Hallo zusammen
Leider wurde 15 Jahre an mir herumgedoktert, bis endlich die richtige Diagnose kam. Ich hatte bis dahin diverse Klinikaufenthalte und eine Unzahl Psychiater/Psychologen.
Ich (m, 45) weiss nun seit letztem Jahr, dass ich Asperger Autist bin. Mein jüngerer Sohn hat es auch und meine Tochter höchstwahrscheinlich auch (Abklärung ist in Arbeit).
Endlich weiss ich Bescheid, was mit mir los ist. Mit diesem Wissen wollte ich mein (unser) Leben umkrempeln, autismusfreundlich machen, lebenswert machen. Hallelujah! Das kommt gut (dachte ich), weil ich bin super im Analysieren und Planen und bin "eigentlich" mit einer guten Intelligenz gesegnet.
Nach vielen Monaten muss ich nun leider zugeben, dass ich das nicht schaffe. Es sind tausend Dinge, an denen ich arbeiten sollte - und ich habe Null Kraftreserven übrig und bin so durcheinander, dass ich NICHTS mehr auf die Reihe kriege. Ich versuche, irgendwie einen brauchbaren Ehemann und guten Vater darzustellen. Aber mein Tag besteht fast nur noch aus Angstzuständen und Überforderung. Ich bin komplett überreizt, bin dünnhäutig, unbelastbar, vertrage nichts mehr. So gut wie möglich versuche ich das natürlich zu verstecken, aber das ist zunehmends schwieriger und manchmal geht es gar nicht.
Mir macht auch übelst zu schaffen, wie meine Kinder unter ihrem Autismus leiden und das bricht mir fast das Herz. Es scheint, dass sie ebenso gefühlsgestört sind wie ich und wahrscheinlich täglich dieselben Seelenqualen durchmachen. Wenn ICH schon damit nicht klar komme, wie sollen sie es dann können? Kommt hinzu, dass ich manche ihrer Gefühle und Probleme als einziger im Umfeld verstehen kann - aber ich bin weder in der Lage, meinen Kindern adäquat beizustehen noch dem Umfeld bewusst zu machen, was meine Kinder quält. Das "Familienoberhaupt" bin ich auch schon länger nicht mehr wirklich, im Gegenteil ich bin wohl meist eher eine Belastung für meine Frau und eben eine echt miserable Unterstützung mit den Kindern. Ich bin nicht mal mehr sicher, ob man das "Beziehung" nennen kann, was ich mit meiner Frau führe. Obwohl ich sie abgöttisch liebe, verliere ich mehr und mehr den Zugang zu ihr. Ganz offensichtlich kann ich ihr auch vieles nicht geben, das sie braucht. Es fällt mir schwer, zu deuten, wie sehr sie darunter leidet (viellicht ist sie froh, wenn sie Abstand von mir hat?). Aber mir tut es unfassbar weh, sie fehlt mir sehr.
Bis vor meinem zweiten Burnout vor drei Jahren war ich noch ein geschätzter Abteilungsleiter, ja gar Mitglied der Geschäftsleitung. Heute bin ich arbeitsunfähig und schaffe es manchmal tage- oder wochenlang nicht mal, eine einfache Nachricht (z.B. SMS, e-mail) zu beantworten. Alles, was ich mache, dauert ewig, weil ich kaum klar denken kann und von jeder Kleinigkeit sofort abgelenkt bin. Reizüberflutung ist viel schlimmer geworden. Wenn ich meine Handlungsblockaden zu bekämpfen versuche, wird mir oft übel und meine Nutzlosigkeit und Verzweiflung führt zu einer Art dauernder hintergründiger Todessehnsucht. Es gibt so gut wie keine "guten" Gefühle, die dagegen halten. In absehbarer Zeit werde ich mein Einkommen verlieren und ich habe keine Ahnung, wie ich dann die Familie durchbringen soll. Und nein, meine Frau kann nicht "für mich" arbeiten gehen, sie ist mit den zwei behinderten Kindern (und mir) und eigenen gesundheitlichen Problemen längst am Limit ihrer Kräfte.
Kurz formuliert: ich sehe keine Zukunftsperspektiven weder für mich noch für meine Kinder und habe kaum noch Kraft für den ständigen Kampf gegen alle möglichen Hindernisse und Blockaden. Ich fühle fast nur noch Angst (bis Panik), Verzweiflung, Hilflosigkeit, Gelähmtheit, diesbezüglich ist fast jeder Tag gleich. Selbstmordgedanken kann ich gut abblocken, weil dann würde ich meinen Kindern signalisieren, dass das Leben mit Autismus generell nicht lebenswert ist und dass ihnen letztendlich auch nichts anderes bliebe. Deshalb ist das ein absolutes No-Go. Ziel ist: erstmal selber klar kommen mit dem Leben, und für meine Kinder ein Vorbild sein, dass man auch mit Autismus glücklich sein kann.
Aber ich bin absolut rat- und hilflos und schaffe das ohne gezielte wahrhafte Hilfe nicht. Ich hoffe, dass das jemand liest, der Ähnliches überstanden hat oder eine Fachperson, die weiterhelfen könnte. Jedenfalls kann ich mir keine Fehlschüsse mehr leisten, d.h. ich kann mir z.B. nicht mehr vorstellen, dass mir jemand helfen kann, der keine Ahnung von Autismus hat.
Ich glaube, mein grösstes Problem ist, dass ich mit meiner Wahrnehmung und meinen Gefühlen nicht klar komme. Ich kann sie immer schlechter verdrängen und verliere mich komplett in ihnen und fühle mich ihnen hilflos ausgeliefert. Ich kann und weiss nichts mehr und wünsche mir, nie existiert zu haben, aber das bringt mich natürlich nicht weiter.
Hoffentlich liest das überhaupt einer trotz dem langen Text.
Vielen Dank für wohlwollende Rückmeldungen,
Grüsse, der 1974er