runde Tische und Integration

  • Meine Tochter (atypischer Autismus) wurde im Sommer eingeschult. Nun fand das erste Standortgespräch statt. Lehrerin, Heilpädagogin und Logopädin berichteten über das Ergehen meiner Tochter. Das war eine Flut von Informationen und ich fand es sehr schwierig, wie damit umzugehen ist. Man kann ja mit verschiedenen Ohren hören und dann entsprechend reagieren. Was ist jetzt Feststellung, Analyse, evtl. Vorwurf, Aufforderung, usw. Wie ergeht es Euch mit all den Gesprächen?


    Eine andere Frage betrifft Integration als solches. Bedeutet dies, dass unsere Kinder in eine "normale" Klasse kommen und man mit ihnen darauf hinarbeitet, dass sie sich den anderen anpassen können, oder was ist genau damit gemeint?


    Danke für alle Rückmeldungen :)

  • Hallo Fanny


    Wir sind ungefähr am selben Punkt, wie ihr. Unsere Tochter geht allerdings schon in die sechste Klasse. Seit drei Wochen hat sie während 5 Stunden pro Woche eine Begleitung. Für sie ist das im Moment noch sehr schwierig. Sie ist fühlt sich bevormundet und an den Pranger gestellt. Ich hoffe, es stellen sich für sie auch bald einmal Vorteile heraus. Wie fühlt sich deine Tochter in der Schule?
    Die Kommunikation funktioniert bei uns eigentlich gut. Frag doch einfach nochmal nach. Vielleicht kennst Du und Deine Tochter eine der beteiligten Personen schon länger oder hast Du zu einer der Personen vielleicht einen besonders guten Draht?


    Uns hat man erklärt, dass autistische Kinder mit normaler bis hoher Intelligenz nur in Regelklassen unterrichtet werden können. Es gebe keine speziellen Schulen und es wäre auch gar nicht sinnvoll, da sie in Regelklassen sehr viel von den anderen Schülern lernen. So habe ich das mit der Integration verstanden.
    Das sind meine persönlichen ersten Eindrücke. Wie gesagt, stehen wir erst am Anfang.


    Liebe Gruess

  • Hallo fanny
    Heilpädagogen,Logopäden usw. werden dich immer auf dem laufenden halten über Fortschritte deines Kindes, woran sie im Moment mit ihm arbeiten und was sie als nächstes mit ihm vorhaben.Nie und nimmer werden sie dir Vorwürfe machen, du kannst aber Fragen was du Beitragen kannst und evtl Zuhause mir ihm arbeiten.
    Integration, frag sie was sie genau damit meinen.
    Du bist die Mutter des Kindes und du sagst letztendlich wie es mit deinem Kind weitergehen soll ,alles andere ist als Hilfe und Unterstützung ge-
    dacht.

  • hallo fanny


    unser sohn ist bald 7 und geht in der ersten klasse in einer einschulungsklasse. eigentlich wollte die autismusberatung, dass er integriert in der regelklasse kommt, aber die schule hier im dorf war nicht wirklich begeistert... somit haben wir die EK gewählt, auch um ihn zeit zu lassen.
    leider stimmt es, dass autisten wahrscheinlich am besten in der regelklasse geht, er ist nämlich ein cleverer junge und wenn es ihm langweilig wird stört er. er macht geräusche und kann nicht sehr lang still sitzen. klar stört das die anderen 11, die EK aus verschiedenen gründen besuchen.


    unser sohn ist der einzige mit diagnose, somit bekommt er unterstützung, mittlerweile 16 std pro woche!!! die assistentin kann aber die anderen auch helfen, so alle profitieren von ihm.
    wir haben schon eine menge gespräche hinter uns, meistens mit lehrerin und heilpädagogin, ab und zu auch mit schulleiterin. es ist nicht einfach, er ist gut in der schule, kann die leseübungen gut machen und rechnet super, ABER stört die unterricht und muss oft aus dem zimmer raus. mittwochs muss ich ihn 2 std vor schluss holen, so dass die anderen ihre ruhe haben...


    im aargau ist integration nicht obligatorisch und wir haben immer angst, dass sie nicht mehr wollen und ihn irgendwo "abschieben". wir kämpfen für unseren sohn, er geht nämlich gern in der schule und wir möchten, dass es so bleiben.


    frag immer nach wenn du was wissen willst, kommunikation mit den lehrpersonen ist extrem wichtig!!! wir bekommen immer alles schriftlich, auch von den anderen sitzungen (wo wir nicht willkommen sind...). Y hat auch extra lernziele mit den assistentin (soziale kontakte, umgang mit den kindern etc).


    ich wünsche dir viel kraft!


    liebe grüsse
    mie

    "Those who mind don't matter and those who matter don't mind"

  • Danke für Eure Rückmeldungen. Kommunikation ist sicher eine wichtige Sache, aber halt auch eine Kunst. Die einen könnens gut, andern fällt es schwerer. Ich bin eher die letzte Kategorie. Beim runden Tisch sass ich sechs Leuten gegenüber, das allein war schon stress genug. Ich wünschte mir da schon eine Fachperson, die mitkommt, mithört, mitdenkt und später das ganze mit mir durchgeht. Von der Schule her kam schon stark das Verständnis rüber: wir sind jetzt für das Kind verantwortlich. Doch wo sind die Grenzen von diesem Verantwortungsbereich?


    Meine Tochter geht gerne in die Schule, soweit ich das beurteilen kann. Sie erzählt zwar nicht, ob es ihr gefällt. In einem Punkt ist sie sehr besonders: Sie hält sich lieber in einer grossen Gruppe auf, für sie bietet das mehr Sicherheit als eine kleine Gruppe, denn sie hat mehr Möglichkeiten sich zu verstecken. Für sie gibt es nichts Schlimmeres als exponiert zu sein.


    Die Bedeutung von Integration ist für mich immer noch nicht ganz klar. Hat hier jemand eine Definition dazu?


    Liebe Grüsse von Fanny

  • Hallo Funny


    Auch wir haben immer mal wieder "Runde Tische", das können gut und gerne 8 Personen sein, die sich da gegenüber sitzen.
    Falls ihr in Kontakt steht mit einer Autismusberatungsstelle, dann überlegt euch doch, jemanden "vom Fach" mit einzuladen. Für mich ist es immer sehr hilfreich, denn - wenn immer möglich - ist bei uns jemand aus der Beratungsstelle dabei und bietet mir grosse Unterstützung. Was für mich oft sehr schwierig ist zu umschreiben, kann diese "gute Seele" besser erläutern und umschreiben. Somit ist sie für mich am "Runden Tisch" eine grosse Unterstützung und Hilfe.


    Mach dir nicht Gedanken, was genau "Integration" bedeutet, sehe es einfach als Gegenteil von "Separation", also als ein Mit-dabei-sein, den gleichen Weg gehen wie alle anderen Kinder auch. Selbst wenn es bedeutet, auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein, damit es gelingt.


    Liebe Grüsse
    kilian02

  • Hallo Funny


    Auch wir haben bald wieder einen runden Tisch vor uns. Bei diesen runden Tischen habe ich immer ein etwas mulmiges Gefühl. Es geht um viel, es geht um das Recht unseres Kindes weiter am Unterricht der Regelschule teilnehmen zu können. Es geht darum, dass die Unterstützungslektionen weiterhin finanziert und gesprochen werden.


    Die Integration muss auch für die Mitschüler tragbar sein. Die Mitschüler müssen vorallem im Sozialen stark sein, so dass der gemeinsame Unterricht mit Integrationskindern überhaupt erst möglich wird. Ein weiterer Punkt sind die Lehrkräfte, die Lehrer müssen mit der Integration einverstanden sein. Wenn ein Lehrer sich die integrative Schulung nicht zutraut, muss für das zu integrierende Kind eine neue, geeignete Klasse gesucht werden. Zum Glück haben sich bis heute viele Lehrkräfte gefunden, die sich dieser Herausforderung gestellt haben. Im ersten Moment ist für uns Eltern eine Absage des Lehrers, sehr schlimm, wenn jedoch der Lehrkörper nicht mit Überzeugung hinter unserem Kind steht, wird die Integration sehr schwierig oder sogar unmöglich.


    Beim runden Tisch wird überprüft, wie sich das integrierte Kind in der Klasse fühlt. Ob es ihm gut geht, oder eher nicht. Ob es in diesem Kontext Fortschritte machen kann. Wie entwickelt es sich im Sozialbereich, kann es von seinen MItschülern profitieren, oder reagiert es auf diese nur mit Ängsten. Es wird auch auf die Mitschüler geschaut, können diese normal weiterlernen oder kommt es durch die Integration zu so grossen Störungen, dass deren Schullaufbahn plötzlich gefährdet scheint. Im schlimmsten Fall kann es zum Abbruch des Integrationprojektes kommen. Im besten Fall wird überprüft, mit welchen Ressourcen dem KlassenlehrerIn unter die Arme gegriffen werden kann, mit welchen zusätzlichen Unterstützungsmassnahmen das Projekt "Integrative Schule" gerettet werden kann.


    Das Wort Integration bedeutet für viele von uns etwas anderes. Wir sind Eltern zweier Autisten. Der Ältere ist schwächer betroffen, er ist und war immer integriert. Wenn er es will, kann er sich in der Öffentlichkeit unauffällig bewegen, es fällt kaum auf, dass er Autist ist. Es stellte sich bei ihm glücklicherweise nicht die Frage nach einer Separation in einer heilpädagogischer Schule. Der Jüngere war zuerst separiert in einer Sonderschule. Jahre später mit der Diagnose Autismus wurde er integriert in die Regelschule. Bei ihm sieht die Integration anders aus. Er braucht Unterstützung und Struktur durch seine Schulbegleitung. Er fällt auf, er fühlt sich oft unsicher, er kann völlig verzweifeln, wenn er glaubt zu spät zu sein oder wenn er das Gefühl hat, dass etwas falsch läuft. Seine Mitschüler versuchen ihn, wenn er verzweifelt ist zu trösten, wenn sie ihn nicht erreichen können, holen sie Hilfe. Er geniesst es im Klassenverband zu lernen, er profitiert von seinen Mitschülern. Er beobachtet ihr Verhalten. Trotzdem lehnt er einige Verhaltensweisen der NT-Kinder für sich völlig ab, er wehrt sich wehement zu sein wie sie. Er schaut ihnen ab, aber er kopiert das sogenannt "normale" Verhalten nicht. Also wenn man unter Integration verstehen würde, dass autistische Kinder mit den Jahren genau gleich sein sollen wie die sogenannt normalen Kinder, dann wäre bei unserem Jüngsten die Integration gescheitert. Unter Integration verstehe ich auch, dass unser Sohn es lernt sich unter seinen Mitschülern wohl zu fühlen. Dass er es aushält in einer Gruppe von Menschen etwas zu unternehmen, dass er etwas mehr Nähe und Lärm vertragen lernt. Was mich meine Söhne auch gelernt haben, sie sind immer wieder für Überraschungen gut. Was für mich erstrebenswert ist, muss es nicht für sie sein. Sie haben ihren eigenen Willen und ihren Weg. Trotzdem sind sie darauf angewiesen, dass man ihnen an den sogenannt runden Tischen, die Möglichkeit gibt, weiterhin Schüler ihrer Regelschule zu sein. Damit sie, wie die anderen Kinder auch, nach ihren Fähigkeiten und Begabungen lernen können und später, wie die anderen einen Beruf, der ihnen liegt, lernen können.


    Liebe Grüsse
    monica