Psychische Beeinträchtigung als Antrieb

  • Ich bin ein kunstschaffender Asperger und gehe davon aus, dass dies an sich nichts aussergewöhnliches ist. Aber, und das ist mein Anliegen heute, ich stosse immer wieder auf die Meinung, dass mein künstlerischer Antrieb zur Hauptsache auf meiner "psychischen Beeinträchtigung" gründet. Also da bin ich einfach nur sprachlos. Viele Künstler seien depressiv gewesen oder sind es. Meine Frage lautet: bin ich depressiv, nur weil ich ein Autist bin??? Bin ich, weil Autist, psychisch beeinträchtigt? Da tauchen eine ganze Menge an Fragezeichen auf.


    Warum um alles in der Welt stellt die Allgemeinheit immer solche "Regeln" auf? Je länger ich mich mit dem Thema Autismus auseinandersetze, desto mehr treten solche Hirngespinste aus dem Nebel der offenbar nicht aufgeklärten Bevölkerung auf. Gut, ich gebe zu, ich teile in einem Gespräch relativ schnell mit, dass ich ein Autist bin. Warum? Ich signalisiere dem Gegenüber damit, dass ich ein paar Schwierigkeiten in Sachen Verständnis oder sozialer Interaktion habe. Es gibt nichts Schlimmeres, als falsch verstanden und damit ungerecht behandelt zu werden. Es wäre vielleicht besser, auf die Offenlegung zu verzichten und damit Gefahr zu laufen, falsch eingeschätzt zu werden. Welches ist das kleinere Übel?


    Es existiert offenbar so etwas wie ein Gespann aus Autismus und psychischer Beeinträchtigung. Ich nenne hier nur mal als Beispiel das Thema Depression. Mich würde echt mal interessieren, wieso das so ist. Ich denke, dass auch NT's ab und zu mal depressive Phasen haben. Bei denen scheint sich niemand gross darum zu kümmern oder den Betreffenden in eine Schublade zu pressen, aber ein Autist? Bei Autisten muss man geradezu eine "Ausrede" bei der Hand haben, damit man ihm möglichst aus dem Weg gehen kann, sozusagen eine Legimitation, damit man sich wohler fühlt, wenn man sich nicht mit dem Autisten auseinander zu setzen braucht. Jedenfalls nicht wirklich ernsthaft.


    Läuft man, wenn man einem depressiven Zeitgenossen begegnet, Gefahr, von dessen Gemütsverfassung angesteckt zu werden?


    Es gibt da noch den Vergleich von Genie und Wahnsinn. Auch hier die Meinung, dass es viele Autisten gibt, die Genies sind. Viele? Ich würde eher sagen ein paar. Nicht mehr als bei den NT's. Aber wenn ein Autist ein Genie ist, muss er deswegen auch gleich noch ein Wahnsinniger sein?


    Ich würde mir einen urteilsfreieren und offenenen Umgang mit meiner Persönlichkeit als Autist wünschen und nicht dieses dauernde stigmatisieren. Ich bin Autist und stolz darauf. Immer? Nicht immer, aber immer öfters! :)

  • Ich bin der Meinung es gibt viel viel mehr Autisten als wie man so denkt. Denn es gibt viele mit leichter unauffälliger Beeinträchtigung. Und, warum gab es die nicht früher schon, als ich noch Kind war, da gab es kaum welche?
    Genau, das gab es einfach nicht, es wurde unterdrückt. Augen zu und durch, entweder hat man Schulausbildung, Arbeit geschafft oder man ging unter... So war das, irgendwie durch oder Sonderschule.
    Die High Ass spürte man nur wenn Sie wirklich auffällig High Intelligent waren. Und die Low ebenso, wenn Sie deutlich weniger Intelligent waren.
    Und jetzt? Huch es gibt auch Schattierungen... und es gibt auf einmal so viele.
    Ich glaube einige sind einfach überfordert, wenn Sie von Jemand so offen hören : "Übrigens ich bin Autist." Da wurde, wenn es nicht klar zu spüren war, einfach nicht drüber gesprochen früher. Sie sind so Verunsichert, das Sie komisch und etwas falsch reagieren.
    Witzig, wenn man von den Kindern erzählt ist die Reaktion anders. Da kommt dann Neugierde, Interesse oft Verwunderung woran man das gemerkt hat (Frühautistisch). Denn Sie merken ich hab es nicht (obwohl wer weiss das schon zu 100%?).
    Und dann werde ich auch ausgefragt, so wie eigentlich völlig "normal", die Kinder aus fragen, wenn Sie etwas wissen möchten.
    Wenn ein Erwachsener sich outet, egal wie und was, das verunsichert einige massiv. Beim Thema sexuelle Neigung hatten viele damals, wo das ganze outen los ging, massiv Probleme. Die Reaktionen war oft nicht passend.
    Ich vermute Autismus ist gar nicht so selten, wie viele meinen. Wenn es "normal" ist, es viel mehr Diagnosen gibt, legt sich das Verhalten. Und es wird mehr Diagnosen geben.
    Und doch ich kenne einige sehr geniale und sehr spezielle Autisten. Es gibt wirklich mehr wie man denkt. Man muss nur in einigen beliebten Berufsgruppen gucken. Da wird man fündig.
    Künstler hat es nun mal nicht so viele zusammen auf einem Haufen, die vor allem auch noch, zusammen einen Job machen.


    Aber ich kann Dich voll verstehen. Meine Spezis hier haben auch oft diese Phasen. Vor der Diagnose war es nicht leicht, jetzt klappt es besser. Ich weiss warum es so ist, oft kommt die Depression, wenn die Kommunikation nicht klappte. Wenn etwas nicht verstanden wird, das macht dann Aggressiv und dann Depressiv. Das ist sehr oft ein Grund für Depressionen.

  • Hier spricht ein Mit-Aspie: Beim Lesen deines Beitrages, lieber Regenbogen, gehen mir allerhand Kommentare durch den Kopf, teils Einwände, teils Berichtigungen, teils Kontexterklärungen und so weiter.


    Ich sehe bei dir die Tendenz, auf Konfrontation mit "der Welt", mit der "Allgemeinheit", mit der "Bevölkerung" (wie du es einmal nennst) zu gehen, um dann Forderungen zu stellen, wie die da draussen doch bitte denken, fühlen und argumentieren sollen. Bei deinem differenzierten Denken ist auch für dich offensichtlich, dass Schwarz-Weiss-Malerei die Realität nie ganz trifft, sondern eben immer nur klischeehaft annähernd beschreibt. Ich gestehe dir diese implizite Einsicht zu, auch wenn du sie selbst in der obigen Beschreibung deiner Erfahrung vernachlässigst.


    Die Wirklichkeit ist immer komplexer, als was wir von ihr wahrnehmen und über sie aussagen können. Das Schwarz-Weiss-Denken ist eine Form der Komplexitäts-Reduktion, um mit einer konkreten Erfahrung, einer Begegnung umgehen zu können, ob es sich nun um Dinge, Personen, Sachverhalte oder Kommunikations-Situationen handelt.


    Wenn du jemanden im Verlauf eines Gesprächs damit konfrontierst, dass du Autist seist, in der Hoffnung, dass das Gegenüber dich besser versteht, dann führst du selbst eine Ausgrenzung deinerseits durch, konfrontierst das Gegenüber mit einem Klischee, in der Erwartung, dass darauf differenziert und verständnisvoll reagiert wird. Du siehst den Widerspruch? die Unmöglichkeit der Situation? Der Kommunikations-Partner reagiert eben so, wie er gerade kann, also seinerseits mit reduzierten, handhabbaren Mustern, mit klischierten Sätzen, die seine Wahrnehmungskomplexität reduzieren.


    Da die meisten Menschen keine Ahnung haben, was Autismus alles beinhaltet, oder damit Vorstellungen verbinden von Kindern mit bestimmten Neigungen, aber um Gottes Willen nicht Erwachsene, denen man es nicht ansehen würde, wenn man es nicht wüsste... also, da werden die Reaktionen unbeholfen sein, dem Bildungs- und Wachheits-Grad der Person entsprechend.


    Du sprichst von der Gefahr, falsch oder überhaupt nicht verstanden zu werden. Dies betrifft aber jedermann, da die menschliche Wahrnehmung immer nur bruchstückhaft sein kann. Du bezeichnest "ungerecht behandelt zu werden" als Folge des Missverstehens als das Schlimmste, das einem passieren könne. Da spricht eine Opferhaltung aus deinen Worten, wo du doch derjenige bist, der die Kehle hinhält, um symbolisch gebissen zu werden (wie dies Hunde im Meuteverhalten untereinander tun). Du zeigst dich schwach mit deinem Autismus-Outing, erwartest aber als gleich stark wahrgenommen zu werden. Mit andern Worten: du schaffst dir deine Wirklichkeit selbst, die du handkehrum beklagst und bemängelst.


    Es liegt auf der Hand, dass diese ganze Situation einen ziemlich deprimieren kann. Depression ist verkürzt gesagt Aggressionshemmung. Auch dies betrifft jeden Menschen. Statt drein zu schlagen versinkt man im eigenen Leid, oder man flieht in kompensierendes Verhalten: Konsumwut, Fernsehen, Gaming, Internet, Sport oder was immer.


    Der Zusammenhang von Leiderfahrung und Kunstschaffen ist ein eigenes Thema. Ohne Mangelerfahrung keine Kunst, keine menschliche Entwicklung schlechthin...


    Meine klischeehafte Schlussfolgerung insgesamt: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück.

  • Ich denke, jedes Individuum konstruiert ja immer "seine" eigene Wirklichkeit. Normalerweise gehen wir stark davon aus, dass sich unsere mit der Wahrnehmung oder eben Wirklichkeit eines Gegenübers deckt, was an sich wchon kompletter Unsinn ist. Mit meinen ASS Jungs stelle ich fest, dass ich durch Kommunikation, viel Nachfragen usw., noch mehr als mit anderen Menschen einen Abgleich unserer jeweiligen Wirklichkeiten machen muss. Ich glaube, die Leute da Draussen, irgendwelche NT's mit einer Diagnose zu konfrontieren ohne damit verbundene Erklärung, was das für dich ganz Persönlich mitbringt, ist schwierig. Wir können ja nicht erwarten, dass die Leute alle möglichen Symptome diverser Störungen kennen, oder? Und gerade bei ASS finde ich sind die Symptome soooooo unterschiedlich und verschieden stark ausgeprägt.
    Ich finde nicht, dass meine Buben gestört sind, auch nicht krank oder so. Aber, im Vergleich mit einer Mehrzahl von Kindern, heben sie sich durch ihr Verhalten sehr ab! Die Anpassungsleistung, die sie erbringen müssen ist enorm, was auch mal depressiv machen kann, nebst den Erfahrungen von Ablehnung und Reizüberflutung.
    Kennt ihr den Film X&Y? Am eindrücklichsten darin fand ich die Szene wo der eine Aspie dem anderen erklärt, dass von Aspies gleichzeitig eine besondere Begabung erwartet wird undnunangepasstes Verhalten nur dann akzeptiert, sozusagen damit wettgemacht wird...wie wahr!!!

  • Hallo allerseits,


    ich sehe, dass das Thema des Outings offenbar zu regen Anstössen führt. Was ich meine, wenn ich schreibe, dass ich mich bei einem Gespräch als erwachsener Autist zu erkennen gebe, ist, dass ich mich nicht als Opfer sehe und es mir durchaus bewusst ist, dass die andere Person i.d.R. über keine oder nur spärlliche Informationen über Autismus verfügt. Ich erwähne das "erwachsener" ganz bewusst, weil das Thema als solches noch weniger bekannt ist, als jenes von autistischen Kindern.


    Seht es doch mal aus einer anderen Warte: was nützen Plakate, Infos in Publikationen, wenn man da zwar was liest, damit aber nicht konfrontiert wird? Der normale Konsument geht doch sofort wieder zu seinem Alltagsdenken über, will heissen, die Information, die er da bekommen hat, dringt nicht wirklich bis in sein Bewusstsein durch. Fazit: er ändert, seinen Blickwinkel mangels Erfahrung nicht oder meistens nicht. Ist es nicht so, dass wir alle wahr- und ernstgenommen werden wollen?


    Es bedarf viel Arbeit und Energie um eine Veränderung herbeizuführen, die in meinen Augen dringend notwendig ist. Alle diejenigen von euch, die Kinder mit Autismus haben, sollten sich vor Augen führen, dass auch ihre Lieblinge eines Tages Erwachsene sein werden.


    Mein Beweggrund ist der, dass ich mit meinem Outing eine Eins-zu-Eins-Möglichkeit biete, sich dem Thema zu nähern. Gut, das geschieht natürlich nicht auf offener Strasse, vielmehr an Veranstaltungen, wie z.B. einer Ausstellung oder einer Lesung. Kurz, ich sehe mich als Botschafter in Sachen Autismus, ich will damit auch etwas bewirken. Es gibt Leute, die sich interessiert zeigen, mich dann auch mal zu einem Gespräch einladen, z.B. in einer Schule oder ähnlichem. Oft sehen die Leute dann auch Plakate etc..mit ganz anderen Augen, also habe ich doch etwas erreicht. Achtung: ich mache das alles völlig freiwillig, ich müsste es nicht, ich habe weder einen Auftrag noch sonst was in der Richtung. Mir ist wichtig, dass "man" uns Autisten verstehen lernt. Besonders liegen mir die erwachsenen Autisten am Herzen, weil man die meistens nicht ernst nimmt, oder "gar nicht weiss, dass es die gibt". Um nicht den Eindruck eines Übereifrigen abzugeben: wenn ich merke, dass das Gegenüber sich nicht damit auseinandersetzen will, dann akzeptiere ich das voll und ganz.

    Natürlich ist das Outing ein Konfrontationskurs, ist es immer. Aber: ohne geht es nun mal nicht. Ich denke da an die Zeit, als die Gleichgeschlechterfrage zu vielen Ängsten und Abwehrhaltungen etc. führte. Welchen Mut haben all diese Leute, die sich geoutet haben, bewiesen? Wie viele haben diesen Mut gar mit ihrem Leben bezahlt? Die Gesellschaft wächst doch nur, wenn es Menschen gibt, die sich gegen das "Das-macht-man-halt-so oder das "Das-ist nun-mal-so" stellen.


    Stellt euch vor, wenn sich zum Leben in Höhlen nie jemand Gedanken gemacht hätte, dann würden wir heute noch in Höhlen wohnen.


    Mein Hauptthema in meinem ersten Beitrag hier ist eigentlich ein ganz anderes und zwar die Ansicht, dass ich als autistischer Kunstschaffender sehr oft mit dem Klischee des Depressiven - gerade im Zusammenhang MIT dem Autismus - konfrontiert werde. Aber auch hier: es bedarf wie in allem, was uns umgibt, Aufklärung und die geschieht am besten durch direkte Konfrontation. Es ist ein Klischee, wenn man ( die Gesellschaft ) denkt, dass alle Kunstschaffenden depressiv sind. Also besteht auch bei diesem Thema Aufklärungsbedarf. Wenn ich auf diese Frage antworte, dass ich mich als nichtdepressiven Künstler sehe, dann ernte ich oft Erstaunen. Und wieder schnappt die Falle zu. "Ach, wir dachten, dass alle so sind!" Sind wir aber nicht!


    Natürlich gibt es den Autismus in allen Farben und Facetten. Ich bin ein Autist mit ganz eigener Prägung, weswegen ich nicht den Anspruch erhebe, DEN Autisten an sich zu repräsentieren. Es ist jedoch immer ein Zeichen in die richtige Richtung, wenn jemand aufsteht und den Anfang macht.


    Veränderung geschieht indem man etwas dafür unternimmt.

  • Resonanz auf Autismus


    Autismus ist eine schwere Behinderung.
    Autisten leben in einem Heim, zumindest in
    betreuten oder integrativen Wohnverhältnissen.


    Autisten haben spezielle Fähigkeiten
    (sind Genies und/oder geistig behindert)
    Autisten nehmen ihre Umwelt nicht wahr
    Autisten sind nicht zu Beziehungen fähig


    Wie soll man
    mit solchen (Fehl-) Informationen und aufgebauten Vorurteilen (durch die Medien mitgefördert), einem selbständig lebenden Erwachsenen begegnen, der frei und offen erklärt, dass er Autist ist?


    Er wird nicht selten mit Sätzen konfrontiert wie: "Wir haben doch alle etwas." und "Wer ist schon normal." Mit diesen Sätzen will man Verständnis bekunden, offenbart wird jedoch Hilflosigkeit oder Desinteresse. Andere wiederum bekunden damit Sarkasmus (Spott): "Klar Mann, und ich bin der Sandmann."


    Wer eine besondere Begabung besitzt,
    hat Glück gehabt. Wie hier bereits erwähnt, werden solche Menschen in allem und jedem angenommen. Man ist stolz darauf, zu ihrem Bekanntenkreis zu gehören.


    Aufklärung über Autismus
    Eine intensive und langfristige Arbeit, die man z.B. mit guten Filmen und Büchern nie aufgeben sollte. Ein zu grosses Interesse sollte man in der breiten Masse jedoch nicht erwarten. Jeder ist mit seinem eigenen Leben beschäftigt.
    Das Thema im eigenen Bekanntenkreis bekannt zu machen, ist für den Einzelnen schon eine grosse Aufgabe, Meiner Erfahrung nach am besten immer DVD und Buch zu solchen (gut vorbereiteten) Aktionen mitnehmen.

  • Lieber Regenbogen
    Du hast recht, wir sind alle bissl vom Anfangsthema abgekommen. Wenn gedacht wird, Kunstschaffende sind per se depressiv, ist das meiner Meinung nach genauso bekloppt wie wenn gedacht wird, gute MusikerInnen sind per se drogenabhängig, Klischee pur und einfach nur dumm.
    Ich glaube jedoch, das Menschen, die viel reflektieren usw gefährdeter sind für Depressionen...und oft bedingt künstlerische Betätigung eben diese reflexionsfähigkeit, ev ist das ja ein Zusammenhang?
    Aufklären und konfrontieren finde ich u wichtig und dein Mut gefällt mir. Und du hast ja recht, so ging bzw geht es auch anderen Gruppen wie z.B Homosexuellen.
    Ich lese total gerne eure Gedanken und Erfahrungen, auch wenn es teils erschütternd ist, danke!

  • Ich bewundere diese Aufklärungsarbeit vorbehaltlos, könnte mich ihr aber so direkt nicht anschliessen, weil ich mich selbst wenig mit dem Autismus-Klischee identifiziere. Es (die Diagnose) ist für mich ein Hilfmittel, meine schwierige Sozialisation in meiner Jugend im Nachhinein zu verstehen und einzuordnen, sowie den Grund für Verhaltensweisen wie persönliche Zurückhaltung, Nicht-Flirten-Können, Schwierigkeiten mit Small-Talk, sowie diverse Formen von Wahrnehmungs-Stress an mir selbst besser zu verstehen.


    Ich mache meine Erfahrungen mit Konfrontation und Aufklärung auf dem Gebiet der Elektrosensitivität, die mich stark beeinträchtigt und unmittelbar daran hindert, mich *frei* zu bewegen: Freiheit im Sinne des Spielraums von Tun und Lassen können, was meinem eigenen Wohlbefinden dient (unter Einschluss des Nicht-Schadens andern gegenüber). Auch in solcher "Aufklärungsarbeit" bin ich einer Psychologisierung ausgesetzt, speziell bei esoterisch verbildeten Mitmenschen, die mir das Problem auf die mentale Ebene verschieben, von der aus es zu lösen sei, mal abgesehen von den Tausend quacksalberischen Lösungvorschlägen à la Rosenquarz, Labradorit, teuren Aufklebern und sonstigem verkaufsträchtigem Unfug.


    Da dies hier nicht das Thema ist (obwohl ich allen Eltern mit AS-Kindern dringend anrate, erhöhte Elekrosensitivität ihrer Kinder in Betracht zu ziehen und ernst zu nehmen), gehe ich nicht weiter darauf ein. Es soll genügen, meine persönliche Kenntnis der involvierten Problematik des nicht-missionarischen Aufklärens und Hinweisens im täglichen Leben zu demonstrieren.


    Kunstschaffen und "psychische Beeinträchtigung"...


    Ich weiss nicht, welche Art Malerei du betreibst. Falls es sich um nicht-gegenständliche, vielleicht sogar um Ausdrucksmalerei, die dem spontanen Impuls folgt (à la Jackson Pollock), handelt, dann wird es notwenigerweise einen Zusammenhang von psychischer Befindlichkeit und gemaltem Resultat geben. Ich habe einen Freund, der fotorealistische Landschaftsmalerei betreibt. Der arbeitet gute zwei bis drei Monate an einem Bild. Da wird man weniger psychische Befindlichkeiten ins Spiel bringen, obwohl auch hier Nuancen vorkommen können.


    Aber impressionistisch und noch stärker expressionistisch gefärbtes Schaffen hat doch recht klare psychologische Bezüge. Wobei es dann eine Sache der Wortfindung ist, ob man von "psychischer Beeinträchtigung" oder "einer kreativen Phase nach biographisch einschneidenden Erlebnissen usw" spricht. Von daher sehe ich die Betrachter deiner Werke durchaus im Recht (falls du im weitesten Sinne abstrakt oder zum mindesten visuell verfremdet malst), deine subjektive Befindlichkeit als Motivation in Betracht zu ziehen.


    Umso mehr, als man angesichts moderner Malerei oft um Worte ringt, was denn das Dargestellte überhaupt soll ;-) Da liegt es nahe, biographische Informationen über den Schöpfer heranzuziehen, um über das Ganze irgend etwas Kohärentes aussagen zu können.


    Die Frage bleibt natürlich offen, ob Aussagen gerechtfertigt seien, eine unterstellte psychologische Befindlichkeit als Hauptmotivation des Schaffens zu bezeichnen. Vielleicht ist die Hauptmotivation ja Geldgier (wie teilweise bei Picasso), Lust auf Fraueneroberungen, einfach technische Spielerei, finanzielle Not, oder was immer. Selbst bei einem "anerkannten" Psychopathen wie Jackson Pollock wird es zweifelhaft bleiben, was denn nun genau der Antrieb seines künstlerischen Schaffens gewesen sei. Vermutlich ein Sammelsurium von verschiedenen Faktoren.


    Die Aussage, dass Künstler generell eher komplexe, um nicht zu sagen "schwierige" Persönlichkeiten sind, ist schon beinahe banal. Ihre Arbeit verlangt oft Abgeschiedenheit, soziale Isolation, die etwa mit Phasen ausschweifender Geselligkeit oder Drogen- und Trunksucht kompensiert werden mag. Mein Freund, der Landschaftsmaler, kommt ohne diese Extreme aus und leidet einfach "wie Schwein" an seiner selbstauferlegten Isolation, die ihn in tiefe Depressionen führt (mehr verursacht von den Zweifeln, wann denn wohl sein Gallerist das nächste Bild verkauft), die aber kaum in seinen Werken zum Ausdruck kommen.


    Autismus und psychische Beeinträchtigung - da besteht schon ein Zusammenhang, denke ich mal; aber der besteht auch bei entfremdender Lohnarbeit und jeder andern Form von sozialer Interaktion, die zu Zwängen führen. Selbst das Leben am Palmenstrand hat seine bedrängenden Schattenseiten. ...


    Bei einer Diagnose wie Autismus ist man einfach schneller bereit, auf Grund der reduzierten Glücksfähigkeit eine negative Prognose zu unterstellen.

  • Hallo ich bin relativ neu hier.


    Auch wenn die Berichte dieser Thematik recht veraltet sind, erinnert mich die Kombination, Autist-Kunst-psychologische Beeinträchtigung-Depression, an ein Gespräch mit einer Psychologin, welches schon Jahre zurück liegt und vor meiner offiziellen Diagnose stattfand. Ich begann auf Drängen meiner Eltern eine Therapie, um meine "Depression" zu heilen, die allerdings nur aus meiner Andersartigkeit und dem Unverständnis mir gegenüber resultierte. So beschrieb ich meine Tätigkeiten als künstlerisch Interessierte, dass ich gerne zeichnete, aber selten zufrieden mit dem Schaffen war, hinzu wie frustrierend diese Welt für mich ist, wie ich auch durch eine gewisse Erhabenheit gelernt habe, die Absurditäten dieses Systems zu erkennen, folglich gleiche Paradoxien im eigenen (sozialen) Umfeld eruieren kann. Daraufhin sagte mir die Psychologin ganz plump, "aber Künstler sind doch so". Der weitere Verlauf des Gesprächs hatte sich somit wohl erübrigt. Für sie war die Erklärung meiner Depression beschrieben und der Fall erledigt. Ich ging danach nicht mehr zu ihr.


    Der Grund warum ich künstlerisch aktiv bin, sei es zeichnen oder schreiben, führt subjektiv auf eine Ablenkung des Profanen hinaus, ich benötige diese Art der Flucht, damit ich mich nicht mit alltäglichen Dingen der üblichen Freizeit beschäftigen muss, mit denen ich mich nur ungern konfrontiere, da ich nur kaum dazu fähig bin sie, speziell auf sozialer Ebene, zu bewältigen.


    Es ist jedoch auffällig, wie sehr ein Schuss Autismus nötig ist um solche Tätigkeiten zu praktizieren bzw. die geübten Fähigkeiten dafür zu erlernen und mit anzuwenden, sei es Kunst oder andere Bereiche, diese meist aus einem Verstand heraus kreiert sind und nach keiner Gruppendynamik für das Schaffen an sich verlangen.
    Allerdings sehe ich Autismus nicht als jene psychologische Beeinträchtigung, sondern viel mehr als eine andere Form menschlichen Seins, diese aus keiner defizitären Beschaffenheit resultiert, doch von der normgeprägten Masse als Nachteil des Systems, welches nun mal ausschließlich für neurotypische Personen konstruiert worden ist, angesehen wird, denn alles was von dem abweicht, gilt als hinderlich dafür.


    So würde ich auch annehmen, empirisch beobachtet, dass Kunst von jenen praktiziert wird, die eben keiner "normalen" Vorstellung psychologischer Strukturen entsprechen. Kunst bedarf einer spezifischen Kreativität, diese Anomalien der eigenen moralischen Wertvorstellungen in Relation zur Realität im Ausdruck eigens geschaffener Werke kompensieren. Manche visualisieren so ihre Sehnsüchte oder Träume, andere deuten auf eine Problematik hin, jemand, der eindimensional denkt/strukturiert und demnach zufrieden ist, kann keine tiefsinnige Kunst machen, man benötigt viele Eigenschaften, die es erlauben die Welt infrage zu stellen, um sodann das Bedürfnis zu verspüren mit eigenen veräußerten Intellekt zu antworten. ;)