Wie umgehen mit Wutausbrüchen?

  • Hallo ins Forum


    Vielleicht habt ihr einen Tipp für mich....


    Manchmal, wenn etwas nicht nach Lukas' Willen geht, wird er sehr wütend, was sich äussert mit Schimpfen (Fluchwörter, Betitelungen), Türen äusserst heftig knallen, Gegenstände schmeissen...


    Wenn ich versuche, ihn daran zu hindern, dauert das Wütendsein einfach länger, weil er dann einfach darauf beharren will, z.B. die Tür zu knallen. Und er "muss" das letzte Wort haben. Er geht dann auch überhaupt nicht auf meinen Vorschlag ein, für eine Weile für sich alleine sein (um sich von der Situation zu entfernen, die schlimm für ihn war). Will heissen, wenn ich ihm sage, er solle für sich bleiben und sich beruhigen und dann die Tür zumache, geht das gar nicht (nachdem ich ihn zuvor von der Situation weggeholt habe, also ihn weggezogen-getragen habe, weil sonst sein kleiner Bruder "drunterkommt"). Er macht die Tür sofort wieder auf und sagt, er sei nicht im Gefängnis ?( . Wenn der "Sturm" vorüber ist, ist er wieder fast normal. Manchmal lässt er sich hinterher sogar von mir trösten für den Frust den er erlebte.


    Ich kann ja eigentlich nicht dulden, die Art, wie die Ausbrüche verlaufen und doch bin ich dem fast wehrlos ausgesetzt :!: .
    Also, was soll ich tun? Ich denke schon daran, wie es wird, wenn er älter und kräftiger.... und mache mir Sorgen.


    Vielen Dank im Voraus für die Hilfe.


    Gruss Susanne

  • Liebe Susanne


    Ich kenne das zu gut und leider weiss ich auch keinen Rat. Meine Tochter hat auch atypischen Autismus un reagiert genao so wie Dei Sohn. Sie reagiert vor Allem auch auf äussere Stimmungen das heisst, ich muss mich jeden Tag beherrschen was nicht immer sehr einfach ist.
    Ich wäre auch froh um einige Ratschläge.

  • Liebe Susanne
    Das kenne ich zur Genüge. Es ist auch bei unserer Tochter (AS 111/2J) so, dass jede Intervention während des Wutanfall sinnlos ist. Ich sorge dann nur dafür, dass sie niemanden und nichts zu stark traktiert. Wenns vorbei ist, pflücke ich sie mir aber, und analysiere mit ihr das Geschehene. Meistens weist sie jede Schuld von sich und findet viele andere Schuldige, oft bin ich es als diejenige die ihr am nächsten steht. Ich zeige ihr dann wie sich das für mich anfühlt und was das mit mir macht. Wenn ich genug Geduld habe, kommt irgendwann der Punkt, wo sie zu weinen beginnt, und dann ist sie zugänglich für Lösungen, um in Zukunft anders mit Wut umzugehen. Ich frage sie dann was für ein Zeichen sie braucht um zu stoppen, oder ins Zimmer zu verschwinden.
    Das klingt einfach, war es aber nicht. Es braucht auch heute noch Nerven wie Drahtseile nur viel seltener. Inzwischen weiss ich auch, mit was sie sich beruhigen kann: Malen nach Zahlen und dazu ihre Hörbücher hören. Ich versuche nicht auszuflippen und nicht zu schreien und gleichzeitig wiederhole ich immer wieder mit demselben Satz, was ich von ihr will (so wie eine kaputte Schallplatte). Oft sage ich auch, dass ich jetzt den Raum verlasse und erst wieder komme, wenn sie ruhig und anständig ist. Das mag sie nicht, weil sie ja eigentlich Trost braucht, wenn sie so wütig ist. Also hilft es schneller "normal" zu werden. Ich mache nie Vorwürfe und Anschuldigungen, versuche sachlich zu bleiben und tröste dann auch, wenn sie es zulässt.
    Was sehr viel gebracht hatte, war das gut ausgewählte homöopathische Mittel. Dies erfordert aber einen guten Homoöpathen.
    Ich hoffe, Dir hilft es etwas weiter. Sicher reagieren Buben anders als Mädchen. Einfach wird es wohl nie. Viel Kraft.
    Mirjam

  • Liebe am Thema "Wutausbrüche" Interessierte,
    da dieses Thema, auch in meiner Praxis, von grosser Bedeutung ist, möchte ich versuchen, via das Forum einen Input zu geben, wie man das Thema angehen kann. Ich habe aus einem amerikanischen Fachbuch zum Asperger-Syndrom eine Vorlage übernommen und übersetzt und weiterentwickelt. Sie heisst "Wut-Thermometer". Ich habe im Dateianhang je ein leeres und ein beispielhaft ausgefülltes Exemplar angefügt.
    Die Idee ist, dass das Kinder selber etwas über seine Emotionen und den Umgang damit lernt. Dazu ist es nützlich, dass man die Intensität einer Emotion in einen Zahlenwert umsetzt.
    Das Wut-Thermometer wird zusammen schrittweise ausgefüllt. In der Kolonne ganz rechts steht, wie der Körper auf ein bestimmtes Wut-Niveau reagiert. In die mittleren Kolonne kommen die Auslöser, d.h. das Kind lernt, welche Anlässe ein bestimmtes Wut-Niveau auslösen. Und in der Kolonne links wird ausgefüllt, was das Kind tun kann, um von einem bestimmten Wut-Niveau wieder herunterzukommen.
    Das Ziel ist, dass das Kind lernt, das Wut-Thermometer (z.B. schön laminiert) als Werkzeug im Alltag zu benutzen und sich selber zu beruhigen. Die meisten Eltern machen nämlich die Erfahrung, dass, wenn das Kind erst einmal wütend ist, keine, aber wirklich gar keine, Intervention irgend etwas hilft. Ziel ist also, dass das Kind selber sich zurückzieht, und das ist eher möglich, wenn das Vorgehen gut abgesprochen und in visueller Form festgehalten ist. Natürlich kann es nötig und hilfreich sein, wenn dem Kind für die erfolgreiche Anwendung des Wut-Thermometers eine Belohnung in Aussicht gestellt wird (je nach erfolgreich bewältigtem Wut-Niveau eine umso grössere Belohnung, z.B. mehrere Punkte/Smileys).
    Falls die Arbeit mit dem Wut-Thermometer ohne fremde Hilfe Schwierigkeiten bereitet, kann z.B. vor Ort eine Fachperson beigezogen werden, die sich mit Verhaltenstherapie auskennt.
    Ich wünsche allen, die es versuchen wollen, viel Erfolg.
    Th.Girsberger

  • Wie in der Überschrift gesagt, bin ich selbst Asperger-Autist und kenne daher diese Problematik nur zu gut.


    Das Wut-Thermometer kann ich mir als Hilfestellung seitens der Eltern für ihre betroffenen Kinder sehr gut vorstellen. Ich dagegen hatte keine Hilfestellung, denn damals wusste noch niemand etwas über das Asperger-Syndrom. Nur sollte dieses Thermometer eingesetzt werden, bevor die Situation eskaliert, während der Eskalation ist diese Maßnahme meines Erachtens eher kontraproduktiv.


    Susanne LL - zu deiner Fragestellung:

    Manchmal, wenn etwas nicht nach Lukas' Willen geht, wird er sehr wütend, was sich äussert mit Schimpfen (Fluchwörter, Betitelungen), Türen äusserst heftig knallen, Gegenstände schmeissen...

    Du unterstellst, dass etwas nicht nach seinem Willen geht - ich habe dagegen feststellen müssen, dass sehr oft einfach nur ein Missverständnis die Ursache ist, weil ich mit meiner Wortwörtlichkeit vieles anders (genauer?) interpretiere. diese Missverständnisse mögen für euch banal sein, unbedeutend, aber für einen asperger-Autisten mag dies sich ganz anders darstellen. Dazu kommt der Frustrationslevel, der vielleicht schon vor der eigentlichen Auseinandersetzung (unerkannt?) relativ hoch war und dann reicht eben eine (vergleichsweise) Kleinigkeit, um das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen zu bringen.



    Wenn ich versuche, ihn daran zu hindern, dauert das Wütendsein einfach länger, weil er dann einfach darauf beharren will, z.B. die Tür zu knallen. Und er "muss" das letzte Wort haben.

    Bitte bedenke, dass er unter Umständen gar nicht mehr dazu in der Lage ist, abzuschätzen, was wann das letzte Wort ist. Und wie du auch ausführst, kannst du doch später mit ihm darüber reden = das ist dann doch das letzte Wort!



    . . . . . Er macht die Tür sofort wieder auf und sagt, er sei nicht im Gefängnis ?

    Kann ich auch gut verstehen, auch ich würde durch solch eine Aktion meinen Lebensraum eingeengt empfinden.
    Was mir hilft in solchen Situationen ist ein ausgeprägter Spaziergang - ALLEIN! wohlgemerkt - da will ich mir nicht helfen lassen, denn es KANN mir dann auch keiner helfen, weil kein Mensch in meinem Kopf ist und daher nicht wissen kann, was in mir vorgeht! Die Folge: Alle Versuche und Angebote, mir in diesem Moment irgendeine Hilfestellung anzubieten empfinde ich als einen Angriff von Menschen (ja, dazu zählt auch die Mutter), die keine Ahnung von meinem Erleben in mir selbst haben.

  • Hallo


    Vielen Dank für die Antworten.


    Also zu dem Wutbarometer. Das wäre eine Variante, die ich mit Lukas sicher versuchen könnte. Vor kurzem hatte ich etwas ausprobiert, es kam mir spontan in den Sinn. Ich hab ihm gesagt, dass er von einer Skala von 1-10, sich gerade auf Stufe -ich weiss nicht mehr genau- 8 befinde. Und hab ihm erklärt, was er dabei macht und wie gut oder schlecht er zugänglich ist. So bin ich weiter auf die Idee gekommen, ihn in 10 Stufen zu beschreiben, wie er sich verhält in jeder Stufe. Ich hab das ein bisschen mit ihm zusammen gemacht, bzw. ihm zu ein paar Stufen gesagt, wie er sich verhält, z.B. Stufe 0 (null) = schlafen, da ist er selber drauf gekommen *grins*, Stufe 5 ist so in etwa "Lukas hört erst nach mehrmaliger Aufforderung, er ist grummelig. (Leider bin ich nicht bei mir daheim, sonst könnte ich es genauer nachschauen.).
    In der Situation, in der ich ihm das erstmalig sagte, half es ihm sogar, um ca. 2 Stufen runterzukommen, weil er sich selber bewusst wurde, wie er sich verhält. Einen Tag später aber, hat er den Zettel, auf dem ich das alles notierte, entzweigerissen. Ich hab ihn aber noch.... Also, einen neuen Versuch wagen.


    Joker:
    Ich denke nicht, dass Lukas' Wutausbrüche auf Missverständnissen basieren. Oder man kann es evtl. auch als Missverständnis bezeichnen, wenn er von einer anderen Situation ausgeht, als dass sie dann tatsächlich stattfindet. Also, wenn er für sich einen Plan zurechtgelegt hat, was er gerne unternehmen, ausprobieren, experimentieren möchte und ich ihm leider ein NEIN geben muss. Es hängt natürlich auch sehr davon ab, -ich sag jetzt mal so- auf welchem "Grundlevel" er sich gerade befindet, bzw. wie seine Tagesform ist, wie er auf das nein reagiert.
    Ich verstehe Lukas sehr gut, also an seiner Interpretation von Ausdrücken oder Sachlagen liegt es eigentlich nicht. Ich denke ja sehr ähnlich wie er. Also Wortwörtlichkeiten kann ich sofort nachvollziehen.


    Zu dem Türe zumachen... Es dauert eine Weile, bis Lukas soweit ist, dass ich ihn einfach alleine lassen kann. Bis es soweit ist, muss ich einfach hinter ihm her sein und aufpassen, dass er nichts kaputt macht usw. Ich weiss zwar genau, dass er sich am ehesten beruhigt, wenn man ihn in Ruhe lässt (geht mir ja auch so). Aber ich kann ihn ja nicht einfach Dinge und Mobiliar kaputtmachen lassen, bis er sich etwas beruhigt hat und ich ihn in Ruhe lassen kann. Ich versuche halt dann, ihm diese Ruhe zu geben, indem ich für ihn die Türe zumache, bevor er sie zuknallt. ähm ja...


    Ach ja, alles nicht so einfach!!


    So, ich muss los, er kommt gleich heim.


    Liebe Grüsse von Susanne
    (Leider nicht so oft hier)

  • Das mit dem Wut-Thermometer ist sicher eine gute Methode, aber bei unserem 8-jährigen Sohn ist das überhaupt nicht möglich, weil er emotional und was seine Vorstellungswelt betrifft, noch auf einer sehr (klein-)kindlichen Stufe ist. Die Arbeit mit dem Thermometer setzt viel Fähigkeit zur Selbstreflexion und zum rationalen Denken voraus. Auch mit ihm nachher darüber reden "Was hat dich so wütend gemacht" etc. ist mit unserem Sohn nicht möglich, weil er von so einer Art Gespräch überfordert ist. Er reagiert sehr impulsiv, so dass man im Moment gar nicht rational argumentieren kann. Typische Situation: Ein Lego oder Playmobil-Teil fällt ihm auseinander. Sofort schreit er laut und haut das Spielzeug. Wenn wir ihm helfen wollen, haut er auf uns ein, schlägt Türen, wirft Sachen nach uns etc. Auf diese Art ist auch schon einiges kaputt gegangen, z.B. das Nintendo seines Bruders.
    Seltsamerweise verhält er sich in der Schule viel ruhiger, seine Aggressionen lebt er v.a. innerhalb der Familie aus. Wir sind ziemlich ratlos, wie wir damit umgehen sollen.

  • Ich verstehe gut, dass für viele Kinder das Wutthermometer zu schwierig sein kann. Vor kurzem bin ich nun auf ein Buch gestossen, dass ich sehr empfehlen möchte. Es ist zwar nur auf Englisch erhältlich, da es sich jedoch um ein Bilderbuch für Kinder handelt, ist es sehr leicht verständlich. Es heisst "The Red Beast - Controlling Anger in Children with Asperger's Syndrome" von K.I. Al-Ghani.
    Wie aus dem Untertitel hervorgeht, ist das Buch speziell für Kinder aus dem Autismus-Spektrum geschrieben worden. Es enthält eine sehr anschauliche Anleitung für den Umgang mit Wut, mit praktischen Tipps. Mit der Metapher vom "Red Beast" (wildes Tier, das in jedem von uns schlummert) wird das Kind zudem möglichst von Schuldgefühlen entlastet. Ich denke, dass das Buch, das von der kognitiven Verhaltenstherapie ausgeht, sehr gut von Eltern in Eigenregie genutzt werden kann. Dennoch kann natürlich die Begleitung durch eine Fachperson zusätzlich hilfreich sein.