Lebensbegleiter Angst

  • ANGST


    Hallo zusammen
    Gerne hätte ich etwas ausgetauscht wie Ihr im Alltag die Thematik Angst bei Menschen mit ASS erlebt.
    Unser Sohn (Asperger) begleitet das Thema Angst schon sehr lange durch das Leben. Die Angst vor dem zu spät kommen, etwas vergessen können, alleine in einen Raum oder nach draussen zu gehen, zu versagen auf jeglichen Ebenen... Angst vor dem Leben?!


    Vielfach bin ich als Mutter einfach überfordert und manchmal ( je nach Tagesverfassung) auch genervt wenn unser Sohn z.B keine halbe Minute draussen auf uns warten kann bis wir angezogen auch aus dem Haus kommen.


    So begleitet uns das Thema durch den ganzen Tag und ich werde immer wieder vor neue Problemstellungen geführt.


    Was für Überlebensstrategien habt Ihr für Betroffene und Eltern?
    Wie hält man die ständig präsente Angst im Schach so dass sie nicht überhand gewinnt?
    ......


    herzlich bronti

    KENNTNIS IST KEINE BÜRDE, TOLERANZ KOSTET NICHTS; VIELFALT IST NICHT GEFÄHRLICH.

    Susanne Schäfer

  • Hallo bronti


    Ich versuche mal zu beschreiben wie es mir so geht als Betroffene. Ich habe zum Beispiel Angst, mehr oder weniger je nach Situation, an einer Kasse etwas zu bezahlen. Es ist dann eine Mischung aus Angst, Unsicherheit, Verkrampftheit, also ein sehr unangenehmes Gefühl. Da kann sich jemand daneben noch so nerven, man hat immer noch Angst. Aber es stimmt schon man sollte an sich arbeiten und einen Weg aus dieser Angst finden. Aber das braucht Zeit, man hat doch über das alles nicht die ganze Kontrolle. Ich hab noch nicht wirklich die Lösung gefunden, wie ich schnell aus diesen Ängsten herauskomme. Ich weiss ja nicht wie selbstverantwortlich dein Sohn ist um daran zu arbeiten. Wovor hat denn dein Sohn Angst, wenn er draussen warten muss?

  • hallo bronti
    unser sohn (bald 10)kann auch nicht warten,aber bisher habe ich nicht das gefühl gehabt,dass er angst hätte.ich dachte immer er sei einfach ungeduldig!warten bis wir kommen,warten bis das essen fertig ist,warten bis der zug kommt,warten bis wir beim arzt dran sind,warten bis der besuch kommt,,, ich könnte die liste noch weiter führen,aber ob simon angst hat??das weiss ich nicht und muss ich mal bei ihm nachfragen.bin gespannt auf die antwort!
    strategien haben ,aber ob die wirklich helfen ,weiss ich auch nicht:wir richten uns ,wenn möglich vor simon zum weggehen.beim arzt wartwen wir vielfach draussen.und zum zug kommen wir meistens gerade noch rechtzeitig.besuch ist extrem schwierig und klappt überhaupt nicht ,simon steht draussen und wartet und wartet und wartet...
    und ist dann so überdreht,dass es sehr anstrengend wird.
    also eine hilfe kann ich dir auch nicht sein,aber die gewissheit,dass uns auch ähnlich geht.
    viel nerve und chraft mit liebe grüäss
    beatrice

  • Hallo Bronti


    Die Angst unserer Söhne begleitet uns nun schon ihr ganzes Leben. Nicht bei beiden sind die Ängste gleich stark ausgeprägt. Der Ältere hat sich in der Zwischenzeit recht gute Strategien zurecht gelegt, damit dies in der Öffentlichkeit und unter seinen Kollegen nicht so auffällt.
    Am liebsten wählt er die Ausweichmethode - er setzt sich dem Angst machenden Moment ganz einfach nicht aus. Dies bedeutet, dass bevor er einen Kollegen besucht, er sich zuerst vergewissert, dass in diesem Haushalt kein Hund lebt. Wenn wir draussen essen wollen und er befürchtet, dass Bienen und Wespen kommen, hat er sehr rasch keinen Appetit mehr oder er wählt den Ausweg, dass er uns mit Getränken oder Anderem bedienen will, oder er plötzlich dringend an die Hausaufgaben muss, da er etwas vergessen hat. In der Zwischenzeit ist er in diesem Gebiet recht fantasiebegabt!
    Es gibt aber auch Momente, die er nicht abwenden kann - mit denen er sich konfrontieren muss, wenn er selbständig leben will. Dazu gehören Einkaufen, in der Wohngruppe mit den anderen jungen Menschen (alle NT) in Kontakt bleiben, Gespräche nicht einfach abblocken (das gelingt noch nicht immer), Arzt- und Zahnarztbesuche aushalten, alleine Zug fahren, usw.


    Der Jüngere wurde während Jahren von seiner Angst geleitet. Seine Ängste gipfelten am Schluss in Phobien, die behandelt werden mussten. Heute ist er soweit, dass er Situationen, die unumgänglich sind, lernt auszuhalten. Sämtliche fliegenden Insekte lösten bei ihm Fluchtinstinkte aus. Am Schluss rannte er vor einer Fliege davon. Spinnen grausen ihm noch heute. Alles was ungewohnt ist macht ihm Angst. Alleine im Dorf einkaufen, einen anderen als den gewohnten Schulweg laufen, Velo fahren mit der Schule im Strassenverkehr (wenn er ein paar Tage nicht Velo gefahren ist, ist dies immer wieder wie ein Neubeginn), die Liste kann endlos weitergesetzt werden, ihm macht einfach alles Angst, was aus dem Rahmen fällt. Dass ihn diese Angst im Alltag bremst und behindert, versteht sich von selbst!


    Auch uns macht es Mühe damit umzugehen. Als erstes mussten wir lernen, dass die Ängste unserer Söhne sehr real sind. Man kann sie nicht mit ein paar Worten, wie z.B. sie sollen jetzt nicht so blöd tun, aus der Welt schaffen. Manchmal reagierten auch wir hässig, weil wir ihre Reaktionen nicht richtig einordnen und entschlüsseln konnten. Wir mussten lernen flexibler zu werden, weil ihre Ängste unsere Pläne doch oft durchkreuzt hatten und viele Unternehmen abgebrochen oder geändert werden mussten. Sie waren lange ohne Sprache und so war es für uns zuerst nicht nachvollziehbar, was sie jetzt wieder so verstört hatte, warum sie sich so gebärdeten!


    Heute diskutieren wir mit dem Jüngeren seine Ängste aus, wir suchen nach Argumenten, die ihn überzeugen können, sich seiner Angst zu stellen. Dies sieht in etwa so aus: Wir essen draussen, es kommen Wespen, der Jüngere flüchtete schreiend ins Haus. Heute kann er trotz grosser Angst, ruhig sitzen bleiben. Wir beruhigen ihn laufend und erklären ihm, dass auch wir es nicht gerade lieben, wenn uns diese Insekten beim Essen stören. Gemeinsam räumen wir dann das Essen hinein und beenden die Mahlzeit in Ruhe. Beim Velofahren überwindet er sich und macht sich mit Herzklopfen auf in die Schule. Alleine Einkaufen im Dorf hat diese Woche zum ersten Mal geklappt, nachdem ich argumentiert habe, dass er vielleicht wie der ältere Bruder einmal seine Lehre auswärts machen und bis dann gelernt haben muss einzukaufen, weil er ja sonst verhungere. Es ist schwierig für ihn die richtigen Argumente zu finden, wenn ich sie nicht finde, ist er auch nicht bereit das zu tun, was ihm Angst macht. Mir graut schon vor der nächsten Schulaufführung - ein weiterer Punkt auf seiner Angstliste. Wir besprechen die Situationen, wenn er sie überstanden hat, mit ihm nach, natürlich erhält er viel Lob und wir hoffen, dass er mit der Zeit lernt mehr Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten zu haben.


    Liebe Grüsse, Monica

  • EnTe04



    "Wovor hat denn dein Sohn Angst, wenn er draussen warten muss?"




    Ich glaube das sind ganze Geschichten und abfolgen von Geschehnissen die eintreten könnten. Z.B Kidnapping, Räuber, Mörder, Unfall......





    Beatrice



    "unser sohn (bald 10)kann auch nicht warten,aber bisher habe ich nicht das gefühl gehabt,dass er angst hätte.ich dachte immer er sei einfach ungeduldig!"




    Ich denke das dies bei unserem Sohn nichts mit Ungeduld oder nicht warten können zu tun hat. Er kann sehr wohl warten, besonders mit einer Zeitangabe und der Uhr am Arm ist dies gut möglich.





    Monica



    Dein Beitrag hat mich an unseren Sohn erinnert wenn auch die Angst machenden Themen (Wespen...) nicht die gleichen sind.



    "Der Jüngere wurde während Jahren von seiner Angst geleitet. Seine Ängste gipfelten am Schluss in Phobien, die behandelt werden mussten. Heute ist er soweit, dass er Situationen, die unumgänglich sind, lernt auszuhalten."




    Wie lernt ein Kind auszuhalten wenn die Angst so übermächtig erscheint?
    Gespräche die an die Vernunft appellieren kommen in solchen Momenten nicht wirklich an.
    Vielleicht bin ich auch einfach zu ungeduldig und es braucht noch mehr Gespräche, noch mehr Wiederholungen?!


    Gruss bronti

    KENNTNIS IST KEINE BÜRDE, TOLERANZ KOSTET NICHTS; VIELFALT IST NICHT GEFÄHRLICH.

    Susanne Schäfer

  • Liebe Bronti


    ein Standardrezept haben wir auch nicht, um mit den Aengsten unseres Sohnes erfolgreich umzugehen.
    Sicher hilft in jeder Situation, wenn man im voraus gut bespricht, was kommen könnte (und dann geschieht gemäss Murphy dann sicher das, an das man nicht gedacht hat). Nichtsdestotrotz glaube ich, dass das Verbalisieren von dem was vorgeht (und was vorgehen könnte!) sicher sehr hilfreich ist.


    Seit einigen Monaten machen wir zudem CBT (cognitive behavioral therapy - auf Dt kognitive Verhaltenstherapie [?]) und das kommt bei unserem Sohn sehr gut an. CBT setzt allerdings ein gewisses Alter voraus (unser ist 13 Jahre alt). Eine gute Beschreibung von CBT kann in Tony Atwood's Buch gefunden werden.


    Gruss


    Christoph

  • Liebe Bronti,
    Auch wir kennen diese Situationen mit den unüberwindbaren Ängsten. Unser Sohn hat absolut Panik vor jedem Arzttermin. Wenn er dann noch Blut abnehmen muss, oder Augentropfen bekommen soll,startet er panisch durch. Man sieht ihm dann an, dass er wirklich in einer Leben oder Tod Situation steckt. Er schwitzt, weint, dass die Tränen nur so spritzen. So oft haben wir die letzten Jahre nur mit Gewalt die Augentropfen in die Augen bekommen. Seine Zahnärztin hatte einmal zwei Stunden gebraucht, um ihn zum Bohren zu überreden. Ich bin ja auch immer dabei und es ist für mich ein regelrechter Albtraum, zu sehen, wie er Panik hat und auf das ganze Register, vom Drohen,Schimpfen, Beschwichtigen, Ermutigen und Trösten kaum reagiert. Bevor unser Sohn eine Diagnose bekam (haben wir zwar noch nicht und bekommen sie wahrscheinlich auch nicht), war es mir so peinlich, dass sich unser Sohn so benahm. Jetzt geraten wir ja noch immer in diese Situationen, doch ich kann mich nun hinter meinen Sohn stellen und ihn auch vor ungeduldigen Ärzten, schnippischen Arztgehilfinen und sonstigen Besserwissern beschützen. Letzte Woche musste der arme Kerl mal wieder Blut nehmen lassen, wegen dem Medikinet. Es war wieder so schlimm, dass ich ihn in meiner Verzweiflung fragte, ob ich ihn stechen soll. Weshalb auch immer, das wollte er und sonst gar nichts mehr. So sagte er mir wo genau ich stechen dürfe und ich beschrieb ihm den genauen Ablauf und er liess sich unter vielen Tränen stechen. Ich glaube im Nachhinein, dass die genauen Erklährungen stark dazu beigetragen haben, dass für ihn die Situation klarer wurde. Mir hat es mal wieder gezeigt, dass ich unseren Sohn wohl viel zu oft vor Tatsachen stelle und dan meistens sehr ungeduldig werde, wenn er wieder bockt. Na ja, bin am Lernen, kann ja nur besser werden
    Viel starke Nerven und Verständnis für Deinen Sohn wünsche ich Dir
    Rosina

  • Salü


    “Lebensbegleiter Angst“ ist für mich ein wichtiges Thema, auch wenn ich offenbar einen völlig anderen Umgang damit pflege als die meisten Mitmenschen.


    Vielleicht liegt es darin, dass ich (seit ich mich daran erinnern kann) von Reizüberflutung geplagt bin.
    Angst ist für mich angenehm – schränkt die Sinne ein und schützt vor Überreizung.
    Früh begann ich zwischen positiver Angst und negativer Panik zu differenzieren.
    Die Gründe, warum ich fast süchtig nach Angst-Situationen wurde, war mir sehr lange unklar.
    Autorennen fahren, Fallschirm springen, Minensuche in Afghanistan: Bald wurde mir eine versteckte Suizidalität unterstellt und ich als Borderliner taxiert.
    Erst der Umweg über die Hochsensibilität half mir, meine Umgebung reizarm zu gestalten – und gleichzeitig reduzierte sich mein Bedürfnis nach Angst.


    Natürlich kann Angst auch eine Flucht sein: Wenn man ums Überleben kämpft, muss man sich nicht mit so mühsamen Themen wie Partnerschaft und Anders-sein herumschlagen...
    Und wer seine Angst unter Kontrolle hat, bekommt den Eindruck, auch den Rest seines Lebens unter Kontrolle zu haben (was natürlich eine Illusion ist).
    Rückblickend lernte ich in solchen Angstsituationen auch, die Rolle des immer ruhigen und besonnenen Christophers zu spielen; kaum jemand ahnte dass es hinter dieser Fassade oft ganz anders aussah...


    Fazit:
    Angst kann verschiedene Facetten und Aufgaben haben: Hilfreich kann sein zu erforschen, welche Rolle Angst im Einzelfall spielt.



    Gruss


    Christopher

  • Ich kenne das alles sehr gut............Ich hatte als ich klein war und meine Eltern Abends manchmal weg waren, panische Zustände, dass sie überfallen oder umgebracht werden würden. Sie sagten unserer Sitterin, meinem Brueder und mir eine Uhrzeit wann sie wieder zu Hause sein würden. War diese Uhrzeit um nur ein paar Minuten überschritten, steigerte sich diese Panik. Ich habe dies leider immer noch - nicht mehr mit meiner Familie sondern mit meinem Mann. Da ich, wie schon mal geschrieben, sehr mit der Meditation befasse, konnte ich mir hier Linderung verschaffen. Ich nehme einen Gegenstand (gut für Kinder) oder ein Bild (in meinem Kopf) und verknüpfe es mit einem Gefühl (in meinem Fall Geborgenheit & Vertrauen) und jedes Mal wenn Panik aufkommt, spreche ich mit mir (wenn es schon schlimm ist) und/oder nehme einfach nur das Bild/den Gegenstand. Da es mit einer schönen Emotion verknüpft ist, beruhigt es mich sehr und nach ca. 30 Minuten denke ich schon gar nicht mehr daran. Es kommt dann wieder hoch im Verlaufe der Stunden wenn die Spannung anhält, dann muss ich es halt wiederholen, aber es dauert niemals mehr so lang wie am Anfang.


    Hilft euch dies?



    Gruss