@Regenbogen:
Bevor ich meine Diagnose erhielt, erging es mir so ähnlich. Der Gedanke, mich einem „Seelenklempner“ anzuvertrauen, behagte mir zwar nicht, doch willigte ich schließlich ein. Mich plagten Depressionen von innen und Arbeitslosigkeit von außen. Was sollte mich da noch schrecken?
Der Psychiater, ein Mann in nonkonformistischer Kleidung und wirrem Haar, lauschte in drei Sitzungen meiner Lebensgeschichte. Als er genug gelauscht hatte, zog er ein sichtlich angejahrtes Fachbuch mit zerfledderten Seiten zu Rate. Er vertiefte sich eine Zeit lang in das Werk, dann gestand er mit einem resignierenden Schulterzucken ein, dass ihm auf diesem Gebiet die gebotene Erfahrung fehle. Das mit dem Autismus könne sein – oder auch nicht, orakelte er. Diese großartige Eingebung kostete mich den in der Gebührenordnung festgelegten Gebührensatz für drei Sitzungen.
Auf Anraten meiner Neurologin (!), die sich wie ihr Kollege von der psychiatrischen Profession mit dem Thema Autismus schwertat, begab ich mich in ambulante psychotherapeutische Behandlung. Diesmal jedoch bei einem Fachmann, der nicht erst veraltete Lehrbücher bemühen musste. Stattdessen ließ er sich meine alten Tagebücher und anderes Material aus der Schul- und Jugendzeit vorlegen. Der psychologische Psychotherapeut war angesichts des reichen, authentischen Materials regelrecht entzückt. Nach eingehender Analyse formulierte er den „dringenden Verdacht für eine Störung aus dem autistischen Spektrum“.
Jetzt mochte auch meine behandelnde Neurologin nicht mehr ausschließen, dass sich hinter meinen gesundheitlichen Problemen mehr verbirgt als nur eine profane „Kränkung über den Arbeitsplatzverlust“. In der Tat ließ das Ergebnis einer von ihr angeregten, psychologischen Hirnleistungsdiagnostik einen positiven Autismusbefund erwarten. Die Einschläge kamen immer näher! Am 19.10.2010 wurde aus dem lange gehegten Verdacht endlich Gewissheit: die Autismusambulanz der Charité verlieh mir das Prädikat „Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter gemäß DSM-IV und ICD-10 (F84.5)“. Einige Monate später kam die Autismusambulanz der Uniklinik Dresden zum gleichen Ergebnis.
Es hatte 52 Jahre gedauert, bis man dahintergekommen war...