Beiträge von Thomas Ulrich

    Neulich im Fast-Food-Restaurant: Jonas' Augen waren wieder einmal hungriger als sein Magen. Das Ergebnis: Pommes und einige Chicken Wings liegen bereit für ihre letzte Reise in den Abfall. Das muss besprochen sein, dachte meine Frau Nicole - mit dem Ergebnis, dass die Stimmung 'leicht' absackte.
    An und für sich nichts Aussergewöhnliches. Welcher junge Mann wird schon gerne von der Mutter kritisiert? Auch der nachfolgende österliche Grosseinkauf im Supermarkt erfolgte in etwas angespannter Atmosphäre. Bis Jonas an der Kasse von einer ehemalige Schulkollegin mit einem strahlenden Lächeln angesprochen wurde. Es entwickelt sich ein kurzes, ganz einfaches, von vollständiger Offenheit und unvoreingenommener Freundlichkeit geprägtes Gespräch zwischen den beiden. Danach sagte mir Jonas begeistert: "Das Gespräch mit Sarah hat mir wieder super gute Laune gemacht."


    Wie gelingen Menschen mit Autismus soziale Kontakte? Indem sie immer wieder geübt werden. Und indem durch viele - erfolgreiche - soziale Kontakte Sicherheit und Vertrauen in die eigenen sozialen Kompetenzen entwickelt werden.


    Ein anderes Beispiel: Jonas und ich sind seit Jahren Mitglieder in einem Gospel Chor namens mim chor&band. Jonas singt zwar selten mit, er ist aber fast immer dabei, auch bei den Auftritten. Können wir einmal nicht in die Probe, dann 'stinkt' ihm dies gewaltig (was ich in der Regel gehörig zu hören bekomme). Natürlich gefällt Jonas unsere Musik. Was Jonas aber besonders gefällt, sind die sozialen Kontakte. Die Chorproben und insbesondere das gemütliche Beisammensein danach bei Fanta, Bier - und in seinem Fall Eistee, sind ein hervorragendes Experimentierfeld für soziale Kontakte - die ausnahmslos erfolgreich sind: Komplimente machen, sich gegenseitig hochnehmen, Witze reissen und herumschäkern - alles kann in sicherer und von vorbehaltlosem Wohlwollen geprägtem Umfeld geübt und ausprobiert werden. Da geht zwar auch das Eine oder Andere schief - das kann man aber besprechen (natürlich nicht mit dem Vater - aber bei allen anderen funktioniert's ) und die sozialen Kontakte sind ausnahmslos erfolgreich. Das schafft Sicherheit - das schafft (Selbst)vertrauen. Für mehr schöne und auch für Menschen mit Autismus so wichtige Begegnungen mit anderen Menschen!


    PS: Ein Umfeld, in welchem sich unser Sohn im Hinblick auf soziale Kontakte entwickeln kann, schaffen wir durch Transparenz, Offenheit und immer wieder erklären, worum es geht und was wichtig ist. In der Regel kommt dabei vorbehaltloses Wohlwollen sowie Wille und Bereitschaft zur bedingungslosen Teilhabe zurück. Das tut auch uns Eltern sehr gut!

    Meinen Sohn Jonas macht glücklich, nach einem strengen Skitag mit mir zusammen im Whirlpool so richtig zu fläzen. Wir geniessen dann beide die Wärme und die Ruhe, lassen es Sprudeln - oder auch nicht - und reden nur über die Dinge, die Jonas so richtig Freude machen: Über das Viktorianische Zeitalter, einen kürzlich gesehenen Film, der ihn fasziniert hat oder der gestern so wunderbare Gefühlsausbruch der Bedienung im Restaurant, als ein Glas zu Boden fiel.


    Da wird alles von hinten und vorne, von oben bis unten, beleuchtet, ganz genau besprochen und analysiert - immer und immer wieder. Wir führen ein richtig gutes Gespräch, durchsetzt mit schalkhaften Einwänden und blumigen Ausschmückungen. Immer wieder, immer länger und immer zu neuen Themen, immer differenzierter und ausgefeilter.


    Und wenn Jonas glücklich ist, dann bin ich es auch!

    Seit einigen Monaten sind mein Sohn und ich Mitglieder eines Gospel-Chors, der sich jeden Donnerstagabend zur Probe trifft. Was als relativ unverbindlicher Versuch, einmal gemeinsam etwas zu unternehmen, gestartet hat, ist nun fester Bestandteil unserer Woche.

    Und so gehen wir beide wenn immer möglich am Donnerstagabend in unser Kirchengemeindehaus, bewaffnet mit zwei Bundesordnern voller Noten von Liedern, wovon wir die meisten ja noch gar nicht kennen. Wir setzen uns dazu, zu den Bässen, denn wir sind beide eher in der Brummli-Fraktion. Wir üben und wir scherzen, wir singen, manchmal die Töne richtig treffend, viel jedoch wohl leicht daneben hauend. Oft ist es so, dass mein Sohn weniger singt und viel mehr sich einfach treiben lässt. Treiben lässt in Wogen wunderschöner Klänge, einem Meer von Emotionen und Eindrücken, nicht nur die Musik und den Gesang betreffend. Eindrücke, die er wohl viele noch gar nicht richtig deuten kann.

    Das macht aber nichts. Es macht nichts, wenn er nicht immer mitsingt und mitsingen kann. Es macht auch nichts, wenn er von Zeit zu Zeit einmal seinen eigenen Emotional-Testballon steigen lässt. Wenn er einmal einer jungen Frau zuwinkt und sich über ihre Reaktion freut. Wenn er es einmal wagt zu versuchen, wie es wohl zurückkommt, wenn er die Studentin, die er schon etwas besser kennt, ‚Blondie’ nennt. Und wenn er ganz besonders Spass hat am Einsingen (wir anderen wollen da lieber gleich zur Sache kommen...).

    Er darf beim Begrüssen begrüssen oder nicht. Er wird nicht als schlecht erzogen abgestempelt, wenn er nach der Probe, die manchmal sehr anstrengend ist, einfach nach Hause will und sich auch nicht mehr von allen verabschieden mag. Wenn er auf ein freundliches Schulterklopfen erschrocken reagiert, weil er dies nicht einordnen kann, dann nimmt man das unaufgeregt zur Kenntnis. Und wenn er sich einmal bei der Wortwahl, sagen wir verhaut, dann scheint dies gar niemand zu hören.

    Mein Sohn ist ein vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied dieses Gospelchors. Er nimmt an den Proben teil und auch an den Konzerten. Er nimmt teil im Rahmen seiner Möglichkeiten – und er liebt es!


    Und so freuen wir uns beide jeden Donnerstag auf die Probe in der mim chor&band. Auf Gesang und Musik, auf Emotionen und menschliche Interaktionen, die es zu entdecken und zu erleben gibt. Auf das Einsingen und das richtige Singen, auf das Schwatzen dazwischen und die tollen Experimente, die uns noch bevorstehen.......


    Eine Probe bei der mim chor&band ist gelebte Inklusion und einfach pure Therapie!

    Wenn der Vater mit dem Sohne...


    Es hat etwas Zeit gebraucht, um meinen Weg zu meinem Sohn zu definieren, wobei der Weg nicht entscheidend ist, sondern der Sohn.

    Wenn wir zusammen ins Alpamare gehen, dann so, dass es ihm Spass macht. Oder wir gehen ins Kino die Filme anschauen, die ihn interessieren. Wir essen im Burger King, weil er dort so gerne hingeht. Und weil er die roten Gummibärchen am liebsten mag, esse ich eben all die anderen.


    Heute liebe ich es, im Alpamare wieder und wieder den Balla Balla und die Cobra runter zu sausen. Die paar blauen Flecken – was soll’s – wenn ich sehe, wie er mich unten erwartet, vor Freude zitternd und gespannt darauf, wie die Mimik in meinem Gesicht aussieht. Und ich habe entdeckt, dass alle Trickfilme heute so gemacht sind, dass auch die Erwachsenen ihren Spass daran haben. Alice im Wunderland übrigens wurde in der neusten Fassung gar nicht mehr als Märchen verfilmt, sondern als spannender Fantasy-Streifen (ich liebte schon immer Fantasy!). Die Fritten im Burger King sind nebenbei bei weitem die Besten und der Burger einfach genial. Und die wirklich guten Gummibärchen sind die Weissen... ehrlich!

    Lieber Marco


    Gestern am Heiligabend haben wir zusammen mit meinem Bruder Weihnachten gefeiert. Es gab Geschenke und danach haben wir Fleischfondue gegessen. Das mag ich noch mehr als Käsefondue. Dazu gab es einen grünen Salat und viele verschiedene Saucen.


    Magst Du Fleischfondue auch?


    Herzliche Grüsse und ich freue mich, wenn Du mir wieder schreibst!


    Thomas

    Lieber Marco


    Vielen Dank für Deine Nachricht, ich freue mich immer sehr, wenn Du mir schreibst!


    Wir gehen immer ins Wallis in die Skiferien. Das Dorf heisst Grächen und es ist dort super gemütlich. Es gefällt uns allen sehr gut in Grächen. Normalerweise scheint oft die Sonne und es ist auch nicht so kalt. Ausser es hat viel Nebel oder Wind, dann kann es ganz oben schon sehr kalt werden.


    Wir fahren alle sehr gerne Ski, essen gerne Fondue oder Raclette und schauen uns die schönen weissen Bergspitzen an.


    Wohin geht Ihr denn in die Skiferien?


    Liebe Grüsse und hoffentlich bis bald,


    Thomas

    Lieber Marco


    Auch ich mag den Winter sehr, am liebsten, wenn die Sonne scheint und es viel Schnee hat. Wir gehen jeweils im Februar immer in die Berge zum Ski fahren. Dann ist es schon nicht mehr so kalt und wir können oft die Sonne geniessen.


    Lieber Flieder


    Wir haben mit der ganzen Familie schon einige Schiffsreisen gemacht und ich kann Dich sehr gut verstehen! Auf dem Meer ist es wunderbar. Wir waren auch schon in Afrika, in Marokko, und dort ist es wirklich sehr heiss und sehr trocken. Für meinen Geschmack zu heiss und zu trocken. Ich persönlich mag es lieber, wenn es nicht so heiss ist.


    Ja, Marco, die Menschen sind wirklich sehr verschieden. Eigentlich ist jeder Mensch einzigartig. Jeder hat seine Vorlieben, der eine mag den Winter, der andere Afrika und es gibt Menschen, die mögen beides. Wenn zwei Menschen dieselben Vorlieben haben, dann hat man ein ausgezeichnetes Gesprächsthema. Wir beide zum Beispiel, können gut über das Ski fahren sprechen.


    Herzliche Grüsse,


    Thomas

    Lieber Marco


    Auch ich finde, dass jede Jahreszeit ihre Schönheiten hat. Im Herbst zum Beispiel gefallen mir die farbigen Blätter an den Bäumen sehr und auch, dass es nicht mehr so heiß ist.
    Es stimmt, auch die Arbeit kann viel Spass machen. Ich arbeite in einer Bank. Ich sehe jeden Tag viele Menschen und kann interessante Gespräche führen. Und ich habe meine Kolleginnen und Kollegen sehr gerne. Wir sind ein tolles Team und haben eine gute Stimmung.


    Ich wünsche Dir eine gute Zeit und freue mich, wieder von Dir zu hören.


    Herzliche Grüsse von Thomas

    Lieber Marco


    Eigentlich wollte ich Dir schon lange einmal schreiben! Nun bin ich seit zwei Wochen aus den Ferien zurück und habe schon wieder zu arbeiten angefangen. Meine Ferien waren super! Mit meiner Familie waren wir in Amerika. Wir haben folgendes gemacht:
    - mit dem Schiff fahren
    - schöne Städte anschauen
    - fein Essen
    - lange ausschlafen.
    Aber die Arbeit macht mir auch viel Spass und ich freue mich jetzt auf einen schönen Herbst. Mir gefallen die bunten Blätter an den Bäumen und auch dass es nicht mehr so heiß ist. Hast Du den Herbst gerne?
    Herzliche Grüsse von Thomas

    Lieber Marco und lieber Flieder


    Fleisch auf dem Grill mag ich auch sehr gerne. An liebsten Rindfleisch, ich mag aber auch Würste sehr gerne. Leider konnten wir noch gar nicht so viel grillieren, denn ich finde es gar nicht lustig, wenn ich im Regen vor dem Grill stehen muss. Aber das Wetter kann man ja nicht bestimmen, wir müssen also einfach warten, bis der Sommer kommt.


    Was macht Ihr an einem Sonntagnachmittag, wenn es regnet? Ich lese viel und schaue mir manchmal einen Film auf meinem iPad an. Ich gehe aber auch bei Regen nach draussen zum Joggen.


    Macht Ihr auch Sport?


    Herzliche Grüsse,


    Thomas

    Lieber Marco


    Ich habe auch schon Spiele gespielt, Angry Birds zum Beispiel. Kennst Du das? Ich bin aber nicht so geschickt bei den Spielen, deshalb lese ich lieber Bücher oder schaue Filme. Mein iPad lässt sich auch nicht so gut aufstellen. Meistens nehme ich es auf die Knie und schaue so drauf. Oder ich halte es in den Händen, wenn ich im Bett lese (ist aber auch nicht so bequem).


    Ich habe gesehen, dass Du gerne grillierst. Was magst Du sonst noch vom Grill ausser Würste?


    Herzliche Grüsse,


    Thomas


    Lieber Marco


    Seit zwei Jahren habe ich auch einen iPad. Ich finde den iPad super. Jeden Morgen lese ich die Zeitung darauf. Ich schaue mir auch gerne Filme an. Entweder auf Youtube oder ich leihe mir Filme aus (von iTunes). Am liebsten sehe ich Fantasy-Filme. Kennst Du "Der Hobbit" schon?


    Ich habe sogar damit begonnen, Bücher auf dem iPad zu lesen. Das ist super, sogar in der Nacht, denn der iPad hat ja eine Beleuchtung.


    Was hast Du am liebsten an Deinem iPad?


    Herzliche Grüsse,


    Thomas

    Autismus hat grossen Einfluss auf mein Leben.
    Er ist Bereicherung und Belastung gleichermassen.
    Wie vieles anderes auch.


    Unendliche Bereicherung, weil er die Persönlichkeit meines Sohnes prägt.
    Unser Leben lebendig, spannend, fröhlich und erfüllt macht.
    Und weil Autismus nicht das einzige ist, was meinen Sohn ausmacht.


    Oft sehr belastend, weil viele nicht begreifen wollen, dass die Menschen schon immer verschieden waren und immer verschieden sein werden.
    Und dass einige Menschen einfach noch etwas mehr verschieden sind.
    Und sein dürfen.


    Autismus bedeutet für mich als vielfach privilegierten Menschen immer wieder, die Bodenhaftung nicht zu verlieren.
    Mir meine eigenen Unzulänglichkeiten vor Augen zu führen - und mich in Verständnis, Demut und Geduld zu üben.
    Dadurch hilft mir mein Sohn, persönlich zu wachsen.


    Autismus ist mein Mahnmal, geschenkte Talente nicht nur für mich selber, sondern auch für andere einzusetzen.
    Mich immer wieder darauf zu besinnen, dass es Menschen gibt, die meine Hilfe, aber auch mein Verständnis brauchen.
    Autismus ist nicht selbst gewählt - kein Autismus auch nicht.


    Autismus ist ein wichtiger und geliebter Teil meiner Familie.
    Er ist aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken.
    Und das ist gut so.

    Lieber André



    Es tut mir sehr leid, dass es dir derzeit nicht gut geht! Bestimmt ist es schwierig, nicht zu wissen und zu verstehen, was mit einem los ist und warum
    man sich so schlecht fühlt. Zudem müssen die körperlichen Symptome für dich sehr unangenehm sein.


    Da ich keine medizinische Fachperson bin, kann ich dir leider keinen diesbezüglichen Rat geben. Auch wäre ein Forum wie das Unsrige nicht der richtige Ort hierzu. Du hast für mich klar verständlich beschrieben, wie es dir geht. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass du zu einem Arzt oder Psychiater gehst, und dich dort beraten und behandeln lässt. Wichtig erscheint mir auch, dass du zu dieser Person Vertrauen hast, und dass sie dich und deine besonderen Umstände (sprich Autismusdiagnose) versteht.


    Leider sind unsere Fachleute derzeit nicht erreichbar. Wir haben aber in die Wege geleitet, dass dir noch jemand in der zweiten Januarwoche antwortet. Bis
    dahin wünsche ich dir alles Gute und trotzdem einen guten Start ins Neue Jahr!


    Thomas Ulrich

    Liebe Blondi1979


    Schüler mit einer Autismusdiagnose wie auch ihre Eltern benötigen meist Unterstützung, und dies in vielerlei Hinsicht. Für die Schüler ist es sehr schwierig, in unserer Welt zurecht zu kommen. Und wir Eltern sind besonders gefordert, weil wir ihnen oft auch in kleinen und sehr alltäglichen Dingen helfen müssen. Zuerst erachte ich es als wichtig, dass Sie die Autismusdiagnose bestätigt erhalten (ich nehme an, sie wohnen in Deutschland - hier in der Schweiz schreibt die Abklärungsstelle einen Bericht). Persönlich habe ich gute Erfahrungen gemacht, über die Besonderheit unseres Sohnes aktiv zu informieren. In der Schule natürlich, aber auch bei anderen Eltern, bei den Behörden, den Nachbarn etc. Meist nimmt eine aktive Information dann dem oft nicht adäquaten Verhalten des Kindes die "Schärfe" und "Dramatik". Die Leute sehen, da ist eine Beeinträchtigung, eine Andersartigkeit, und haben oft gleich viel mehr Verständnis (leider nicht immer).


    Weiter ist es dann wichtig, dass sich die Lehrpersonen mit dem Autismus auseinandersetzen und sich entsprechendes Wissen aneignen. Hier sind wir teilweise auf Widerstand gestossen. Autismus ist noch zuwenig bekannt und generell ein Phänomen, welches nicht einfach zu verstehen ist. Und viele Fachleute denken, dass sie aufgrund ihrer Berufsausbildung und -erfahrung auch mit Schüler mit einer Autismusdiagnose zugange kommen. Manchmal ist dem sogar so, meist braucht es aber auch dort Aufklärung und Unterstützung. Sind die Lehrpersonen offen hierfür, können meiner Erfahrung nach relativ rasch gute Resultate erzielt werden.


    Wichtig ist, dass sich zwar ein Schüler mit Autismus oft nicht adäquat verhält, dass dies aber nicht als schlechte Erziehung gewertet werden darf! Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung und nicht das Resultat schlechter Erziehung. Sie können nichts dafür, dass Ihr Sohn autistisch ist und diese Entwicklungsstörung kann auch nicht durch Therapie oder medizinische Behandlung "geheilt" werden. Man kann aber Ihren Sohn unterstützen und coachen und ihm helfen, mit unserer Welt und mit seinem Alltag besser zurecht zu kommen. Er wird aber wohl immer darauf angewiesen sein, dass sich sein Umfeld und die Menschen um ihn herum auf ihn einstellen und ihm viel Toleranz, guten Willen und auch Zuneigung entgegen bringen.


    Weder Sie selber noch Ihr Sohn sind daran Schuld, dass er autistisch ist. Deshalb darf man Ihnen beiden auch nicht sein "falsches Verhalten" vorwerfen. Er kann wohl einfach in bestimmten Situationen nicht anders. Man kann aber unterstützen, informieren und sich auf die Besonderheit Ihres Sohnes einlassen und diese als Besonderheit auch akzeptieren. Und Ihr Sohn kann vieles Lernen und über die Zeit immer besser mit der für ihn fremden und wohl oft auch beängstigenden Welt zurecht kommen.


    Dabei wünsche ich Ihnen alles Gute!


    Thomas Ulrich

    Liebe Freunde von http://www.autismusforumschweiz.ch


    Wir möchten die Gelegenheit nutzen und Ihnen allen ganz herzlich für die wertvollen und äusserst aufschlussreichen Beiträge danken. Es sind viele interessante Gedanken geäussert und wichtige Aspekte guter Assistenz beleuchtet worden.


    Wie oft gibt es wohl auch in dieser Frage kein "Richtig" oder "Falsch". Schliesslich sind ja die einzelnen Bedürfnisse sehr unterschiedlich. Und auch die Assistenten oder Coaches haben ihre eigenen Erfahrungen und ihren individuellen Background. Was unsere Umfrage aber gezeigt hat, ist einerseits das Interesse, sich auszutauschen und von einander zu lernen. Andererseits glauben wir aber auch festzustellen, dass vieles aus der praktischen Arbeit gelernt worden ist und es kein eigentliches und abgestütztes "Konzept" gibt, wie gute Assistenz aussehen könnte.


    Wir möchten uns nun etwas Zeit nehmen, und die verschiedenen Texte genau studieren. Weiter wollen wir ein wenig Research betreiben, zwei unserer Mitglieder haben uns ja bereits verdankenswerterweise auf ein interessanten Buch aufmerksam gemacht.


    Mit diesem Text schliessen wir diese Umfrage ab und bedanken uns nochmals bei allen für's Mitmachen. Wir überlegen uns, wie wir das Thema weiter entwickeln wollen.


    Thomas Ulrich
    für das Autismus Forum Schweiz Team

    Lieber Nic, lieber glück


    Für mich sind Menschen mit Autismus in erster Linie einmal Menschen. Und wie alle Menschen haben Sie ein Anrecht darauf, als Individuen akzeptiert zu werden. Deshalb machte es m.E. auch keinen Sinn eine "Normliste der für Autisten geeigneten Berufe" zu erstellen. Ein solches Vorgehen hat in der Vergangenheit immer auch zu Diskriminierung geführt. Denken wir zum Beispiel an Zeiten, in welche man der festen Ueberzeugung war, dass Frauen nicht für den Lehererberuf geeignet seien oder dass Frauen nicht in der Lage seien, ein Flugzeug zu fliegen. Hinter solchen Ueberzeugungen stand meist nicht einmal schlechte Absicht - wohl eher Unwissenheit und eine unaufgeschlossene Denkhaltung.


    Ausgangspunkt für eine Berufsberatung für einen Menschen mit Autismus sollte deshalb der jeweilige Mensch sein, seine Fähigkeiten, Vorlieben, Wünsche und Pläne. Menschen mit Autismus sind für mich in erster Linie Menschen und sie definieren sich nicht nur dadurch, dass sie eine AS-Diagnose haben.


    Unser Sohn ist 13 Jahre alt und besucht die Regelschule. Er wird durch eine Assistentin begleitet, die ihn unterstützt. Wir versuchen wenn immer möglich, dass er dem regulären Unterricht folgen kann, seine Hausaufgaben macht und auch die Prüfungen absolviert. Dafür muss unser Sohn weit mehr leisten, als seine NT-Klassenkameraden. Denn der Autismus erschwert ihm oft das Lernen, die Konzentration und das Arbeiten am schulischen Stoff. Mit diesen zusätzliche Schwierigkeiten haben seine Klassenkameraden nicht zu kämpfen. Deshalb kann man das Resultat, beispielsweise die Note einer Prüfung, auch nicht mit dem Resultat seiner Mitschüler vergleichen. Was aber die Leistung betrifft, also der Lernaufwand und die zum Schreiben einer Prüfung notwendige Konzentration, meines Erachtens schon: Die ist für unseren Sohn nämlich als sehr viel grösser zu beurteilen - er muss ja nicht nur den Stoff lernen und die Prüfung schreiben. Er muss dabei noch all die Hürden überwinden, die sich ihm durch seine AS Diagnose in den Weg stellen.


    Deshalb finde ich, dass du, glück, auf keinen Fall faul bist! Ganz im Gegenteil - wahrscheinlich ist deine Leistung um einiges besser als die deiner Kolleginnen und Kollegen. Es ist doch irgendwie wie bei einem 100 Meter Lauf - dein Start ist einfach 50 Meter weiter hinten und du musst deshalb 150 Meter laufen, während die andern nur 100 Meter zu laufen haben!


    Beste Grüsse,


    Thomas

    Liebe Susanne


    Vielen Dank für deinen interessanten Beitrag, der mich sehr zum Nachdenken animiert hat. Du hast in keiner Weise am Thema vorbeigeschrieben und meine Gedanken absolut richtig verstanden. Und du hast natürlich recht, auch ich finde es manchmal sehr schwierig mit meinem Sohn, der auch die Diagnose atypischer Autismus hat. Auch wir erleben herausfordernde Situationen, die nicht einfach zu bewältigen sind. Ich habe mir im Laufe der Zeit eine Art Strategie erarbeitet, wie ich damit umgehen möchte. Das Schöne an dieser Strategie ist - mein Sohn fühlt sich wohl und ist glücklich, unsere Familie fühlt sich wohl und ist glücklich - und ich selber auch!


    Ich denke es ist ganz zentral zu akzeptieren, dass unsere Kinder sind, wie sie eben sind. Jeder Mensch ist - per Definition - einzigartig, und es ist also ganz normal, dass wir verschieden sind. Wenn verschieden sein also normal ist, wie kann es dann sein, dass wir Menschen aufgrund ihrer Andersartigkeit ausgrenzen oder in irgend einer Weise nicht an unserem Leben teilhaben lassen? Und wer entscheidet eigentlich, ab wann Verschiedenartigkeit nicht mehr normal ist?


    Ich weiss nicht, wie es dir geht, Susanne, aber ich kann diese Fragen nicht beantworten. Ich denke deshalb einfach, dass es ganz normal ist, dass mein Sohn nun eben ein Mensch mit Autismus ist. Ich kann das nicht ändern und will es heute auch nicht mehr. Ich finde aber, dass sich in unserer Umwelt und bei unseren Mitmenschen Dinge ändern sollten, damit mein Sohn unter uns selbständig und glücklich leben kann. Als Mensch mit Autismus.


    Wenn wir einfach akzeptieren, dass jeder sein darf, wie er ist, dann bleibt für mich eben nur noch, dass die Umwelt sich damit arrangiert. Dies wollte ich mit meinem Beitrag mitteilen. Es leben Menschen mit Autismus unter uns. Diese Tatsache können wir nicht ändern. Menschen mit Autismus - wie alle anderen Menschen auch - dürfen sein, wie sie sind und haben ein Recht, in unserer Welt zu leben, wie alle anderen auch. Daraus leite ich ab, dass es zuerst darauf ankommt, dass die Umwelt und die Mitmenschen dieses Recht vorbehaltlos anerkennen, entsprechend handeln und sich richtig verhalten. So, wie das für alle anderen Menschen auch ganz normal ist, so ist es auch ganz normal, dass Menschen mit Autismus so, wie sie nun eben einmal sind, unter uns leben dürfen.


    Ich verstehe deine Gedanken sehr gut, und oft fühle ich gleich wie du. Mir hilft in schwierigen Situationen aber die tiefe Ueberzeugung, dass mein Sohn (und ich auch) ein Recht darauf haben, einfach hier zu sein. Unsere Kinder haben nichts falsch gemacht, sie sind wie sie sind und sie dürfen so sein. Und auch du hast nichts falsch gemacht. Dass du jeden Tag mit deinem Sohn im Alltag bestehst und auch schwierige Situationen immer wieder meisterst ist bewunderswert. Dafür gebührt dir grösster Respekt und ebensolche Anerkennung.


    Ich wünsche dir alles Gute und grüsse dich herzlich


    Thomas


    PS: ...was natürlich nicht bedeutet, dass unser Sohn nicht, wie jedes andere Kind auch, erzogen wird und sich einfach alles erlauben darf ;)

    Als Vater eines Jungen mit Autismus wünsche ich mir

    • mehr Gleichberechtigung - und weniger Fürsorge
    • mehr Respekt - und weniger gute Ratschläge
    • mehr Offenheit - und weniger Empörung
    • mehr Integration - und ein Ende des Abschiebens
    • mehr Inklusion in allen Lebensbereichen - und damit immer weniger Notwendigkeit zur Integration

    Ich wünsche mir Fachleute mit dem Blick für die Stärken, Lehrpersonen, für die der Schüler wichtiger ist als die Schule und Behörden mit einem Sinn für die Menschen und das Menschliche. Und ich wünsche mir, dass unsere Mitmenschen endlich begreifen, dass wir nicht zu bemitleiden sind. Wir brauchen und wollen nicht mehr, als alle anderen Familien auch: Glücklich in unserer Welt leben und an ihr teilhaben. Es ist nicht an den Menschen mit Autismus, sich einzupassen. Es ist an uns allen dafür zu sorgen, dass diese Menschen dazu gehören.


    Thomas Ulrich, stolzer Vater eines Jungen mit Autismus (ich bedaure jeden, der nicht das Glück hat, meinen Sohn persönlich zu kennen!)

    Liebe Forumsteilnehmer


    Rituale sind für alle Kinder wichtig, vielleicht länger, als wir Eltern das gemeinhin glauben. Unsere Tochter, Archetyp eines Teenager-Mädchens/Frau, macht uns immer wieder in der für Menschen diesen Alters so typischen Art darauf aufmerksam, wenn wir es einmal wagen sollten, ein ihr wichtiges Ritual zu vergessen oder - schlicht unverzeihlich - bewusst auszulassen.


    Für Kinder, die von Autismus betroffen sind, können Rituale zu eigentlichen Lebenshilfen werden. Das erlebten wir dieses Jahr wieder hautnah in unseren Skiferien. Gelingt es zudem, Rituale mit besonderen Vorlieben oder Interessen zu verknüpfen, dann hat man schon fast eine 'Geheimwaffe' gefunden.


    Unser Sohn liebt es zum Beispiel, zu baden, und so hatte er auch noch vom letzten Jahr her in Erinnerung, dass unser Hotel über einen Whirlpool verfügt. Gleich am ersten Tag haben wir dann, natürlich auf sein 'Anraten' hin, die steifen Muskeln im warmen Wasser gelockert. Unser Sohn hat dann selbstbewusst verkündet, dass er nun jeden Tag, immer nach dem Skifahren, hier zu finden sei.....Dieses durch ihn selber definierte Ritual versah nun seinen Tag mit einem klaren Fixpunkt, einer Orientierungshilfe, an der er sich festhalten konnte. Als wir z.B. einmal einen Tagesausflug nach Zermatt unternahmen (aus seiner Sicht nichts Positives, weil von der gewohnten Routine abweichend), hat ihm die Aussicht auf das - mittlerweilen gewohnte Bad im Whirlpool - geholfen, mit dem ungewohnten Tagesablauf fertig zu werden.


    Unser Ferienalltag war gespickt mit Ritualen, die unserem Sohn in neuer Umgebung 'Zuhause-Gefühle' vermittelten. Manchmal muss man die Menschen um sich herum dazu ein klein wenig instruieren. So zum Beispiel, was seinen absoluten Lieblings-Dessert betrifft: Schlagrahm pur, am besten mit genügend Zucker aufgepeppt.....und wenn die Küche es dann noch schafft, die tägliche Portion in einer Glasschüssel im 'Kristalllook' zu servieren, dann ist die Welt ohnehin total in Ordnung! Das fand unser Sohn, und das fand der Rest der Familie auch. Denn unser Sohn war äusserst zufrieden und hatte lautstark verkündet, dass dies ein sehr vornehmes Hotel sei und dass wir nun immer hier Skiferien machen würden. Wir freuen uns - die Hoteldirektion auch!


    Was sind eure Erfahrungen mit Ritualen? Wie ergeht es euch in den Ferien, wo doch so vieles neu ist und damit zur besonderen Herausforderung für unsere Kinder wird?