Wie soll ich bitte erraten was eine andere Person fühlt oder denkt? Ich bin nicht die andere Person. Ich habe weder ihre Lebenserfahrung noch weiß ich was diese Person geprägt hat. Letztendlich ist die Theory of Mind dann doch nichts anderes als ein munteres Ratespiel. Ob man richtig liegt oder nicht wird man nie erfahren.


    „Mit dem Begriff „Theory of Mind“ ist die Fähigkeit gemeint, psychische Zustände (Gefühle und Gedanken) anderer Personen und sich selbst zuzuschreiben, also die Fähigkeit, die eigenen Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten und Vorstellungen und diejenigen Anderer zu erkennen, zu verstehen und vorherzusagen (Remschmidt et al. 2006).“


    Ich komme hier schon fast an ein Paradoxon. Auf der einen Seite ist es mir ein Bedürfnis möglichst viel vorauszuplanen damit ich eine gewisse Sicherheit habe. Bei anderen Menschen jedoch empfinde ich es, auch auf mich selbst übertragen, als einen ganz intimen Eingriff wenn jemand versucht mich vorherzusehen. Ich würde mich dann nämlich manipuliert fühlen. Anders ausgedrückt: Wenn jemand meine Reaktionen vorhersehen kann weiß er auch wie er eine von ihm gewünschte Reaktion provozieren kann. Vorhersehbar zu sein empfinde ich als sehr unangenehm. Und weil ich das für mich so empfinde werde ich auch nicht versuchen jemand anderen und seine Reaktionen vorherzusehen. Auch wenn es viel Kraft kosten kann mit „Überraschungen“ umzugehen, so ist doch genau diese Freiheit das was ich an anderen Menschen schätze. Dass sie so sind wie sie eben sind, und nicht wie ich es vielleicht gerne hätte und steuern könnte. Vielleicht mag ich auch deshalb Gespräche mit Verkäufern nicht wirklich. Sie sind für mich nämlich ganz klar vorhersehbar und das eben auch in ihrer Absicht mich mit Worten manipulieren zu wollen. Und das ist kein Verfolgungswahn sondern Verkaufspsychologie :D


    „Das Wissen darüber, dass jede Person Gedanken und Gefühle hat und dass diese sich von denen anderer Personen unterscheiden können, bildet die Grundlage für das Verstehen sozialer Situationen (Colle et al. 2006).“


    Auch hier sehe ich die Sache differenziert und etwas gespalten. Ich denke jeder Autist wird sich früher oder später im Leben darüber klar, dass sich seine Gedanken und Gefühle massiv von denen der anderen Menschen um ihn herum unterscheiden. Ein Aspekt der erheblichen Leidensdruck verursachen kann. Ich denke sogar das Autisten sich genau über diesen Punkt sehr viel klarer sind als nichtautistische Menschen. Diese neigen doch dazu, ihre Sichtweise von Dingen für gültig zu erklären. Das Bild „Autisten leben in ihrer eigenen Welt“ ist so entstanden. Durch Außenbeobachtungen und Schlussfolgerungen aufgrund der Erfahrungswerte von Nichtautisten. Man schloss aus gewissen Verhalten eben daraus das Autisten in ihrer eigenen Welt leben müssen und damit auch von der Außensicht auf die Innensicht und das beides Deckungsgleich ist.


    „Im Alltag zeigt sich der Mangel an Theory of Mind oft darin, dass Menschen mit ASS Doppelbödigkeiten nicht verstehen, da sie sich auf den Inhalt von Aussagen fokussieren ohne die Prosodie und/oder die Mimik in die Interpretation mit einzubeziehen. Daher haben sie z.B. im Verstehen von Witzen und Ironie Schwierigkeiten.“


    Provokant gefragt: Liegt hier der Fehler in dem Nichtverstehen von Doppeldeutigkeiten? Oder doch vielmehr in der Verwendung derselben? Ich höre nur allzu oft, dass sich auch Nichtautisten eine klarere Sprache wünschen und dass diese wesentlich einfacher, umgänglicher und stressfreier ist. Und mal Hand aufs Herz: Doppeldeutigkeiten bzw. versteckte Botschaften sind letztendlich nur eines: Das sich um die direkte Aussage und die Wahrheit drum herum drücken. Warum sonst verpackt man unangenehme Aussagen? Was Witze betrifft: Auch Nichtautisten verstehen nicht alle Witze oder finden diese Witzig.


    Zentrale Kohärenz:


    Eine Theorie in der ich mich mit meinen Autismus noch am ehesten wiederfinden kann. In meinem Vortrag über die „Stärken der autistischen Wahrnehmung“ nimmt die Zentrale Kohärenz auch einen wichtigen Platz ein.


    „Bei Menschen mit ASS ist die Fähigkeit zur zentralen Kohärenz beeinträchtigt. Dagegen ist die Tendenz, Reize isoliert und kontextfrei zu verarbeiten stark.“


    Hier wurde ich den Grund weniger in der Fähigkeit an sich suchen, sondern in der Reizverarbeitung im Gehirn. Autisten nehmen, in meinen Augen, die Reize bevorzugt isoliert und kontextfrei wahr da diese, und hier liegt der Unterschied zum Nichtautisten, nicht oder nur eingeschränkt vom Thalamus vorgefiltert werden. Bei Nichtautisten werden Sinnesreize schon vor dem Übergang in das Bewusstsein im Bereich des Thalamus gefiltert und auch priorisiert (z.B. Gefahrreize). Werden die Reize jedoch fast ungefiltert in das Bewusstsein übertragen, ist es die Aufgabe des Autisten diese im Bewusstsein zu analysieren und wieder in einen Kontext zu bringen.


    „Es wird oft von einer ausgeprägten Detailwahrnehmung bei Menschen mit ASS gesprochen. Studien konnten zeigen, dass Menschen mit eine leichten Form einer ASS dazu in der Lage sind, ganzheitlich wahrzunehmen, wenn sie explizit dazu aufgefordert werden.“


    Das sehe ich nicht ganz so. Nehmen wir das Beispiel mit den vielen Bäumen. Ein Nichtautist neigt dazu einen Wald zu sehen, ein Autist die einzelnen Bäume. So wieder der Nichtautist aber auch die Bäume in einem zweiten Schritt wahrnimmt schließt ein Autist aus den Bäumen einen Wald.
    Oder anders gesagt: Die einen sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Als Autist sehe ich viele Bäume und weiß das es ein Wald sein muss :)


    EDIT: Fortsetzung im nächsten Posting, mehr als 10.000 Zeichen sind nicht erlaubt :)

    Hallo,


    ich wollte eigentlich keine Aktion zum Welt Autismus Tag machen. Nicht weil ich keine Ideen hatte, sondern weil ich nichts versprechen wollte was ich nicht halten kann.
    Aber dann dachte ich mir: Ein Projekt das man nicht macht ist deshalb schon gescheitert.
    Hier ist es also:


    Think Positive!


    Ich würde mich sehr über Eure Beteiligung freuen.


    Aleksander

    Mein Name ist Aleksander und einige Forenbesucher kennen mich sicher von meinen „quergedachten“ Blogbeiträgen die ich hier regelmäßig vorstelle und verlinke. Aber wie kam es eigentlich dazu dass ich über Autismus schreibe? Und was ist mittlerweile passiert? Das ist es was ich euch in diesem Who is Who Beitrag gerne erzählen möchte.


    Die Diagnose Autismus die ich vor wenigen Jahren bekommen habe war einerseits eine Erleichterung für mich, andererseits aber auch etwas das mich erst einmal belastet hat. Nachdem mir dann auch noch eine Rehamaßnahme abgelehnt worden ist eben weil ich Autist bin musste so einiges raus. Ich fing an, in einem Blog eines anderen Autisten, über meinen Frust zu schreiben. Da ich noch aus der Schulzeit das Gefühl hatte nicht wirklich schreiben zu können, war es eigentlich gar nicht geplant dass ich länger schreibe. Und dazu kommt: Wer wollte schon lesen was ich da verzapfte?


    Dachte ich zumindest. Aber es kam anders. Meine Beiträge wurden positiver aber blieben kritisch. Ich kam in Kontakt mit anderen Autisten und Angehörigen. Eine Leserin, Mutter eines autistischen Kindes, fragte immer wieder nach. Sie war interessiert und stellte mir Fragen über meinen Autismus die ich mir selbst noch nie gestellt hatte. So kam es, dass ich mich immer mehr mit meinem Autismus beschäftigte und versuchte zu erkennen: Was ist nun „Autismus“ an mir und was ist anders? Ich schrieb und schrieb, sie fragte nach und so kam ich immer zu neuen Aspekten über die ich nachdenken musste und schreiben wollte.


    Das Schöne dabei ist: Ich habe im Laufe der Zeit meinen eigenen Autismus verstanden und auch Frieden mit ihm geschlossen. Quasi nebenbei habe ich, wenn ich dem Feedback der Leser vertrauen darf, sehr anschaulich beschrieben was Autismus sein kann.


    Aus einem mit Frust geschriebenen Blogpost in einem anderen Blog sind mittlerweile ein eigener Blog, das Manuskript für ein Buch und eine berufliche Perspektive für mich geworden. Seit Kurzem arbeite ich als Social Consultant im Bereich Autismus und informiere über Autismus aus Sicht eines Autisten. Ich informiere, kläre auf und bilde Menschen die mit Autisten arbeiten weiter. Meine erste Chance dafür habe ich übrigens in der Schweiz bekommen. Ich bin gespannt welche Herausforderungen ich dieses Jahr noch bekommen werde und wie sich die Idee Autismus auch aus der „Innensicht“ eines Autisten zu vermitteln verbreitet. Es ist eine tolle Chance mehr über Autismus zu erfahren und der Bedarf besteht. Drückt mir die Daumen das ich so etwas bewegen kann.

    Hallo,


    heute gibt es gleich zwei neue Blogposts von mir die ich hier ankündigen möchte:
    Nicht alles ist schlecht, aber vieles kann man verbessern entstand als Reaktion auf die letzte Beckmann Sendung und die Reaktionen auf Twitter dazu.


    Das Schauspiel der Behinderungendreht sich um die Frage auf welchem Weg man Inklusion im Bereich Schauspiel umsetzen kann und wie ich zu dem Wunsch "Rollen mit Behinderung bitte mit Schauspielern mit dieser Behinderung besetzen" stehe.


    Viele Grüße


    Aleksander